Falsche Eingruppierung im öffentlichen Dienst

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Viele Angestellte im öffentlichen Dienst sind falsch eingruppiert. Man schätzt, dass rund ein Drittel der Angestellten zu niedrig eingruppiert ist. Nach meinen langjährigen Erfahrungen in Eingruppierungsfällen dürften es eher noch mehr sein.

Einer der häufigsten und folgenschwertenGründe ist, dass viele öffentliche Arbeitgeber (Städte, Gemeinden, Länder, usw.) die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht berücksichtigen und deshalb zu strenge Anforderungen an die Qualifizierungsmerkmale einer höheren Entgeltgruppe stellen.

Hierzu muss man wissen, wie eine Eingruppierung funktioniert:

1.  Grundlage: Die Arbeitsvorgänge

In einem ersten, wichtigen Schritt werden sog. Arbeitsvorgänge gebildet. Hierunter versteht man Arbeitsleistungen einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, die zu einem abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen“. 

Derartige „Zusammenhangstätigkeiten“ sind alle Tätigkeiten, die der Erfüllung dieser Ergebnisse, also der Vorbereitung, Durchführung und Unterstützung dienen. Sie müssen dem jeweiligen Arbeitsvorgang hinzugerechnet werden.

Dies ist erforderlich, da jede noch so hochwertige Tätigkeit immer auch gewisse Routineaufgaben enthält, die für sich genommen weniger wertig sind, z.B. das Anlegen einer neuen Akte, das Fertigen von Abdrucken zu einem Schreiben, die Teilnahme an Besprechungen, usw. Es wäre tarifwidrig, diese Tätigkeiten losgelöst vom eigentlichen Arbeitsvorgang gesondert zu bewerten, da dies die Bewertung insgesamt verfälschen würde.

Beispiele für Arbeitsvorgänge sind z.B. die

  • Unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, eines Widerspruchs oder eines Antrags,
  • Erstellung eines EKG,
  • Fertigung einer Bauzeichnung, die Konstruktion einer Brücke oder eines Brückenteils,
  • Bearbeitung eines Antrags auf eine Sozialleistung, Betreuung einer Person oder Personengruppe,
  • Durchführung von Unterhaltungs- oder Instandhaltungsarbeiten.
  • Betreuung einer Person oder Personengruppe.

Dabei setzen sich Arbeitsvorgänge immer aus einer Vielzahl von Einzeltätigkeiten zusammen. Diese sind grundsätzlich zu einer größeren Einheit zusammenzufassen, wobei das bestimmte Arbeitsergebnis die größte Rolle spielt. Nach der Rechtsprechung sollen möglichst wenige Arbeitsvorgänge gebildet werden. Zusammenhängende Tätigkeiten dürfen nicht in Einzelarbeitsvorgänge aufgeteilt, also sozusagen „atomisiert“ werden.

Letztlich stellen Arbeitsvorgänge also die wesentlichen Arbeitsergebnisse einer Stelle dar.

Eine Arbeitsstelle kann aus einem Arbeitsvorgang (z.B. Streifengang einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes) oder aus mehreren Arbeitsvorgängen bestehen (z.B. 60 % Hausmeistertätigkeit, 40 % als Kraftfahrer).

2. Höherwertige Tätigkeit?

In einem 2. Schritt wird ermittelt, ob die Tätigkeit sich aus der Eingangsstufe heraushebt. So genügt z.B. für die Entgeltgruppe E5 eine abgeschlossene Lehre. Für eine höhere Eingruppierung müssen bestimmte Heraushebungsmerkmale hinzukommen, z.B. in der E6 besondere Fachkenntnisse, in der E7 darüber hinaus mind. 20 % selbstständige Leistungen, usw.

Die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD, TV- L) verlangen in der Regel, dass diese Heraushebungsmerkmale einen gewissen Umfang erreichen. So sind z.B. für die Entgeltgruppen E8 bis E 12 „selbstständige Leistungen" von 50 % oder für die Entgeltgruppen ab E9 einen Anteil von 50 % „besondere Verantwortung" erforderlich.

Dies ist jedoch in den meisten Fällen kaum zu erreichen, zumal die Anforderungen an die Heraushebungsmerkmale „selbstständige Leistungen“, „gründliche und umfassende Kenntnisse“, „besondere Verantwortung“, „besondere Schwierigkeit und Bedeutung“ und „Maß der Verantwortung“ sehr hoch sind. 

