Diesel-Abgasskandal: OLG Hamburg und Brandenburg zweifeln Nutzungsentschädigung für VW an

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Im Diesel-Abgasskandal wird es für die Volkswagen AG vor Gericht immer enger. Das Hanseatische Oberlandesgericht regt an, dass die Dieselfahrer weniger für die Nutzung ihrer Fahrzeuge zahlen sollten. Auch am Oberlandesgericht Brandenburg gibt es massive Zweifel daran, warum VW vom Diesel-Abgasskandal durch eine Nutzungsentschädigung profitieren sollte. Mit der Entschädigung reduziert sich der von VW an die Kläger zu zahlende Schadensersatz. Die Hinweise aus Hamburg und Brandenburg lassen rund drei Monate vor der ersten Verhandlung zum Dieselskandal vor dem Bundesgerichtshof (BGH) am 5. Mai 2020 aufhorchen. „Insgesamt hat sich die Rechtsprechung seit Beginn des Skandals im September 2015 zugunsten der Verbraucher entwickelt. VW muss und wird zur Rechenschaft gezogen“, freut sich Dr. Ralf Stoll von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr. Die Verbraucher-Kanzlei gehört zu den führenden im Abgasskandal. Die Inhaber vertreten darüber hinaus rund 450.000 Verbraucher in der Musterfeststellungsklage gegen VW.

OLG zweifeln an Nutzungsentschädigung

Der 15. Zivilsenat am Hanseatischen Oberlandesgericht stellte in einem Hinweisbeschluss vom 13. Januar 2020 (Az. 15 U 190/19) in Aussicht, dass die Klägerin gegenüber VW einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß Paragraf 826 BGB hat. Damit sieht das OLG die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung als gegeben an und schließt sich der Mehrheit der deutschen OLG an. Spannend ist es in Hamburg beim Thema Nutzungsentschädigung geworden. Gewinnen Dieselfahrer gegen VW vor Gericht, müssen sie in der Regel eine sogenannte Entschädigung für die Benutzung der Fahrzeuge bezahlen. Dies führt dazu, dass der erstrittene Schadensersatz gemindert wird. Und diese simple Gleichung macht sich VW zunutze, indem der Autobauer die Verfahren in die Länge zieht, um so die Entschädigung in die Höhe zu treiben und die Zahlung an den Verbraucher zu minimieren. Diesen Umstand rügten die Richter in Hamburg in ihrem Beschluss ausdrücklich. Sie regten an, dass im aktuellen Fall der Kläger nur für den Zeitraum bezahlen müsse, bis er VW zur Rückabwicklung des Kaufs aufgefordert hat. Eine darüberhinausgehende Zahlung führe zu einer „unbilligen Entlastung des Beklagten“ – zumal dieser den Kunden vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt habe. Zudem dürfe der Kläger nicht unverhältnismäßig belastet werden.

Das Oberlandesgericht Brandenburg zweifelt in einem Gütetermin (Az. 3 U 61/19) vom 17. Dezember 2020 ebenfalls an der Nutzungsentschädigung. Der Senat sieht gute Argumente, die Entschädigung nicht zu gewähren. Der Kläger habe den Kaufvertrag durch die Täuschung von VW unfreiwillig abgeschlossen. Die Nutzungsentschädigung würde VW Kapital in die Hände spielen, das sich der Autobauer durch Täuschung erschlichen hat. Der Senat stellte daher die Überlegung an, dass dem Geschädigten im Fall des Abzugs einer Nutzungsentschädigung ebenfalls eine Kompensation zusteht. Jedenfalls dürfe die Nutzungsentschädigung nicht aus dem vollen Kaufpreis berechnet werden, da das Fahrzeug aufgrund des gravierenden Mangels von Anfang an einen Minderwert in sich trug. Demzufolge müsste man den Kaufpreis „fiktiv“ ansetzen. Die abschließenden Beratungen dauern noch an. Der Trend beim Thema Nutzungsentschädigung hat sich jedoch gegen VW gewandt – mehr dazu hier.

Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hofft jetzt auf den Bundesgerichtshof

„Die beiden Hinweise aus Hamburg und Brandenburg geben Grund zu Hoffnung, dass der Bundesgerichtshof am 5. Mai 2020 die Nutzungsentschädigung ähnlich entscheiden könnte“, vermutet Dr. Ralf Stoll. „Letztlich wäre es ja absurd, wenn VW durch die Entschädigung und seine gerichtliche Hinhaltetaktik noch wirtschaftlich profitiert. Das muss verhindert werden.“ Stoll sieht weiterhin gute Chancen für die Verbraucher gegen VW gerichtlich vorzugehen. „Denn klar ist, dass die Diesel-Fahrzeuge durch die Manipulation am Motor in ihrem Wert gemindert sind“, betonte der Verbraucher-Anwalt weiter. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal von VW herausfinden. Die Fälle werden kostenlos und individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt.

Von 24 Oberlandesgerichten haben sich inzwischen 19 Gerichte zur Haftung von VW für den Motor EA 189 geäußert. Lediglich das OLG Braunschweig und einzelne Senate der OLGs Bamberg, Koblenz und München haben eine Haftung von VW abgelehnt. 17 Gerichte haben VW dagegen nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung verurteilt bzw. im Fall der OLG Dresden, Hamburg, Frankfurt/Main und Jena, eine Verurteilung nach § 826 BGB angekündigt. Mittlerweile verurteilen 98 von 115 Landgerichten den VW-Konzern. Der BGH hat zudem am 8. Januar 2019 in einem sogenannten Hinweisbeschluss (Az. VIII ZR 225/17) Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgasreinigung als mangelhaft bezeichnet und auf diese Weise ein Umdenken an den untergeordneten Gerichten mit eingeleitet.

