KI-Strategie für Kanzleien: „Der menschliche Einsatz wird effizienter“

  • 9 Minuten Lesezeit
KI-Strategie für Kanzleien: „Der menschliche Einsatz wird effizienter“
Leah Schmidt anwalt.de-Redaktion

Seit zehn Jahren berät Dr. Gernot Halbleib Kanzleien, wenn es um den Einsatz von Technologie geht – künstliche Intelligenz ist dabei einer seiner Schwerpunkte. Neben seiner Qualifikation als Volljurist hat er unter anderem Erfahrung in der Softwareentwicklung und dem Aufbau digitaler Unternehmen. Wo KI für Anwälte und Kanzleien besonderes Potenzial bietet, welche Kenntnisse dafür erforderlich sind und wie sich die zunehmende Verwendung von künstlicher Intelligenz auf die Zukunft der Anwaltschaft auswirken kann, erläutert er im Interview. 

Die Verwendung von künstlicher Intelligenz wird aktuell auch in der Rechtsbranche viel diskutiert.

Der Einsatz von KI in der Rechtsbranche birgt immense Chancen für Rechtsanwälte und Kanzleien, insbesondere in diesen Anwendungsbereichen: Drafting, Knowledge Management, Contract Review, Information Extraction und eDiscovery. 

Allgemein kann man sagen, dass vor allem repetitive und zeitaufwendige Aufgaben automatisiert werden können und gleichzeitig die Qualität und Effizienz der juristischen Arbeit verbessert werden kann. 

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Wie kann die Kanzleiorganisation von künstlicher Intelligenz profitieren? 

Drafting: Durch KI-gestütztes Drafting können Anwälte Zeit sparen, indem sie einem System wesentliche Sachverhaltsinformationen übergeben, um automatisch Vertragsentwürfe, Memos, Klageschriftsätze oder andere Dokumente zu generieren, die dem gewünschten Stil entsprechen. Diese Technologie ist bereits Realität und ermöglicht es in vielen Anwendungsfällen, den Prozess der Dokumenterstellung erheblich zu vereinfachen und zu beschleunigen. 

Knowledge Management: Die KI verbessert das Knowledge Management, indem sie relevante Informationen automatisch findet, ohne dass aufwendige manuelle Tätigkeiten wie Strukturierung und Verschlagwortung erforderlich sind. Fallspezifisches Wissen, das in vorhandenen Dokumenten enthalten ist, kann die Ergebnisse der KI-gestützten Dokumenterstellung dramatisch verbessern, wenn es der KI zur Verfügung gestellt wird. 

Der Schwerpunkt einer jeden Kanzlei ist die Fallbearbeitung. Wie können KI-Anwendungen diese unterstützen? 

Contract Review: KI kann die Analyse von Verträgen automatisieren, indem sie eingehende Vorschläge auf unvorteilhafte Klauseln prüft und nach den definierten Vorgaben kommentierte Gegenvorschläge erstellt. Dadurch können Vertragsverhandlungen erheblich beschleunigt werden, indem die KI Vertragsdokumente effizient analysiert und relevante Informationen extrahiert. 

Information Extraction: In Bereichen, in denen große Datenmengen analysiert werden müssen, wie z. B. Due-Diligence-Recherchen oder eDiscovery, kann die KI eine erhebliche Zeitersparnis bringen, indem sie bestimmte gesuchte Inhalte aus einer Vielzahl von Dokumenten extrahiert. 

Besonders in kleinen Kanzleien haben Rechtsanwälte neben der Mandatsbearbeitung oft zusätzliche Aufgabenbereiche zu bewältigen. Bietet künstliche Intelligenz heute schon eine Entlastungsmöglichkeit?  

Vielleicht wird es irgendwann auch ein KI-gestütztes Kanzleimanagementsystem geben, so etwas sehe ich aber derzeit noch nicht. Ich würde hier eher auf herkömmliche IT-Systeme setzen, die richtig eingesetzt schon einen erheblichen Effizienzgewinn bringen können. 

Mandantenannahme, Kommunikation, Terminkoordination – die Aufgaben des Sekretariats nehmen viel Zeit in Anspruch.  

Ein großer Teil der Kommunikation vor und während eines Mandats ist von Fall zu Fall relativ ähnlich. Hier könnten intern genutzte KI-Systeme beim Erstellen z. B. von E-Mails mit Erläuterungen zu Dokumenten und Verfahrensschritten oder zur Anforderung bestimmter Informationen eingesetzt werden und diese ganz oder weitgehend automatisch generieren. Wenn man von der Qualität des Outputs eines KI-Systems überzeugt ist, könnte man KI-generierte Systeme wie Chatbots auch ungeprüft für die direkte Kommunikation mit Mandanten einsetzen. Hier würde ich derzeit aber noch zur Vorsicht raten. Was in der Praxis gut funktioniert, ist die automatisierte Weitergabe gut geprüfter strukturierter Daten, z. B. zum Verfahrensstand, über ein Mandantenportal, dazu braucht man aber nicht unbedingt KI. 

