Erfolgreicher Befangenheitsantrag: Bestellung als Pflichtverteidiger willkürlich widerrufen

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Die Konstellation ist typisch für Strafverfahren, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers gesetzlich vorgeschrieben ist: Der bisherige Wahlverteidiger des Beschuldigten beantragt, seinem Mandanten als Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Dem Antrag des Verteidigers wird entsprochen. Der Beschuldigte wird damit weiterhin vom Anwalt seines Vertrauens verteidigt, dieser rechnet seine Gebühren jedoch fortan unmittelbar gegenüber der Staatskasse ab. Die Staatskasse verlangt diese Kosten im Fall einer Verurteilung vom Beschuldigten – nicht aber bei einem Freispruch oder bei einer Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen. Es ist daher regelmäßig im Interesse des Mandanten, auf die Bestellung als Pflichtverteidiger hinzuwirken.

Einigen Richtern ist diese Konstellation ein Dorn im Auge: Der Verteidiger kann in der Hauptverhandlung umfangreiche Tätigkeiten entfalten, ohne hierbei auf laufende Vorschüsse des – je nach Dauer und Intensität des Strafverfahrens wenig solventen – Mandanten angewiesen zu sein. Die Stimmung zwischen Verteidigung und Gericht ist hierdurch mitunter äußerst angespannt. In diesem Beitrag schildert Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel aus Cottbus einen Extremfall mit erfreulichem Ausgang.

Der Sachverhalt

Der (nach Auswahl durch den Angeklagten bestellte) Pflichtverteidiger beantragt sechs Tage vor Beginn einer auf mehrere Tage angesetzten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main ergänzende Akteneinsicht. Für eine sachgerechte Verteidigung ist dies unerlässlich: Die Verteidigung muss sich – auch was die Kenntnis des Verfahrensstandes anbelangt – auf Augenhöhe mit Staatsanwaltschaft und Gericht befinden. Es genügt nicht, die Akte während der Hauptverhandlung auf dem Richtertisch zu lesen. Das Gericht ist gehalten, bei Bedarf frühzeitig Doppelakten zu führen, um den Verfahrensbeteiligten die Akteneinsicht zu ermöglichen.

Anders sieht es der Vorsitzende der betreffenden Strafkammer in Frankfurt: Der Verteidiger erhält die Akte bis zum Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr. Hierauf stellt er einen Aussetzungsantrag. Die Hauptverhandlung wird antragsgemäß ausgesetzt. Allerdings widerruft man am Landgericht Frankfurt zugleich die Bestellung des Verteidigers wegen „mangelnder Zuverlässigkeit“. Zudem legt man ihm die Kosten der ersten Hauptverhandlung auf. Hierauf stellt der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung nach Aussetzung einen Befangenheitsantrag. Dieser wird zurückgewiesen: Es sei nicht ersichtlich, dass die Entbindungs- oder die Kostenentscheidung des Vorsitzenden willkürlich oder sachfremd sei. Der Angeklagte wird später unter Mitwirkung des Vorsitzenden verurteilt.

Die Revision gegen dieses Urteil hatte nun Erfolg (BGH, Urteil vom 23. September 2015 – 2 StR 434/14).

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat erfreulich deutliche Worte für das Verhalten des Vorsitzenden gefunden: Die Frage, ob ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen ist, wird vom Standpunkt des Angeklagten beurteilt. Maßgeblich ist, ob der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts befürchten muss, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit beeinträchtigen kann. An einer fehlerhaften Sachbehandlung oder an Verfahrensverstößen durch Irrtümer oder falsche Rechtsansichten lässt sich dem Grunde nach keine Befangenheit festmachen. Anders liegt es, wenn eine Entscheidung unvertretbar ist oder den Anschein der Willkür erweckt.

Letzteres ist der Fall. Die Kostenentscheidung ist offensichtlich rechtswidrig, ebenso der Widerruf der Bestellung als Pflichtverteidiger. Ein solcher kommt nur in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Der Zweck der Pflichtverteidigung besteht darin, die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten und den geordneten Ablauf des Verfahrens sicherzustellen. Zitat BGH: „Die – angeblich – verspätete Stellung eines ergänzenden Akteneinsichtsgesuchs durch den Verteidiger rechtfertigte es nicht, einen geordneten Verfahrensablauf für gefährdet zu halten. Vielmehr konnte diese Begründung den Eindruck erwecken, es handle sich um einen nur vorgeschobenen Grund, mit dem das Ziel verfolgt wurde, einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren zu entfernen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Fazit

Auf sachgerechtes Verteidigerhandeln muss nicht im Interesse einer „guten Stimmung“ mit dem Gericht verzichtet werden. Auch ein Strafverteidiger, der seinem Mandanten als Pflichtverteidiger bestellt ist, darf alle Mittel der StPO ausschöpfen, solange er damit den Interessen seines Mandanten dient. Die Entscheidung zeigt jedoch auch: Pflichtverteidiger, die nicht in erster Linie einer vermeintlichen Rolle als „Verfahrenssicherer“ gerecht werden, sind an vielen Gerichten die Ausnahme. Wer Beschuldigter eines Strafverfahrens ist, sollte sich daher so früh wie möglich um einen engagierten Strafverteidiger kümmern und keineswegs den Vorschlägen des Gerichts folgen, wenn es um die Auswahl eines Pflichtverteidigers geht.

Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel, Cottbus


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