Interessenausgleich und Sozialplan, worum geht es?
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Interessenausgleich und Sozialplan
Der Interessenausgleich und der Sozialplan sind wesentliche Beteiligungsrechte des Betriebsrates als Arbeitnehmervertretung in der betrieblichen Praxis.
Interessenausgleich und Sozialplan werden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt, wenn sogenannte Betriebsänderungen anstehen. In Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über bevorstehende Betriebsänderungen zu unterrichten und hierüber mit ihm zu beraten. Weitere Rechte hat der Betriebsrat zunächst nicht.
Rechtsanwalt Sendler: „Das Gesetz führt in § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Beispiele für Betriebsänderungen an. Hierzu gehören die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben, grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen sowie die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.“
Der Arbeitgeber hat im Falle einer Betriebsänderung mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu verhandeln, der dazu dient, einen Ausgleich zwischen den Interessen des Unternehmers, der eine möglichst weitgehende Rationalisierung anstrebt, und denen der Arbeitnehmer, die an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes interessiert sind, zu erreichen. Gegenstand des Interessenausgleichs ist die Frage, ob, wann und wie eine Betriebsänderung durchgeführt wird. Sein Inhalt betrifft die organisatorische Umsetzung der Betriebsänderung und die mit ihrer Durchführung verbundenen personellen Maßnahmen.
Rechtsanwalt Sendler: „Auf die Einzelarbeitsverhältnisse hat der Interessenausgleich keine unmittelbare Wirkung. Nach einem ergebnislosen Vermittlungsversuch durch die Bundesagentur für Arbeit können Unternehmer oder Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Der Arbeitgeber sollte dies auf jeden Fall versuchen, um nicht mit Nachteilsausgleichsansprüchen von Arbeitnehmern gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG belastet werden.“
Die Einigungsstelle kann im Fall des Scheiterns der Verhandlungen keinen verbindlichen Spruch beschließen. Der Arbeitgeber kann nach dem Scheitern des Interessenausgleichs die Maßnahmen für die Betriebsänderung durchführen, ohne Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 BetrVG befürchten zu müssen.
Unabhängig davon, ob ein Interessenausgleich versucht, abgeschlossen, gescheitert, unterblieben oder die Betriebsänderung bereits durchgeführt wird, hat den Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht für die Aufstellung eines Sozialplans zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen werden.
Rechtsanwalt Sendler: „Voraussetzungen für das Entstehen dieses erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des für die Aufstellung eines Sozialplanes sind die erforderliche Unternehmensgröße (mehr als 20 Arbeitnehmer), das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG und das Entstehen von ausgleichsfähigen Nachteilen für die Arbeitnehmer.“
Solche wirtschaftlichen Nachteile sind beispielsweise eine schlechtere Bezahlung oder nachteilig veränderte Arbeitswege, Arbeitslosigkeit nach einer Kündigung, der Verlust des Kündigungsschutzes oder Erschwerungen bei der Arbeitssuche.
Rechtsanwalt Sendler: „Der Sozialplan dient also nicht dazu, Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen oder ein zusätzliches Entgelt für in der Vergangenheit geleistete Dienste zu gewähren. Vielmehr hat der Interessenausgleich die Funktion, zukünftigen Nachteile auszugleichen oder zu überbrücken.“
Dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat steht hinsichtlich der tatsächlichen Einschätzung der mit der Betriebsänderung für die Arbeitnehmer einhergehenden wirtschaftlichen Folgen ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Dies führt in der Regel zwangsläufig zu pauschalen Bewertungen der zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile, hier eröffnet sich aber für die Betriebsparteien ein weiter Gestaltungsspielraum.
Kommt ein Sozialplan zustande, ist er schriftlich durch die Betriebsparteien niederzulegen. Er kann von den Beteiligten auch qualifiziert elektronisch signiert werden. Unterschrift bzw. Signatur erfordern eine vorherige Beschlussfassung des Betriebsrats über den Abschluss des Sozialplans.
Können sich die Betriebsparteien nicht auf einen Sozialplan verständigen, kann jede Seite die Arbeitsverwaltung um Vermittlung ersuchen. Wird hiervon abgesehen oder führt die Vermittlung zu keinem Ergebnis, können sowohl der Unternehmer als auch der Betriebsrats nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen. Auch hier können sich die Betriebsparteien noch verständigen. Geschieht dies nicht, ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.
Rechtsanwalt Sendler: „Besteht die Betriebsänderung allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, kann ein Einigungsstellenspruch nur erzwungen werden, wenn gewisse in § 112 Abs. 1 BetrVG festgelegten Größenverhältnisse zwischen Belegschaft und Entlassungen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, kann ein Sozialplan nicht erzwungen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Gründung des Unternehmens noch keine vier Jahre her ist.“
Der Sozialplan hat die Wirkung einer Betriebsvereinbarung und begründet damit regelmäßig unmittelbare Rechtsansprüche der einzelnen Arbeitnehmer, deren Angemessenheit im individualen Arbeitsgerichtsverfahren allerdings nicht prüfbar ist.
Als Maßnahmen von Sozialplanleistungen kommen Abfindungen, Lohnausgleich für die Zuweisung einer anderen Tätigkeit und die Erstattung von Fahrtkosten und Umzugskosten in Betracht. Bei Entlassungen werden üblicherweise Abfindungen vereinbart, die regelmäßig zumindest nach Bruttomonatsentgelt, Lebensalter und Betriebszugehörigkeit bemessen werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach § 10 Abs. 3 Nr. 6 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf dem Lebensalter beruhende Ungleichbehandlungen bei Sozialplanleistungen zulässig sind und keinen diskriminierenden Charakter haben.
Rechtsanwalt Sendler: „Der Sozialplan kann bestimmen, wie die sozialen Faktoren Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung zueinander ins Verhältnis zu setzen sind und welche Gewichtung sie haben sollen. Hier sind die Betriebspartner ziemlich frei, zumal eine Überprüfung der Angemessenheit im individualrechtlichen Kündigungsschutzprozess nicht stattfindet.“
Die Zahlung der Abfindung darf im Sozialplan nicht davon abhängig gemacht werden, dass die wegen der Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer gegen ihre Kündigungen keine gerichtlichen Schritte einleiten. Es ist nämlich nicht Zweck des Sozialplans, den Arbeitgeber von den Risiken der individualrechtlichen Folgen der Kündigung zu befreien.
Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Sozialplan sind dann vererblich, wenn der Anspruch bereits entstanden ist, was nicht der Fall ist, wenn der Arbeitnehmer vor Fälligkeit des Abfindungsanspruchs verstirbt.
Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Sozialplan nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle, die bei ihrem Spruch sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer als auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Sozialplans für den Arbeitgeber zu berücksichtigen hat.
Überschreitet die Einigungsstelle diesen ihr gemäß § 112 Abs. 5 BetrVG vorgegebenen Ermessensspielraum, können sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrats binnen 14 Tagen die Unwirksamkeit des Spruchs durch Anrufung des Arbeitsgerichts geltend machen. Das Arbeitsgericht kann nur die Unwirksamkeit feststellen, dagegen nicht eine Änderung des Sozialplans bewirken.
Rechtsanwalt Sendler: „Im Interesse des Fortbestandes des Unternehmens und des Wohles der Mitarbeitenden, die durch eine Betriebsänderung betroffen sind, sollten die Betriebsparteien alle Mühe darauf verwenden, einen Sozialplan einvernehmlich zustande zu bringen.“
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