In welcher Phase der Rechtsberatung bietet KI besonders vielversprechende Entlastungsmöglichkeiten? Von welchen Einsatzbereichen würden Sie eher abraten? 

Das größte Unterstützungspotenzial bietet KI bei den Teiltätigkeiten eines Mandats, die ich „Operational“ und „Commodity“ nenne. Das sind Arbeitsschritte, bei denen auf bewährtes juristisches Wissen zurückgegriffen werden kann und grundsätzlich bekannt ist, wie zu verfahren ist. Diese Tätigkeiten sind nicht maßgeschneidert auf einen spezifischen Sachverhalt, sondern basieren auf bereits vorhandenen Dokumenten und Vorlagen, von denen die KI lernen kann. Beispiele für solche Tätigkeiten sind M&A-Transaktionen, das Aufsetzen von Employee-Stock-Option-Programmen oder das Draften von Patentanträgen. Im Verbraucherbereich wären das typische Fälle wie Kündigungsschutzklagen, Mietminderung, Verkehrsunfälle, Bußgeldsachen sowie Massenverfahren, von denen es immer wieder welche gibt. In diesen Bereichen kann die KI erheblich dazu beitragen, den Arbeitsprozess zu optimieren und die Effizienz zu steigern, indem sie repetitive Aufgaben automatisiert und wertvolle Unterstützung bei der Dokumentenerstellung oder Analyse von Informationen bietet. 

Wenig Hilfe durch KI erwarte ich dagegen bei „Bespoke“-Tätigkeiten. Hier beschäftigt sich der Jurist mit individuell schwierigen Situationen, die ein hohes Maß an echter juristischer Innovation oder Empathie erfordern, wie etwa Tarifverhandlungen, Unternehmensnachfolge oder ganz neue regulatorische Fragen. Da diese Tätigkeiten maßgeschneidert und nicht standardisiert sind, kann die Anwendung von KI hier nicht die gleiche Effektivität erzielen wie in den „Operational“-Tätigkeiten, wo bereits vorhandene Dokumente und Vorlagen genutzt werden können, um die KI zu trainieren und zu unterstützen. 

Mit der Veröffentlichung von Rechtstipps auf anwalt.de können Anwälte eine breite Leserschaft von ihrer Expertise überzeugen. Wie kann der Einsatz von KI Rechtsanwälte beim Verfassen unterstützen?  

Das Erstellen von Fachbeiträgen dürfte ein sehr guter Anwendungsfall für KI sein. Dies wird vor allem dann gut gelingen, wenn man das Wissen für den Beitrag bereits anderweitig aufbereitet hat und es nur noch darum geht, als Text vorhandene Informationen in ein bestimmtes Format umzuschreiben. Hat eine Anwältin z. B. schon vielfach zu einem bestimmten Thema ausführliche E-Mails an Mandanten geschrieben, könnte sie diese – am besten anonymisiert – einer KI mit dem Prompt übergeben, daraus einen Fachbeitrag zu entwerfen, der für eine breite Leserschaft gut verständlich ist. Wahrscheinlich wird sie das Ergebnis noch ein wenig überarbeiten müssen, insgesamt wird sie aber ziemlich sicher schneller fertig sein.  

Wo ich aktuell Grenzen sehe, ist die Generierung von wirklich neuen Inhalten ohne gut geeignete Vorlagen. Echte Innovationsfähigkeit in diesem Sinne habe ich bei KI-Systemen bisher nicht gesehen. 

Der Profiltext eines Anwalts bzw. einer Kanzlei auf anwalt.de hilft Ratsuchenden, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Wie lässt sich künstliche Intelligenz beim Verfassen von Vorstellungstexten einsetzen?  

Tools wie ChatGPT dürften in der Lage sein, einen ganz passablen Profiltext oder Marketingtext für eine Kanzlei zu erstellen. Ich sehe aber zwei Gefahren: Erstens kann es gut sein, dass der Text, der dabei herauskommt, ziemlich beliebig klingt, da sich ChatGPT an dem orientiert, was es auf vielen anderen Internetseiten so gibt. Zweitens könnten KI-generierte Texte, wenn sie als solche erkennbar sind, für ein gutes Ranking in Suchmaschinen weniger gut geeignet sein als menschlich verfasste Texte. Beidem lässt sich begegnen, indem man dem Prompt an die KI bereits sehr viele spezifische Informationen zur eigenen Kanzlei mitgibt und das automatisch generierte Ergebnis weiter individualisiert. Darin liegt aber vermutlich gerade der Teil der Arbeit, der vielen Anwälten schwerfallen dürfte. Wer über eine anfängliche Schreibblockade bei Marketingtexten hinwegkommen will, findet in Tools wie ChatGPT aber einen guten Helfer! 

Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sind für den Einsatz von künstlicher Intelligenz als Rechtsanwalt notwendig? Über welchen Weg kann man sich am besten zum Thema weiterbilden? 

