Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach § 79 Abs.1 BVerfGG

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Grundsätzlich kann die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nach §§ 359 ff. StPO auf die tatsächliche Fehlerhaftigkeit des Urteils gestützt werden, wobei die Tatsachengrundlage - Punkt II. und II. der Urteilsfeststellungen - den Angriffspunkt bildet. Eine systematische Ausnahme bildet hier § 79 Abs.1 BVerfGG. Hiernach ist die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens auch im Falle der Rechtsfehlerhaftigkeit eines Urteils möglich. Nach der vorstehenden Norm ist „gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig." Es handelt sich insoweit um einen eigenständigen Wiederaufnahmegrund, welcher im Falle einer verfassungswidrigen Verurteilung zum Tragen kommen kann - nicht aber bei Freisprüchen auf verfassungswidriger Grundlage. Zu beachten ist zudem, dass sich § 79 Abs.1 BVerfGG - zumindest nach überwiegender Auffassung - nur auf Normen des materiellen Rechts bezieht, jedoch nicht auf Vorschriften aus dem Strafprozessrecht oder dem Gerichtsverfassungsgesetz. Nach BVerfGE 11, 263, 265; 12, 338, 340 ist insgesamt eine restriktive Auslegung angezeigt. Allerdings lässt sich in jüngster Zeit eine etwas großzügigere Handhabung der Vorschrift feststellen (vgl. BGHSt 42, 314, 318ff.). Zu unterscheiden sind im Kern drei Anwendungsfälle der Norm:

1. Ein Wiederaufnahmeverfahren kommt zunächst dann in Betracht, wenn das Bundesverfassungsgericht gemäß § 78 BVerfGG ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung für nichtig erklärt hat. Hierbei ist unerheblich, ob diese Feststellung im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs.1 GG) oder im Verfahren einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs.1 Nr.2 GG getroffen wurde.

2. Zudem lässt sich der Wiederaufnahmeantrag auf § 79 Abs. 1 BVerfGG stützen, wenn das Bundesverfassungsgericht die für die Verurteilung maßgebliche Norm zwar nicht für nichtig, jedoch für mit dem Grundgesetz als unvereinbar erklärt hat. Eine solche Feststellung kann im Rahmen einer Normenkontrolle oder einer Verfassungsbeschwerde getroffen werden.

3. Schließlich ist ein Wiederaufnahmeverfahren möglich, wenn die Strafnorm durch das erkennende Gericht in einer verfassungswidrigen Art und Weise ausgelegt worden ist, welcher durch das Bundesverfassungsgericht als unvereinbar mit dem Grundgesetz befunden wurde. Hierbei handelt es sich um den klassischen Fall einer erfolgreichen Urteils-Verfassungsbeschwerde. Nach Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen ist ein solcher Fall beispielsweise bei Doppelverurteilungen gegeben, wenn dem erkennenden Gericht eine frühere Verurteilung bekannt war und es im Rahmen der nachfolgenden Entscheidung somit die verfassungsrechtlichen Grenzen des prozessualen Begriffs verkannt hat. Insgesamt kann somit folgendes festgestellt werden: Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach der Norm des § 79 BVerfGG stellt sicherlich eine exotische Ausnahme im Bereich des Wiederaufnahmerechts dar. Dennoch lohnt es sich für den Strafverteidiger, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Auge zu behalten. Gegebenenfalls kann es im Sinne des Mandanten angezeigt sein, nun zunächst die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Normanwendung durch das Verfassungsgericht feststellen zu lassen, um anschließend ein erfolgreiches Wiederaufnahmeverfahren betreiben zu können. Bei Fragen zu Wiederaufnahmeverfahren erreichen Sie mich unter 0201 / 799 160 04 oder info@ra-odebralski.de


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