Diesel-Abgasskandal: Auch OLG Jena will VW verurteilen / Zweifel an Nutzungsentschädigung

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Nach Hamburg und Brandenburg will mit Jena das nächste Oberlandesgericht die Volkswagen AG im Diesel-Abgasskandal in Haftung nehmen und zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen. 

Der 7. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena (Az. 7 U 537/19) machte in einer Berufungsverhandlung vom 10. Dezember 2019 deutlich, dass der Senat dazu tendiere, ein „sittenwidriges schädliches“ Verhalten nach Paragraph 826 BGB von VW anzunehmen. 

Mit Jena hat sich das 17. von 24 Oberlandesgerichten für eine verbraucherfreundliche Rechtsprechung entschieden. Die OLG in Hamburg und Brandenburg zweifeln sogar die Sinnhaftigkeit der bisher gängigen Praxis der Nutzungsentschädigung für VW an.

OLG Hamburg und Brandenburg stellen Nutzungsentschädigung auf den Prüfstand

„Es lässt sich nicht mehr wegdiskutieren: Die Rechtsprechung hat sich seit Beginn des VW-Skandals im September 2015 eindeutig zugunsten der Verbraucher entwickelt. VW hat vor Gericht kaum noch eine Chance“, freut sich Dr. Ralf Stoll von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr. Die Verbraucher-Kanzlei gehört zu den führenden im Abgasskandal. 

Die Inhaber vertreten darüber hinaus rund 450.000 Verbraucher in der Musterfeststellungsklage gegen VW. Besonders erfreulich für die Verbraucher ist die Tendenz der vergangenen Wochen, dass an Oberlandesgerichten sogar die Sinnhaftigkeit der Nutzungsentschädigung für VW in Zweifel gezogen wird. 

Das Hanseatische Oberlandesgericht regte am 13. Januar 2020 an, dass die Dieselfahrer weniger für die Nutzung ihrer Fahrzeuge zahlen sollten (Az. 15 U 190/19). Auch am Oberlandesgericht Brandenburg gibt es massive Zweifel daran, warum VW vom Diesel-Abgasskandal durch eine Nutzungsentschädigung profitieren sollte. 

Mit der Entschädigung reduziert sich der von VW an die Kläger zu zahlende Schadensersatz. Die Hinweise aus Hamburg und Brandenburg lassen rund drei Monate vor der ersten Verhandlung zum Diesel-Skandal vor dem Bundesgerichtshof BGH am 5. Mai 2020 aufhorchen. Da könnte es durchaus sein, dass die BGH-Richter die Nutzungsentschädigung ähnlich einschätzen wie ihre Kollegen in Hamburg und Brandenburg.

Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hofft jetzt auf den Bundesgerichtshof

„Die beiden Hinweise aus Hamburg und Brandenburg geben Grund zur Hoffnung, dass der BGH das Thema Nutzungsentschädigung ähnlich entscheiden könnte“, vermutet auch Dr. Ralf Stoll. „Letztlich wäre es ja absurd, wenn VW durch die Entschädigung und seine gerichtliche Hinhaltetaktik noch wirtschaftlich profitiert. Das muss verhindert werden“. 

Eingeleitet hat diesen Umschwung in der Rechtsprechung maßgeblich der BGH mit seinem Hinweisbeschluss vom 8. Januar 2019 (Az. VIII ZR 225/17). Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgasreinigung bezeichnet er als mangelhaft. Auch deshalb sieht Stoll weiterhin gute Chancen für die Verbraucher gegen VW gerichtlich vorzugehen. „Denn klar ist, dass die Diesel-Fahrzeuge durch die Manipulation am Motor in ihrem Wert gemindert sind“, betonte der Verbraucher-Anwalt weiter. 

Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal von VW herausfinden. Die Fälle werden kostenlos und individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt.

OLG Jena sieht sittenwidriges Verhalten von VW im Diesel-Skandal

Im Sitzungsprotokoll des Oberlandesgerichts Jena heißt es wörtlich:

„Der Senat neigt dazu, der in der oberlandesgerichtliehen Rechtsprechung vertretenen Auffassung zu folgen, wonach die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach haftet. Der Senat tendiert mithin dazu, ein sittenwidriges schädigendes Verhalten der Beklagten anzunehmen. 

