Jobcenter muss Kosten für Kryokonservierung übernehmen

  • 3 Minuten Lesezeit

Droht einem Sozialleistungsempfänger die Unfruchtbarkeit infolge einer Chemotherapie, so kann er die Kostenübernahme einer Kryokonservierung vom Jobcenter verlangen. Dies hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 05.12.2019 entschieden – Az. L 7 AS 845/19.

Kryokonservierung was ist das? Ei- und Samenzellen tiefgefrieren

Spermien, (befruchtete) Eizellen oder Hodengewebe können tiefgefroren und zu einem späteren Zeitpunkt verwendet werden. Unter Kryokonservierung versteht man das Aufbewahren von Zellen oder Gewebe durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff. Spermien bleiben dabei auch nach jahrelanger Lagerung befruchtungsfähig.

Der Fall

Der Kläger bezog Hartz4-Leistungen vom Jobcenter. In Folge eines Immundefektes musste er sich einer Chemotherapie unterziehen. Aufgrund der Chemotherapie drohte ihm die Unfruchtbarkeit. Daher beauftragte er die Kryokonservierung seiner Spermienzellen. Die Kosten hierfür beliefen sich dabei auf 297,50 Euro pro Jahr. Das Jobcenter lehnte jedoch die Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte es aus, dass es sich dabei um eine Maßnahme handele, die nicht der Sicherung des Lebensunterhalts, sondern der persönlichen Familienplanung diene. Das Sozialgericht Duisburg bestätigte zunächst die Auffassung des Jobcenters, ließ aber die Berufung zu.

Landessozialgericht erkennt die Kosten als unabweisbaren Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II an

Im Berufungsverfahren hat sich Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen der Rechtsauffassung des Klägers angeschlossen und die Kosten als unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt. 

Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird bei einem Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. 

Kryokonservierung als Krankenbehandlung und damit existenziell notwendiger Bedarf

Das LSG NRW führte hierzu aus, dass die Kosten zur Gesundheitspflege zählten und den hierfür im Regelbedarf vorgesehenen Betrag von 180 Euro jährlich deutlich übersteigen würden. Die Kryokonservierung sei eine medizinisch zur Erhaltung der Fähigkeit, eigene Kinder zu haben, zwingend notwendige, ärztlich empfohlene und in das Gesamtbehandlungskonzept eingebundene Maßnahme gewesen. In einer derartigen Fallgestaltung sei sie keine Maßnahme, die lediglich die Wünsche eines Versicherten für seine individuelle Lebensgestaltung betreffe, sondern handele es sich um einen Bestandteil einer umfassenden Krankenbehandlung und damit einen existenziell notwendigen Bedarf i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser dürfe dem Kläger nicht deshalb verschlossen bleiben, weil er nicht über die Mittel zu seiner Finanzierung verfüge, so die LSG Berufungsrichter.

(Nach Hinweis des LSG auf § 27a Abs. 4 SGB V hatte der Kläger auch einen Antrag auf Kostenübernahme der Kryokonservierung bei seiner Krankenkasse gestellt. Aber auch die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. Einen Leistungsanspruch auf Kryokonservierung hätten die GKV-Versicherten erst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 27a Abs. 5 SGB V über künstliche Befruchtung die Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen bestimmt habe. Der GBA habe am 04.07.2019 beschlossen, den Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung des Beratungsverfahrens zur Anpassung der Richtlinien zur künstlichen Befruchtung zu beauftragen. Mit einer Anpassung der Richtlinien sei voraussichtlich im Februar 2020 zu rechnen.)

Fazit

Die Entscheidung des LSG NRW ist zu begrüßen. Allerdings sollte dann auch hinterfragt werden, ob dies nicht zu einer Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen führt, die nicht Sozialleistungen beziehen und einer Erwerbstätigkeit nachkommen, sich aber eine Kryokonservierung dennoch nicht leisten können. Ein Anspruch gegenüber der Krankenkasse besteht zurzeit nämlich auch weiterhin noch nicht. 

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden. 

Die Autorin ist im medizinrechtlichen Bereich und im Sozialrecht, insb. der Gewährung von Sozialleistungen, bundesweit tätig.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Stephanie Bröring

Beiträge zum Thema