EuGH prüft Software-Update des Skandalmotors EA 189

Das Jahr 2020 wird im Diesel-Abgasskandal von VW zum Jahr der Entscheidungen. Besonders heikel für den Autobauer ist ein Verfahren vor dem EuGH. Das Verwaltungsgericht Schleswig lässt unter anderem das Software-Update für den Motor EA 189 von VW auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen. Mit dem Update sollte der Ausstoß an Stickoxide reduziert und an die europäischen Normen angepasst werden. „Wenn das Gericht das Update als eine unzulässige Abschalteinrichtung einstuft, sind die Fahrzeuge faktisch nicht verkehrsfähig“, sagte Ralph Sauer von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer. Dann beginne der Abgasskandal von vorne. Und am BGH in Karlsruhe soll am 5. Mai 2020 zum ersten Mal über den Diesel-Abgasskandal verhandelt werden. Da könnte über Nutzungsentschädigung und eventuell auch über das Software-Update entscheiden werden, unterstrich Sauer die Bedeutung der Verhandlung.

Welche weiteren Fragen warten im Diesel-Abgasskandal auf Klärung?

  1. Gibt es im Musterfeststellungsverfahren gegen VW vor dem Oberlandesgericht Oldenburg einen Vergleich oder doch noch ein Urteil? – mehr dazu hier.
  2. Ist eine Abschalteinrichtung im Abgaskontrollsystem von Motoren überhaupt zulässig? Autohersteller betonen stets, dass die eingebauten Abschalteinrichtungen zum Schutz des Motors notwendig sind – so wie es in der EU-Rechtsvorschriften stehe. Doch das ist Interpretationssache. Experten bestreiten das. Insgesamt liegen sieben Verfahren zu diesem Thema vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH und warten auf eine Entscheidung – mehr dazu hier.
  3. Gelten die von der EU festgesetzten Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, wie die Hersteller mittlerweile vor Gericht behaupten? Sogar das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat sich dieser Argumentation angeschlossen. „Jedoch gelten für die betroffenen Fahrzeuge keine gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte im Straßenbetrieb“, teilte das KBA dem ZDF-Magazin Frontal21 mit. Der BGH hat allerdings in seinem Hinweisbeschluss vom 8. Januar 2019 (VII ZR 225/111117) klargestellt, dass die Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb gelten müssen. Das Europäische Gericht sieht das im Dezember 2018 genauso, in dem es betont (Az. C 326/32), dass „die festgesetzten Grenzwerte für Stickoxidemissionen im tatsächlichen Fahrbetrieb einzuhalten sind“. Letztlich bricht das KBA hier Recht und Gesetz mit seiner Argumentation. Auch dieses Thema ist am EuGH anhängig – mehr dazu hier.
  4. Ist das Software-Update vom Skandalmotor EA 189 zulässig? Die Deutsche Umwelthilfe hat gegen das Update geklagt. Das letzte Wort wird wohl der EuGH haben – mehr dazu hier:
  5. Ein Software-Update von Mercedes ist gerade dahingehend aufgefallen, dass es bei Tests noch mehr Stickoxide in die Luft abgab – mehr dazu hier.
  6. Wann beginnt die Verjährung im EA 189-Fall? Die Frage ist völlig offen – mehr dazu hier. Nach 852 BGB sind sogar zehn, statt der üblichen drei Jahre möglich.
  7. Bekommt VW Nutzungsentschädigung? Immer mehr Gerichte wollen das „sittenwidrige“ Handeln, sprich den Betrug, nicht auch noch mit einer Nutzungsentschädigung honorieren – mehr dazu hier.
  8. Was, wenn der Kläger beim Kauf vom Diesel-Abgasskandal informiert war? Bisher haben Oberlandesgerichte in Deutschland solche Klagen abgewiesen. Seit dem 16. Januar 2020 hat auch hier ein Umdenken stattgefunden. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat festgestellt, dass das Kläger-Wissen keine Rolle spielen darf. Auch hier dürfe der Betrug nicht nachträglich honoriert werden – mehr dazu hier.
  9. VW hat zugegeben, dass auch im neuen Motor, dem EA 288, eine Abschalteinrichtung das Abgaskontrollsystem manipuliert. Ist diese Abschalteinrichtung auch illegal, wie es das Landgericht Duisburg ausgeurteilt hat? 

Dr. Stoll & Sauer führt Musterfeststellungsklage gegen VW mit an 

Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Kanzlei führt mehr als 2000 Verfahren gegen verschiedene Autobanken wegen des Widerrufs von Autokrediten. Im Widerrufsrecht bezüglich Darlehensverträgen wurden mehr als 5000 Verbraucher beraten und vertreten. Daneben führt die Kanzlei mehr als 12.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten.

In dem renommierten JUVE Handbuch 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020 wird die Kanzlei in der Rubrik Konfliktlösung – Dispute Resolution, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten besonders empfohlen für den Bereich Kapitalanlageprozesse (Anleger). Die Gesellschafter Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer führen in der RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) außerdem die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG. Im JUVE Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei deshalb für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.


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