Da der Schadensersatzanspruch des Klägers bereits mit dem Erwerb des (mangelbehafteten) Fahrzeugs entstanden ist, führt die im Juli 2017 erfolgte Nachrüstung (Software-Update) nicht zu einer anderen Betrachtung. Der Schaden ist einmal eingetreten; mag im Kauf- und Gewährleistungsrecht der Kunde auf eine Nachbesserung verwiesen werden können, das Deliktrecht kennt eine solche Option nicht.“

Für das Gericht ist letztlich klar, dass selbst eine nachträgliche Schadensbeseitigung durch das Software-Update den entstandenen Schaden nicht wiedergutmacht. „Denn der Schaden des Klägers besteht nicht in einem ‚schlechteren‘, mangelbehafteten Fahrzeug, sondern in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags“. Besonders spannend ist der Hinweis in dem Protokoll, dass die Richter der Auffassung der „oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung“ folgen wollen, VW nach 826 BGB zu verurteilen. 

Diesem „Folgen“ wird sich auch das Oberlandesgericht Braunschweig nicht entziehen können, das bisher geschlossen eine Haftung von VW ausschloss. In der zweiten mündlichen Verhandlung der Musterfeststellungsklage gegen VW vor dem OLG Braunschweig machte am 18. November 2019 der Vorsitzende Richter bereits deutlich, dass er sich in der nächsten Verhandlung die neue Rechtsprechung der OLG-Kollegen genauer anschauen wolle. 

Er riet daher in Richtung VW, in Vergleichsverhandlungen einzusteigen. Ein klares Signal: Auch in Braunschweig hat ein Umdenken zugunsten der Verbraucher stattgefunden.

OLG zweifeln an Nutzungsentschädigung

Der 15. Zivilsenat am Hanseatischen Oberlandesgericht kritisierte in einem Hinweisbeschluss vom 13. Januar 2020 (Az. 15 U 190/19) die Praxis der Nutzungsentschädigung. Gewinnen Diesel-Fahrer gegen VW vor Gericht, müssen sie in der Regel eine sogenannte Entschädigung für die Benutzung der Fahrzeuge bezahlen. 

Dies führt dazu, dass der erstrittene Schadensersatz gemindert wird. Und diese simple Gleichung macht sich VW zunutze, indem der Autobauer die Verfahren in die Länge zieht, um so die Entschädigung in die Höhe zu treiben und die Zahlung an den Verbraucher zu minimieren. 

Diesen Umstand rügten die Richter in Hamburg in ihrem Beschluss ausdrücklich. Sie regten an, dass im aktuellen Fall der Kläger nur für den Zeitraum bezahlen müsse, bis er VW zur Rückabwicklung des Kaufs aufgefordert hat.

Das Oberlandesgericht Brandenburg zweifelte in einem Gütetermin (Az. 3 U 61/19) vom 17. Dezember 2020 ebenfalls an der Nutzungsentschädigung. Der Senat sieht gute Argumente, die Entschädigung nicht zu gewähren. 

Der Kläger habe den Kaufvertrag durch die Täuschung von VW unfreiwillig abgeschlossen. Die Nutzungsentschädigung würde VW Kapital in die Hände spielen, das sich der Autobauer durch Täuschung erschlichen hat. Der Senat stellte daher die Überlegung an, dass dem Geschädigten im Falle des Abzugs einer Nutzungsentschädigung ebenfalls eine Kompensation zusteht. 

Jedenfalls dürfe die Nutzungsentschädigung nicht aus dem vollen Kaufpreis berechnet werden, da das Fahrzeug aufgrund des gravierenden Mangels von Anfang an einen Minderwert in sich trug. Auch die Rechtsprechung beim Thema Nutzungsentschädigung hat sich gegen VW gewandt. Tenor von zahlreichen Gerichten: Eine Nutzungsentschädigung führe zu einer „unbilligen Entlastung des Beklagten“ – zumal dieser den Kunden vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt habe. Zudem dürfe der Kläger nicht unverhältnismäßig belastet werden.

Dr. Stoll & Sauer führt Musterfeststellungsklage gegen VW mit an 

Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. 

Die Kanzlei führt mehr als 2000 Verfahren gegen verschiedene Autobanken wegen des Widerrufs von Autokrediten. Im Widerrufsrecht bezüglich Darlehensverträgen wurden mehr als 5000 Verbraucher beraten und vertreten. Daneben führt die Kanzlei mehr als 12.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten.


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