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Europäisches Parlament entscheidet über Panoramafreiheit – Vorerst kein Aus für Urlaubs-Selfies

  • 6 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Das Ende für Urlaubs-Selfies! Urheberrechts-Extremismus! Zerstörung der Fotografie! Mit schwarzen Schablonen überlagerte Bilder baulicher Sehenswürdigkeiten auf Wikipedia! Die geplante Einschränkung der sogenannten Panoramafreiheit in der EU hat hohe Wellen geschlagen. Nun hat das Europäische Parlament (EP) über eine mögliche Abschaffung abgestimmt. Ergebnis: Voraussichtlich bleibt alles beim Alten. Was war dran an der Aufregung? Und was ist diese Panoramafreiheit überhaupt?

Posten von Urlaubsfotos verboten?

Verkürzt und allgemein ausgedrückt meint Panoramafreiheit, dass jedermann öffentlich sichtbare Werke einfach abbilden und die Abbildung anschließend verbreiten und veröffentlichen darf – konkret gesagt darf man also ein Bild von einer Sehenswürdigkeit machen und dieses ohne vorher um Erlaubnis zu fragen etwa bei Facebook posten oder sonst ins Netz stellen. Für viele klingt das ziemlich banal. Warum sollte ich mein Urlaubsfoto nicht online zeigen dürfen, wenn es ein bekanntes Bauwerk zeigt? Das macht doch inzwischen ständig jeder.

Dennoch: Das Urheberrecht einiger europäischer Länder setzt dem Schranken. Ohne vorherige Zustimmung des Rechtsinhabers droht eine Urheberrechtsverletzung. Mancherorts gilt das nur, falls man die Bilder kommerziell verwenden will. In einigen Ländern braucht man auch bei der Veröffentlichung zu nichtkommerziellen Zwecken – z.B. in einem privaten Blog – die vorherige Erlaubnis. Auch wenn viele Rechtsinhaber in diesem Fall ein Auge zudrücken – darauf verlassen sollte man sich nicht. Im Übrigen ist die Linie zwischen gewerblich und nichtgewerblich im Netz nicht immer klar. So lässt sich Facebook etwa umfangreiche Nutzungsrechte an hochgeladenen Inhalten einräumen. Der Hoster eines kostenlosen Privatblogs oder Image- und Videohoster wie YouTube können die Inhalte mit Werbung verknüpfen, die wiederum Geld einbringt.

Andere Länder, andere Regeln

Wie sieht es angesichts der derzeitigen Aufregung in verschiedenen EU-Ländern aus? Zunächst zur Panoramafreiheit in Deutschland. Auch hierzulande gilt grundsätzlich: Der Urheber eines Werkes soll nicht hilflos zusehen müssen, wie andere ungefragt ihre eigenen Vorteile daraus ziehen. Er kann das verbieten und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen. Ausnahmsweise lässt der mit „Werke an öffentlichen Plätzen“ überschriebene § 59 Urhebergesetz (UrhG) allerdings Folgendes zu. Werke und damit insbesondere Bauwerke und Kunstwerke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, darf man abbilden und das anschließend sogar kommerziell verwerten. Als Werk zählt alles, was eine gewisse Kreativität zeigt und aus dem architektonischen Einerlei herausragt.

Genauere Vorgaben entwickelte zudem die Rechtsprechung. Was unter bleibend zu verstehen ist, zeigt ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum einst durch den Künstler Christo verhüllten Reichstag. Demnach stellt das unverhüllte Reichstagsgebäude ein bleibendes Werk dar. Mit seiner Verhüllung wurde daraus jedoch ein vorübergehendes Werk. Ein Mann, der aus der Abbildung der zeitweiligen Kunstaktion Kapital schlagen wollte und verklagt wurde, konnte sich daher nicht auf die Panoramafreiheit berufen.

Auch dazu, unter welchen Voraussetzungen sich ein Werk an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet, entschied der BGH. Demnach gilt die Panoramafreiheit nur für die Abbildungen, die ohne Hilfsmittel wie überlange Stative, Leitern, Podeste oder die mittlerweile beliebten Kameradrohnen möglich sind. Ein normaler Selfie-Stick dürfte noch nicht dazu zählen. Verdeckt allerdings eine Hecke oder ein Zaun die Sicht, muss man das hinnehmen. Zur Abbildung darf man solche Sichtbehinderungen beispielsweise nicht durchlöchern oder beiseite drücken.

Die Abbildung muss zudem von öffentlichem Grund aus entstehen, beispielsweise vom Gehsteig aus. Wer sich zur Abbildung auf Privatgrund begibt, verlässt damit die Panoramafreiheit. Diese Einschränkung gilt in Österreich, dessen Urheberrecht ebenfalls eine Panoramafreiheit kennt, nicht. Hier war das Abbilden des bekannten Wiener Hundertwasserhauses aus einem gegenüberliegenden Privatgebäude heraus sowie die anschließende kommerzielle Verwertung zulässig. Andere EU-Länder mit ähnlich weitgehender Panoramafreiheit sind Spanien, Portugal, Großbritannien, Irland, Schweden und Polen. Außerhalb der EU kennen auch die Schweiz und die Türkei eine Panoramafreiheit. Unterschiede im Detail sind jedoch jeweils gegeben.