In den meisten Fällen sind bereits die Anforderungen an eine entsprechende Darlegung kaum zu schaffen. Und so bleibt es häufig bei der zu niedrigen Eingruppierung.

3. Gründe für die falsche Eingruppierung

Die wesentliche Fehlerquelle liegt in folgendem: Bei der Eingruppierunggehen die öffentlichen Arbeitgeber davon aus, dass die Heraushebungsmerkmale in dem gesamten Arbeitsvorgang erfüllt sein müssen, die Tätigkeit also zu mindestens 50 % „besondere Schwierigkeiten und Bedeutung“, ein sehr hohes „Maß der Verantwortung“, usw. aufweisen muss. Eine entsprechende Darlegung ist jedoch, wie gesagt, in der Praxis kaum zu schaffen.

So bleibt es dabei, dass die meisten Angestellten im öffentlichen Dienst in der Eingangsstufe oder höchstens in der ersten Beförderungsstufe eingruppiert bleiben, obwohl ihre Tätigkeit und die fachlichen Anforderungen erheblich gewachsen sind, weshalb die Betreffenden eigentlich 2 oder 3 Gruppen höher eingruppiert werden müssten.

Wo liegt nun der Fehler?

Seit der Änderung der Rechtsprechung ist es nicht mehr erforderlich, dass die Einzeltätigkeiten innerhalb des Arbeitsvorgangs die fraglichen Heraushebungsmerkmale erfüllen, also z. B. 50 % der Tätigkeit eine besondere Schwierigkeit und Bedeutung oder ein entsprechend hohes Maß der Verantwortung aufweisen muss.

Sondern es genügt, dass das Qualifizierungsmerkmal überhaupt vorliegt, ggf. in einem relativ geringen Maße. Die höherwertigen Tätigkeiten müssen also nicht z.B. 50 % der Arbeitszeit des Arbeitsvorgangs ausmachen, sondern es genügt ein „rechtlich erheblicher Umfang“, bei dem durchaus 10 % bis 20 % - je nach Art der Tätigkeit – genügen kann.

Bildhaft kann man sagen, dass diese höherwertige, jedoch zeitlich eher geringe Tätigkeit (von z.B. 10 %) den gesamten Arbeitsvorgang „infiziert“. Der Arbeitsvorgang erfüllt dann als Ganzes die tariflichen Voraussetzungen, obwohl – strenggenommen – nur die betreffende Einzeltätigkeit diese Voraussetzung (z.B. besondere Schwierigkeit und Bedeutung) erfüllt.

Der Arbeitsvorgang erfüllt dann also die tarifliche Voraussetzung, obwohl die Einzeltätigkeit, die das Heraushebungsmerkmal erfüllt, vielleicht nur 10 % oder 12 % ausmacht. 

Der (infizierte) Arbeitsvorgang muss dann lediglich noch – ggf. zusammen mit weiteren Arbeitsvorgängen) die Hürde des „eigentlichen“ zeitlichen Umfangs von 50 % übersteigen.

Zusammenfassend kann man sagen: Je umfangreicher ein Arbeitsvorgang ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine der Einzeltätigkeiten eine Heraushebung aufweist und dadurch der gesamte Arbeitsvorgang „infiziert“ ist, also das betreffende Heraushebungsmerkmal erfüllt.

4. Ergebnis

Im Ergebnis bedeutet dies: Während nach dem Verständnis der öffentlichen Arbeitgeber die qualifizierenden Einzeltätigkeiten mehr als 50 % ausmachen müssen, genügen nach der neueren Rechtsprechung oft 10 % bis 15 %, also entscheidend weniger.

Aus diesen Gründen sind sehr viele Angestellte im öffentlichen Dienst - wahrscheinlich rund 1/3 - falsch eingruppiert, und dies häufig sogar um mehrere Gruppen. 

Die Differenz macht sehr häufig 300 - 400 €/Monat aus, und dies rückwirkend ab Antragstellung!

Die einzelnen Beiträge zur Eingruppierung und den häufigsten Fehlern sowie zum Ablauf des Verfahrens und den Kosten finden Sie hier auf unserer Homepage

Foto(s): AdobeStock_362513016

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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