Digitale Untreue und Verschulden bei der Ehetrennung

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Die Treue

Der Begriff der Treue wird im Zivilgesetzbuch explizit angeführt und zwar im Art. 143 ZGB der da lautet:

„Mit der Eheschließung erwerben Ehemann und Ehefrau die gleichen Rechte und übernehmen die gleichen Pflichten. 

Aus der Ehe entspringt die gegenseitige Pflicht zur Treue, zum geistigen und materiellen Beistand, zur Mitarbeit im Interesse der Familie und zum Zusammenleben.

Beide Ehegatten sind, jeder entsprechend seinem Vermögen und seiner Fähigkeit zu Berufsausübung oder Haushaltsführung, verpflichtet, zur Deckung der Bedürfnisse der Familie beizutragen.“

Die Verpflichtung zur Treue gehört zu den Pflichten im Eheleben und gehört zu der Kategorie der unabänderbaren Wirkungen, d.h. es ist auch nicht möglich, dass die Eheleute eine anderslautende Abmachung treffen (sog. Treuedispens).

Das Zivilgesetzbuch ist in seiner ursprünglichen Fassung natürlich immer von der physischen Untreue ausgegangen, sprich von einer außerehelichen Affäre oder Beziehung mit einer anderen Person.

In der heutigen Zeit ist die sog. digitale Untreue immer mehr zu einem relevanten Thema geworden, in der Rechtsprechung haben sich folgende Prinzipien und Unterscheidungen herauskristallisiert.

Arten der digitalen Untreue

Grundsätzlich kann man drei Stufen von digitaler Untreue unterscheiden:

  1. Personen lernen sich über Internet etc. kennen und tauschen sich über Nachrichtendienste aus bzw. unterhalten und verabreden sich. In diesem Zusammenhang ist das Internet lediglich ein Mittel, um die klassische – versuchte oder vollendete –  Untreue zu begehen. In anderen Worten ist hier das Internet unerheblich, da es lediglich ein Mittel zum Zweck (Untreue) darstellt. Von der beweistechnischen Seite her, sind Chatverläufe, Suchanfragen etc. relevant, aber nur, damit die Untreue bzw. die Anbahnung dieser Untreue nachgewiesen werden kann.
  2. Das Internet kann allerdings auch substanzielle rechtliche Relevanz entfalten, wenn die untreuen Personen sich ausschließlich über das Medium Internet unterhalten und austauschen, ohne einen realen Kontakt zu planen. Wenn es nie zum geringsten körperlichen Kontakt zwischen den Personen kommt, so fehlt dem untreuen Verhalten die körperliche Substanz. Es handelt sich hierbei um rein platonische Untreue, die mittels moderner Informationstechnologien und Medien begangen wird.
  3. Die dritte und letzte Form der digitalen Untreue zeichnet sich dadurch aus, dass es gänzlich am Gegenüber mangelt und der untreue Ehepartner rein virtuell untreu wird. Dies kann bspw. durch anonyme Chats oder Webcam-striptease, aber auch mittels rein virtuell erzeugter Bilder und Reize geschehen. Dadurch wird das Konzept der Untreue von den altbekannten Konzepten des Ehebruchs etc. vollkommen losgelöst. Der italienische Begriff des Ehebruchs (adulterio) stammt vom lateinischen ad alterum, dem anderen sich hingeben. In diesem Fall fehlt es an dieser anderen Person gänzlich. Inwieweit dies ein schädigendes Verhalten für das Eheleben darstellt, gilt es einzelfallbezogen abzuklären.

Das Konzept der Untreue in der Praxis

Bei einer streitigen Ehescheidung ist es für die klagende Partei entscheidend, den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der anderen Partei und der Zerrüttung der Ehe nachzuweisen. Insbesondere stellt sich durch die Kombination des neuen Treuebegriffs und der modernen Informationstechnologien dabei das Problem, inwieweit Handlungen über das Internet, wie bspw. das Senden von Kurznachrichten, direkt kausal für die Zerrüttung der Ehe sein können und so zu einem Verschulden führen.

Seit 2008 interpretiert der Kassationsgerichtshof die Treuepflicht unter Eheleuten als eine Loyalitätspflicht, womit ein untreues Verhalten nicht mehr zwangsweise in einer körperlichen Handlung bestehen muss, sondern sich viel mehr in jeder Handlung, welche das „spirituelle“ Vertrauen des anderen Ehegatten beeinträchtigt, niederschlägt. Man spricht daher auch von einem immateriellen Treuebegriff. Diesem an sich weiten Treuebegriff kommt durch das Internet und dort befindliche Partnerportale, Erotikseiten u.ä. besondere Bedeutung zu.

Gemäß Art. 151 Abs. 2 ZGB entscheidet das Gericht, welchem der Ehegatten das Verschulden aufgrund der Verletzung der Treuepflicht laut Art. 143 Abs. 2 ZGB an der Zerrüttung der Ehe zukommt. Gemäß der aktuellen Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofes erlangt untreues Verhalten lediglich wenn es den anderen Ehepartner in dessen Würde oder Ansehen schadet rechtliche Relevanz für die Beurteilung eines eventuellen Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe. Es müssen sich also Auswirkungen nach außen hin, für Dritte ersichtlich, bemerkbar machen. Der Kassationsgerichtshof richtet sich bei der Beurteilung von Untreuefällen nach den Kriterien für die schwere Beleidigung (ingiuria grave), wonach zumindest das soziale Ansehen des Anderen geschädigt sein muss. Ein untreues Verhalten, welches nicht in einem Ehebruch besteht, und für Dritte – also nach außen hin – nicht ersichtlich ist, kann sohin lediglich zu einem unerträglichen Zusammenleben nach Art. 151 Abs. 1 ZGB, nicht allerdings zu einem Verschulden aufgrund von Verletzungen der Treuepflicht führen. Dadurch ergibt sich eine zweischneidige Beurteilung der Untreue: auf der einen Seite muss ein untreues, das Vertrauensverhältnis störendes Verhalten vorliegen, auf der anderen Seite muss dieses Verhalten auch Auswirkungen auf Würde und Ansehen bzw. die Öffentlichkeit haben.

