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Entziehung des Sorgerechts setzt genaue und konkrete Feststellungen zur Kindeswohlgefährdung voraus

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Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit dem Sorgerecht befassen müssen. Hintergrund war, dass das Familiengericht beiden Eltern das Sorgerecht entzogen und das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht hat.

In der Beschwerde hat das OLG diesen Beschluss gehalten. In beiden Entscheidungen haben sich die Gerichte zum allergrößten Teil in ihrer Begründung lediglich auf ein Sachverständigengutachten gestützt, ohne eigene rechtliche und tatsächliche Würdigungen des Sachverhalts vorzunehmen.

Dies genügt nach Ansicht des BVerfG bei weitem nicht. Das Fachgericht darf sich nicht nur auf ein Gutachten beziehen und dies in seiner Beschlussbegründung ohne eingehende eigene rechtliche Würdigung der Sache mehr oder minder zitieren.

Nachfolgend wird aus der Presseerklärung des BVerfG vom 28.11.2014 zitiert. Besser kann man die Erforderlichkeit der sehr genauen Sach- und Rechtsprüfung nicht formulieren:

Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt es nur dann, ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen zu trennen, wenn die Eltern versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Das elterliche Fehlverhalten muss ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Dies setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung …

Die angegriffenen Entscheidungen verfehlen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenfeststellung weiterhin unter anderem deshalb, weil sie zwar auf mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingehen, ohne dass sich daraus aber ergibt, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die deswegen befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes sind, und weshalb diese Gefahren so gravierend sind, dass sie eine Fremdunterbringung legitimieren. Für die Fachgerichte ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG das Gebot, die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen und sie vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern zu bewerten. Stützen die Gerichte eine Trennung des Kindes von den Eltern – wie hier – auf Erziehungsdefizite und ungünstige Entwicklungsbedingungen, aus denen die erhebliche Kindeswohlgefährdung nicht ausnahmsweise geradezu zwangsläufig folgt, müssen sie sorgfältig prüfen und begründen, weshalb die daraus resultierenden Risiken für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes die Grenze des Hinnehmbaren überschreiten. Dies ist hier nicht geschehen.

Hinzu kam, dass der Sachverständige offensichtlich von Vorurteilen geleitet war und dem Kindsvater nicht unbelastet zugehört hat.

Die Entziehung des Sorgerechts beider Eltern und die Übertragung auf das Jugendamt stellen einen schwerwiegenden Eingriff in die Elternrechte dar, der sehr genau begründet und konkret vorgetragen werden muss. Das Jugendamt muss konkrete Gefahren für das Wohl des Kindes vortragen. Sich nur auf Erziehungsdefizite und ungünstige Entwicklungsbedingungen des Kindes zu stützen, reicht nicht aus. Dies führt viel zu weit und steht in keinem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in das Elternrecht.

Beschluss vom 19.11.2014, Az.: 1 BvR 1178/14


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