Eiffelturm nur nachts geschützt?

Länder wie Frankreich, Italien, Griechenland oder Belgien kennen dagegen keine Panoramafreiheit – nicht einmal zu nicht kommerziellen Zwecken. Entscheidend für das unbedenkliche Verbreiten von Veröffentlichungen ist dort, dass kein Urheberrecht mehr besteht. So erlischt das Urheberrecht in Frankreich etwa wie in vielen anderen Ländern 70 Jahre nach dem Tod des jeweiligen Schöpfers. Das Urheberrecht am wohl bekanntesten Wahrzeichen des Landes, dem Pariser Eiffelturm, erlosch beispielsweise 1993, da dessen Schöpfer Gustave Eiffel 1923 verstarb. Das gilt allerdings nur, wenn der Eiffelturm nicht erleuchtet ist, wie das regelmäßig nachts der Fall ist. Da die derzeitige Beleuchtung erst in den 80er-Jahren entstand und als eigenes Kunstwerk zählt, unterliegen Bilder des beleuchteten Eiffelturms weiter dem Urheberrecht. Die Betreibergesellschaft SETE verfolgt daher die kommerzielle Nutzung entsprechender Bilder. Bei einer Veröffentlichung ohne finanzielle Absichten besteht sie zumindest auf deren Kennzeichnung mit „copyright Tour Eiffel – illuminations Pierre Bideau“. Ähnliches gilt für das Brüsseler Atomium, da das belgische Recht jedenfalls für Gebäude keine Panoramafreiheit kennt und der Architekt dieses Wahrzeichens André Waterkeyn erst 2005 verstarb.

Ganz oder gar nicht

Für einen gemeinsamen Markt ist ein solches „Durcheinander“ verschiedener Regeln aus Sicht der EU schlecht. Sie möchte unterschiedliches Recht ihrer Mitgliedsländer daher möglichst vereinheitlichen. So kam auch die Panoramafreiheit im Rahmen der zu aktualisierenden Urheberrechts-Richtlinie (2001/29/EG) auf den Tisch. Diese gilt unverändert seit 2001. Damit stammt sie aus der digitalen Steinzeit, in der kaum jemand an Smartphones und Dienste wie Social Media und Online-Streaming dachte. Eine Reform ist daher dringend nötig, gerade mit Blick auf den künftigen, allerdings noch in den Kinderschuhen steckenden, digitalen Binnenmarkt. Mit ihm will die EU-Kommission den gemeinsamen Markt endlich auch fit für das digitale Zeitalter machen.

Freiheit der Abbildung vs. Schutz vor Ausbeutung

Zunächst wird die Urheberrechts-Richtlinie erst einmal evaluiert und nicht geändert. Die Evaluation weist insofern jedoch den Weg für künftige Änderungen, die die EU-Kommission in diesem Jahr initiieren will. Als Berichterstatterin im Parlament für die Evaluation zuständig ist die deutsche EP-Abgeordnete Julia Reda (Piratenpartei). In ihrem sogenannten Reda-Report ist sie unter anderem für eine Ausweitung der Panoramafreiheit auf die EU. Ihre Begründung: Bei Werken im öffentlichen Raum müsse der Urheberrechtsschutz ausnahmsweise zurücktreten. Der Abgeordnete Jean-Marie Cavada, dessen Heimatland Frankreich keine Panoramafreiheit kennt, verlangte dagegen die Panoramafreiheit in der EU restriktiv zu handhaben. Begründung für seinen Änderungsantrag: Zum Schutz vor Ausbeutung sind auch die Schöpfer von Werken im öffentlichen Raum – also insbesondere auch Architekten und Bildhauer – an der Nutzung ihrer Werke durch andere finanziell zu beteiligen. Der Rechtsausschuss hatte dem im Vorfeld zugestimmt. Auf eine Empfehlung zur künftigen Panoramafreiheit verzichtete das Europäische Parlament nun vorerst. Damit bleibt es erstmal bei der bisherigen Vielfalt in den Ländern der Europäischen Union.

Kein Leistungsschutzrecht und Geoblocking auf EU-Ebene

Ein weiterer wichtiger Punkt des Reda-Reports waren ein Leistungsschutzrecht auf europäischer Ebene. Ein entsprechender Änderungsantrag erhielt im Rechtsausschuss jedoch eine Absage, der auch das Parlament nun folgte. Positiv bewertete der Ausschuss dagegen einen Wegfall des sogenannten Geoblockings in der EU – besser bekannt als das „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar“-Problem bei der grenzüberschreitenden Wiedergabe von Musik und Videos im Internet. Hierfür hat sich auch bereits im Vorfeld der derzeitige EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft Günther Oettinger ausgesprochen. Das EP hat sich dahingehend gegen ungerechtfertigte Blockaden positioniert.

(GUE)

Foto(s): ©Fotolia.com

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