Nach diesen Prinzipien müssen auch die rein platonische Untreue ohne jeglichen körperlichen Kontakt und die drei möglichen Fälle digitaler Untreue beurteilt werden, denn bereits mit Urteil Nr. 9472 vom 7. September 1999 hat der Kassationsgerichtshof klargestellt, dass auch scheinbare – also u.a. platonische – Untreue mit der klassischen Untreue gleichzusetzen ist.  

Mit Urteil Nr. 9384 vom 16. April 2018 hat der Kassationsgerichtshof bestätigt, dass der Ehepartner, welcher online andere Partner sucht, die Treuepflicht gemäß Art. 143 ZGB verletzen kann. Im betreffenden Fall hatte der Ehemann online nach anderen Partnerinnen gesucht und die Ehefrau das gemeinsame Haus, nachdem ihr der Vorfall bekannt geworden war, verlassen. Die Suche nach anderen Partnern war vom Berufungsgericht als objektiv vertrauensschädigend und direkt kausal für die Zerrüttung der Ehe klassifiziert worden.

Zusammenfassend sei gesagt, dass auch in Fällen von virtueller Untreue immer der Kausalzusammenhang zwischen Untreuehandlungen und Zerrüttung der Ehe nachgewiesen sein muss und somit gezeigt werden muss, inwieweit dieses Verhalten effektiv für das eheliche Zusammenleben zuträglich ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Treuebegriff durch die Rechtsprechung auf eine geistige Ebene gehoben worden ist und nun mit Loyalitätspflichten sowie Ehre und Ansehen einhergeht. Das untreue Verhalten muss publik gemacht worden sein und eine öffentliche Ehrschädigung nachgewiesen werden.

Das Internet ermöglicht ein extrem weites Spektrum an untreuem Verhalten, wobei die Absicht hinter einzelnen Handlungen schwierig bis kaum nachweisbar ist. Hat jemand gechattet, um sich lediglich mitzuteilen oder war er konkret auf der Suche nach einem anderen Partner? Diese Fragen können bisweilen unbeantwortet bleiben, denn wenn das Verhalten die eheliche Vertrauensbasis vernichtet hat und der Ehepartner in seiner Würde und seinem Ansehen geschädigt wurde, kann das untreue Verhalten als kausal für die Zerrüttung der Ehe gewertet werden und folglich Basis für ein Verschulden sein.

Die Kirchengerichte unterscheiden zwischen gelegentlicher Untreue, welche keine Auswirkungen auf das Eheverhältnis hat, und die Untreue, welche Auswirkungen auf das Eheverhältnis hat. Die (staatlichen) Gerichte scheinen neuerdings allerdings dazu zu tendieren, auch gelegentliche, bloß virtuelle Untreueepisoden abzustrafen und als kausal für die Zerrüttung des Eheverhältnisses zu werten.

Als Beweise werden dazu häufig Chatprotokolle, Fotos, Videoaufzeichnungen oder sog. screenshots, welche aus den Mobilgeräten des untreuen Partners gezogen werden, verwendet. Dabei kommt regelmäßig der Einwand, dass es sich um unrechtmäßig erlangte und daher unzulässige Beweise handle – weil in Verletzung der Datenschutznormen und des strafrechtlich geschützten Briefgeheimnisses. In diesem Zusammenhang tendieren Familiengerichte dazu, die Beweise eher zuzulassen, da es keine spezifische Norm gibt, die sie verbietet. Es obliegt dem eigens anzurufenden Strafrichter oder der Datenschutzbehörde, zu entscheiden, ob ein Verstoß vorliegt und die entsprechenden Sanktionen auszusprechen.


Quellen:

Luciano Olivero, C’È POST PER TUA MOGLIE: INTERNET, INFEDELTÀ E ADDEBITO, in Nuova Giur. Civ., 2013, 10, 10938.

Luciano Olivero, L’INFEDELTÀ VIRTUALE. ITALIA E FRANCIA A CONFRONTO, in Nuova Giur. Civ., 2014, 11, 20510.

LUCA PEDULLÀ, L’infedeltà coniugale ai tempi di internet, in: http://www.rivistafamilia.it/wp-content/uploads/2018/04/SCARICA-COMMENTO-IN-PDF-4.pdf (aufgerufen am 06.03.2019).

Francesca Oriali, Tradimento online e addebito di separazione, in: https://miseparo.pianetadonna.it/separazione/separazione-con-addebito/tradimento-virtuale-addebito-separazione.html (aufgerufen am 07.03.2019).

Foto(s): https://www.pexels.com/de-de/foto/graustufenfoto-des-madchens-im-weissen-hemd-das-auf-autositz-sitzt-4947592/

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