Diesel-Wende: BGH Gericht kippt bisherige Rechtsprechung

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Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal wurden ergänzt und teilweise aufgehoben. Mit Urteilen vom 26. Juni 2023 hat das Gericht festgestellt, dass Käufer von Diesel-Fahrzeugen Schadensersatz verlangen können, wenn eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung, auch als "Thermofenster" bekannt, die Abgasreinigung manipuliert. Der BGH hat drei exemplarische Fälle von VW, Audi und Mercedes verhandelt, die Auswirkungen auf die gesamte Automobilbranche haben. Damit hat der BGH ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21. März 2023 umgesetzt, das die Hürden für Schadensersatzansprüche von Autokäufern deutlich gesenkt hat, insbesondere im Hinblick auf das Thermofenster. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer sieht die Möglichkeit einer Welle neuer Klagen, da das Thermofenster bei den meisten Herstellern wie Volkswagen, Audi, Mercedes, BMW, Opel und Fiat als Industriestandard gilt. Dr. Stoll & Sauer rät Betroffenen zur anwaltlichen Beratung im kostenlosen Online-Check. Mehr Infos zu den Entwicklungen am EuGH und BGH gibt es auf unseren Spezial-Websites.


Die BGH-Urteile ermöglichen einen Schadensersatz von fünf bis 15 Prozent im Diesel-Skandal


Seit der Äußerung des Europäischen Gerichtshofs im Sommer 2022, dass die Hürden für Verbraucheransprüche gegen die Diesel-Hersteller gesenkt werden sollen, wurden die meisten Gerichte auf die Entscheidungen der beiden obersten Gerichte gewartet und die Diesel-Verfahren ausgesetzt. Jetzt herrscht endlich Klarheit, die dringend gebraucht wurde. Beim BGH sind noch rund 2.000 Dieselverfahren anhängig, während es in den unteren Instanzen etwa 100.000 sind. Mit dem neuen Diesel-Urteil hat der BGH Leitlinien für die unteren Instanzen im Diesel-Abgasskandal festgelegt. Zusammengefasst hat der BGH im Dieselskandal folgende Entscheidungen getroffen:

  • Das Gericht hat einen neuen Schadensersatzbegriff eingeführt, den sogenannten "Differenzschaden". Nach Ansicht des Gerichts haben die getäuschten Verbraucher durch die Abgasmanipulation nicht nur Vertrauen verloren, sondern auch hypothetisch einen Schaden erlitten. Dieser Schaden resultiert aus möglichen Stilllegungen der Fahrzeuge, wenn sie nicht in einen gesetzeskonformen Zustand gebracht werden können, sowie aus einem potenziell geringeren Verkaufserlös beim Weiterverkauf. Der "Differenzschaden" bezieht sich auf die Differenz zwischen dem tatsächlichen Kaufpreis und dem Wert des Fahrzeugs ohne Abgasmanipulation. 
  • Der BGH erkennt an, dass das europäische Recht auch den Schutz der Verbraucherrechte umfasst. Bisher hatte der BGH den sogenannten Drittschutz abgelehnt. Darüber hinaus verlangte der BGH bisher für Schadensersatzansprüche den Nachweis vorsätzlichen Handelns seitens der Autohersteller (BGB §826). Nach dem EuGH-Urteil genügt bereits der Nachweis fahrlässigen Handelns. Der BGH folgt dieser Rechtsauffassung, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Damit hat der BGH seine bisher strenge Rechtsprechung im Diesel-Abgasskandal aufgehoben.
  • Da illegale Abschalteinrichtungen in nahezu allen Dieselmotoren zu finden sind, bestehen mit dem Urteil Ansprüche gegen fast alle Hersteller von Dieselfahrzeugen. Das umstrittene Thermofenster, das die Abgasreinigung von der Außentemperatur abhängig macht, gilt als Industriestandard bei den Herstellern. Der EuGH betrachtet das Thermofenster als illegal.
  • Bei Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung haben Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 5 bis 15 Prozent, aufgrund möglicher Stilllegungen der Fahrzeuge. Die Hersteller müssen nachweisen, dass sie nicht vorsätzlich und sittenwidrig oder fahrlässig gehandelt haben, sondern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlagen. Wenn sie das nachweisen können, besteht kein Haftungsanspruch. Diese Frage muss von Landgerichten und Oberlandesgerichten geprüft werden. 

 Risiken und Chancen durch die neuen Diesel-Urteile des BGH.

 Die Anwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer bewertet die Entwicklung im Abgasskandal am EuGH und BGH wie folgt:

  • In der Vergangenheit waren viele Verfahren aufgrund der strengen Haftungsmaßstäbe des BGH nicht erfolgreich. Es musste nachgewiesen werden, dass die Hersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hatten. Diese Situation hat sich nun geändert, da der EuGH die Hürden für Schadensersatzansprüche gesenkt hat und der BGH dieser Rechtsprechung gefolgt ist. 
  • Da sich in den meisten Dieselmotoren zumindest das Thermofenster befindet, bestehen Schadensersatzansprüche gegen fast alle Hersteller von Dieselfahrzeugen. 
  • Es besteht die reale Gefahr der Stilllegung von Fahrzeugen. Der EuGH hat festgestellt, dass Thermofenster unzulässig sind, und nationale Gerichte müssen Maßnahmen ergreifen. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat in einem Urteil zum VW-Software-Update deutlich gemacht, dass eine Stilllegung droht, wenn das Thermofenster im Update für den Dieselmotor EA189 nicht entfernt wird. Thermofenster wurden in nahezu allen Diesel-Fahrzeugen der EURO 5 bis EURO 6b-Normen verwendet. Die Deutsche Umwelthilfe plant Klagen gegen betroffene Fahrzeuge, und Stilllegungen oder teure Nachrüstungen mit Harnstoff könnten die Folge sein. Die Fahrzeugeigentümer tragen die Konsequenzen. 
  • Auch Staatshaftungsklagen sind möglich. Dr. Stoll & Sauer sind überzeugt, dass der Staat haftbar gemacht und verklagt werden kann. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat bei der Zulassung der Fahrzeuge nicht ausreichend geprüft, ob unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet wurden. Bisher hatte der Bundesgerichtshof im Diesel-Abgasskandal diese Haftung abgelehnt. Die Richter waren der Meinung, dass die individuellen Käufer nicht durch die Gesetze geschützt werden sollten, die den Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen verbieten. Diese Gesetze sollten ausschließlich dem Umweltschutz dienen. Der Europäische Gerichtshof sieht das jedoch anders und hat betont, dass die Verbraucher den sogenannten Drittschutz genießen. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Verbraucher, die vom Diesel-Abgasskandal betroffen sind, mit erheblichen finanziellen Einbußen aufgrund von Fahrverboten, Stilllegungen und Wertverlusten rechnen müssen, sofern sie ihre Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine individuelle Klage einreichen, da die Chancen nach der aktuellen Rechtsprechung sehr gut stehen. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Der konkrete Fall wird geprüft, und es wird eine Ersteinschätzung abgegeben, bevor eine gemeinsame Vorgehensweise gegen den Autobauer festgelegt wird.


Foto(s): Pixabay

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