Die Kündigung eines Schwerbehinderten

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Die Kündigung eines Arbeitnehmers bereitet häufig ganz erhebliche Schwierigkeiten. Besonders kompliziert wird es, wenn Mitglieder von Personengruppen gekündigt werden soll, die nach deutschem Arbeitsrecht besonders geschützt sind, wie etwa Schwerbehinderte.

Wer ist überhaupt schwerbehindert?

Das Recht der (Schwer-)Behinderung ist weitgehend im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) geregelt. Die notwendige Feststellung des sogenannten Grades der Behinderung (GdB) erfolgt auf der Grundlage ärztlicher Befunde und Feststellungen durch die Versorgungsämter (diese Bezeichnung gilt für Hessen, andere Bundesländer haben teilweise andere Bezeichnungen).

Eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn ein GdB von mindestens 50 festgestellt wird, § 2 Abs. 2 SGB IX.

Diesen gleichgestellt werden sollen Menschen mit einem GdB von mindestens 30, wenn sie ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht bekommen oder behalten können, § 2 Abs. 3 SGB IX.

Ergeben sich aus den ärztlichen Feststellungen ausreichend schwere Beeinträchtigungen, so erlässt das Versorgungsamt auf Antrag einen entsprechenden Bescheid, aus dem sich der GdB ergibt. Entsprechen die Feststellungen des Versorgungsamts nicht den Vorstellungen des Betroffenen, so kann gegen den Bescheid mit den Mitteln des Sozialrechts vorgegangen werden. 

Welche Vorteile ergeben sich für Schwerbehinderte?

Eine schwerbehinderte Person genießt in erster Linie einen gesteigerten Kündigungsschutz

Nach § 168 SGB IX bedarf eine Kündigung der Zustimmung des Integrationsamtes. Auch beträgt die Kündigungsfrist mindestens 4 Wochen, § 169 SGB IX. Weitere Sondervorschriften gelten für die außerordentliche Kündigung. Auch bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung ist das Integrationsamt eingeschaltet.

Außerdem ist die Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Kündigung zu beteiligen, eine Kündigung ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist unwirksam, § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX. Dies stellt eine Ergänzung der Beteiligung des Betriebsrats dar. 

Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 19. Dezember 2018 (Az.: 10 AZR 231/18) diese grundsätzliche Unwirksamkeit ausdrücklich festgestellt. Erfasst seien alle Kündigungen, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen könnten (BAG, a.a.O., Rn. 12). Unerheblich ist ein Bezug der Kündigung zu der Behinderung. 

Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung umfasst dabei Unterrichtung und Anhörung (BAG, a. a. O., Rn. 14).

Zwar sieht § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX eine Beteiligung innerhalb von 7 Tagen vor. Allerdings soll nach der Entscheidung des BAG eine Nachholungsmöglichkeit bis zur Durchführung oder dem Vollzug der Entscheidung bestehen (BAG, a. a. O., Rn. 17).

Dem Arbeitgeber verbleibt damit ein gewisser Spielraum, soweit es die zeitlichen Abläufe anbelangt. Vollständig vermeiden kann er die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nicht. Denn in einem gegebenenfalls zu führenden Kündigungsschutzverfahren wird das zuständige Arbeitsgericht in diesem Fall die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen, ohne dass es auf sonstige Aspekte ankommt.

Weiter hat eine schwerbehinderte Person einen zusätzlichen Urlaubsanspruch. Dieser beläuft sich nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auf 5 Arbeitstage pro Jahr. Für gleichgestellte Personen gilt dieser zusätzliche Anspruch nicht.

Weitere Schutzmaßnahmen zugunsten Schwerbehinderter

Bereits im Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3 Satz 2) ist geregelt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Dies schlägt selbstverständlich auch auf Arbeitsverhältnisse durch.

Spezialgesetzlich ist dies in § 164 Abs. 2 SGB IX geregelt. Diese Vorschrift verweist wiederum auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dessen Regelungen bleiben allerdings einem eigenen Tipp vorbehalten.

Weiter haben Schwerbehinderte gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf

  1. eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,
  2. bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,
  3. Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außenbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,
  4. behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,
  5. Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen

unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung, § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

In welchen Betrieben müssen Schwerbehinderte beschäftigt werden?

Insbesondere für Arbeitgeber ist natürlich wichtig, ob sie überhaupt verpflichtet sind, Schwerbehinderte zu beschäftigen. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die erheblichen Ansprüche Schwerbehinderter auf zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers.

Grundsätzlich sind private und öffentliche Arbeitgeber mit im Jahresdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, auf mindestens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, § 154 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. 

Solange ein Arbeitgeber nicht die entsprechende Anzahl schwerbehinderter Menschen beschäftigt hat er gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine Ausgleichsabgabe zu entrichten, die derzeit zwischen 125,00 und 320,00 Euro monatlich liegt. 

Dies bedeutet nicht, dass ein echtes Wahlrecht des Arbeitgebers vorliegt. Solange der Arbeitgeber keine ausreichende Quote schwerbehinderter Menschen beschäftigt verstößt er gegen geltendes Recht, er kann sich nicht „freikaufen“. Allerdings besteht auch kein Einstellungsanspruch eines schwerbehinderten Menschen, sodass im Ergebnis keine Pflicht des Arbeitgebers besteht, einen bestimmten Arbeitnehmer einzustellen.

Die Pflichten des Arbeitgebers bei der Besetzung freier Stellen

Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob eine freie Stelle mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Hierzu ist frühzeitig Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. 

Über Vorschläge der Bundesagentur für Arbeit ist der Schwerbehindertenvertretung Mitteilung zu machen. Auch sonst ist die Schwerbehindertenvertretung in dem Prüfungs- und Einstellungsverfahren stark eingebunden. 

Arbeitgeber sollten darauf achten, die Kontakte mit der Agentur für Arbeit und die Einbindung der Schwerbehindertenvertretung, sowie den gesamten Prüfungsprozess gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vollumfänglich zu dokumentieren. 

Wird nämlich ein schwerbehinderter Mensch nicht eingestellt, obwohl er sich beworben hatte, so wird nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2011, Az.: 8 AZR 608/10) anzunehmen sein, dass die getroffene Einstellungsentscheidung diskriminierend zu Lasten dieses schwerbehinderten Menschen war. Widerlegt werden kann diese Vermutung insbesondere durch den Nachweis ordnungsgemäßer Prüfung und Auswahlentscheidung.

Zu beachten ist, dass die Frage nach einer Schwerbehinderung im Einstellungsverfahren und bis zu 6 Monate nach Begründung eines Arbeitsverhältnisses unzulässig ist. 

Sie sind Arbeitgeber und haben Fragen zur Einstellung von oder dem Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen?

Sie sind als schwerbehinderter Mensch in einem Unternehmen beschäftigt und haben Fragen zu Ihren Rechten etwa wegen Diskriminierung oder Kündigung?

Das Versorgungsamt hat aus Ihrer Sicht Ihre Beeinträchtigungen falsch bewertet oder aus anderen Gründen einen GdB festgesetzt, der nicht Ihrer Einschätzung entspricht?

Bei diesen und weiteren Fragen stehe ich Ihnen gern mit Rat und Tat zur Seite.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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