⚖️ Gleichbehandlung im Strafverfahren bei Betäubungsmittelabhängigkeit – Anspruch auf „Therapie statt Strafe“

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Im Betäubungsmittelstrafrecht ist die Drogenabhängigkeit eines Beschuldigten ein zentrales Kriterium für abweichende strafrechtliche Reaktionen. Die §§ 35 und 36 BtMG ermöglichen in bestimmten Fällen eine Therapie statt Strafvollzug, § 64 StGB sieht darüber hinaus eine therapeutische Unterbringung vor. Die Ausgestaltung und Anwendung dieser Regelungen werfen jedoch erhebliche Gleichbehandlungsfragen auf – sowohl innerhalb der Justiz als auch zwischen verschiedenen Bundesländern.


🔍 Gesetzlicher Rahmen:

  • Nach § 35 BtMG kann der Strafantritt bei drogenabhängigen Verurteilten zur Durchführung einer Therapie zurückgestellt werden, wenn die Strafe zwei Jahre nicht übersteigt.

  • Nach § 36 BtMG kann das Gericht die Vollstreckung sogar dauerhaft aussetzen, wenn eine erfolgreiche Therapie erfolgt ist.

  • Auch eine Maßregel nach § 64 StGB kommt in Betracht, wenn eine erhebliche Abhängigkeit vorliegt und Wiederholungsgefahr besteht.


⚠️ Problem: Uneinheitliche Anwendung – „Justizlotterie“
Die rechtliche Möglichkeit zur Therapie statt Strafe wird nicht bundeseinheitlich gewährt. In der Praxis hängt sie stark ab von:

  • der Haltung einzelner Richter oder Staatsanwälte,

  • dem Gerichtsstandort,

  • der Kapazität und Verfügbarkeit von Therapieplätzen,

  • der fachlichen Begutachtung und deren Interpretation,

  • dem Zeitpunkt, zu dem ein Antrag gestellt wird.

Diese Unterschiede führen zu einem erheblichen Ungleichgewicht in der Behandlung gleichgelagerter Fälle, obwohl das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 GG Gleichbehandlung vor dem Gesetz garantiert.


🗺️ Regionale Unterschiede in der Anwendung

Die Anwendung des § 35 BtMG variiert zwischen den Bundesländern erheblich. Einige Länder haben spezifische Richtlinien und Koordinationsstellen eingerichtet, um die Umsetzung zu standardisieren, während in anderen Ländern die Anwendung weniger strukturiert erfolgt.

  • Brandenburg: Hier wurden Leistungsstandards für die Arbeit von Suchthilfeeinrichtungen gemäß des Prinzips „Therapie statt Strafe“ entwickelt und abgestimmt. 

  • Niedersachsen: Das Land hat spezifische Regelungen zur staatlichen Anerkennung von Einrichtungen, die im Rahmen des § 35 BtMG tätig sind. 

  • Hamburg: In Hamburg wurden Daten zur ambulanten und stationären Drogenhilfe ausgewertet, um die Anwendungspraxis des Prinzips „Therapie statt Strafe“ zu untersuchen. 

Diese Unterschiede können dazu führen, dass drogenabhängige Straftäter:innen in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Chancen auf eine Therapie statt einer Haftstrafe haben.


Verteidigungshinweis:

  • Eine sorgfältige Dokumentation der Abhängigkeit (ärztlich, therapeutisch, sozial) ist entscheidend.

  • Es sollte frühzeitig geprüft werden, ob die Voraussetzungen der §§ 35, 36 BtMG oder § 64 StGB erfüllt sind.

  • Ein Antrag auf Therapie statt Strafe sollte strategisch früh gestellt und mit konkreten Belegen untermauert werden.

  • Bei Ablehnung der Zurückstellung oder Maßregel ist eine rechtliche Überprüfung (z. B. durch Beschwerde oder Klage) möglich und in Einzelfällen geboten.

📌 Beispiel:
Zwei Beschuldigte mit identischer Vorgeschichte und Tat werden in zwei Bundesländern unterschiedlich behandelt – der eine erhält eine Therapieauflage, der andere muss eine Haftstrafe antreten. Solche Fälle belegen die Problematik fehlender Gleichbehandlung.


Fazit:
Drogenabhängigkeit darf im Strafverfahren nicht zu einer Benachteiligung, sondern muss – rechtlich korrekt – als mildernder Umstand und Anknüpfungspunkt für Behandlungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Die Möglichkeit, eine Therapie der Haft vorzuziehen, ist Ausdruck des Resozialisierungsgedankens. Eine gleichmäßige Anwendung dieses Prinzips ist jedoch bislang nicht gesichert und bedarf einer aktiven Verteidigung, um unfaire Ergebnisse zu vermeiden.


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