Im ersten Schritt lohnt es sich, sich grundlegendes Wissen zu möglichen Einsatzgebieten und zur Funktionsweise von KI anzueignen. Hierzu findet man im Internet unzählige Ressourcen, die ständig mehr werden, was den Einstieg nicht gerade erleichtert und sehr zeitaufwendig werden kann. Wer in fünf Stunden Lernzeit einen kompakten und für Einsteiger gut aufbereiteten Überblick bekommen möchte, dem empfehle ich den Online-Kurs „Künstliche Intelligenz für Jurist:innen“ des Legal Tech Verbands. Hier habe ich auch mitwirken dürfen und habe vor allem den Teil zu KI in Kanzleien inhaltlich gestaltet. 

Gibt es Fähigkeiten, die durch den Einsatz von KI vielleicht sogar überflüssig werden? 

Es werden eher bestimmte Tätigkeiten als Fähigkeiten sein, die durch KI obsolet werden. Beispiel: Im klassischen juristischen Wissensmanagement werden Tätigkeiten wie die Kategorisierung oder Verschlagwortung von Dokumenten obsolet, da die KI dies übernehmen wird. Um das Ergebnis der KI überprüfen und ggf. verbessern zu können, bleibt die entsprechende menschliche Fähigkeit aber weiterhin gefragt, der menschliche Einsatz wird aber effizienter. Dasselbe gilt z. B. auch für Übersetzungen, die mit KI mittlerweile sehr gut funktionieren. 

Auch einer KI können Fehler passieren. Was müssen Rechtsanwälte beim Einsatz von künstlicher Intelligenz für ihre Kanzlei hinsichtlich der Haftung bedenken? 

Es empfiehlt sich beim aktuellen Stand der KI, das Ergebnis der KI immer noch einmal durch menschliche Expertise zu überprüfen. Das klingt vielleicht ein wenig enttäuschend, wenn man sich von KI sehr viel verspricht, tut der Nützlichkeit der Technologie in vielen Anwendungsfällen aber keinen Abbruch, weil man trotzdem viel Zeit sparen kann. Wie beim Einsatz von herkömmlichem Legal Tech sollten Anwälte Systeme für eine „Dunkelverarbeitung“ im juristischen Bereich sehr sorgfältig testen. Gerade bei der automatisierten Verarbeitung von hohen Fallzahlen kann es bei Fehlern im System schnell zu Serienschäden kommen. 

Ergeben sich durch den zunehmenden Einsatz von KI auch Herausforderungen für die Anwaltschaft?  

Die größten Herausforderungen für die Rechtsbranche sehe ich derzeit in diesen Punkten:

1. Wettbewerbsdruck: Der Einsatz von KI kann zu einem erhöhten Wettbewerbsdruck führen, da Kanzleien, die KI effektiv nutzen, einen Wettbewerbsvorteil haben können. Dies könnte dazu führen, dass Kanzleien, die keine effektive KI-Strategie implementieren, Mandate und Marktanteile verlieren.

2. Anpassung an neue Arbeitsweisen: Rechtsanwälte und Kanzleien müssen sich an neue Arbeitsweisen anpassen, die durch den Einsatz von KI beeinflusst werden. Dies erfordert Schulungen und Weiterbildungen, um mit den sich entwickelnden Technologien Schritt zu halten und effektiv damit zu arbeiten. 

3. Veränderung des Arbeitsmarktes: Der zunehmende Einsatz von KI wird auch zu Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt für Juristen führen. Bestimmte Tätigkeiten könnten automatisiert werden, was Ressourcen freisetzt, die für höherwertige Tätigkeiten eingesetzt werden können. Wer dann noch Personal für repetitive Tätigkeiten sucht, die manuell durchgeführt werden sollen, wird Schwierigkeiten haben, motivierte Kräfte zu finden oder zu halten. Gleichzeitig werden in Kanzleien neue Rollen entstehen, die für den effektiven Einsatz von KI notwendig sind, z. B. Legal Engineers oder sogar KI-Entwickler.  

4. Investitionen und Ressourcen: Die Entwicklung und Implementierung von KI-Systemen erfordern beträchtliche Investitionen und Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell. Kanzleien müssen erhebliche Mittel bereitstellen, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Art zu investieren, ist vielen Kanzleien noch völlig fremd.  

5. Datenschutz und Ethik: Der Einsatz von KI in der Rechtsbranche wirft Fragen des Datenschutzes und der Ethik auf, insbesondere im Hinblick auf die Verarbeitung sensibler juristischer Informationen. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass KI-Systeme rechtliche Standards und ethische Richtlinien einhalten. 

In Anbetracht dieser Herausforderungen ist es entscheidend für Rechtsanwälte und Kanzleien, eine klare KI-Strategie zu entwickeln, die ihren individuellen Geschäftszielen und Ressourcen entspricht. Dabei können verschiedene Ansätze verfolgt werden, wie die Nutzung von bestehender KI, um wettbewerbsfähig zu bleiben, oder die Entwicklung eigener KI-Systeme, was einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil bringen kann.

Einige Anwaltskanzleien werden auch zukünftig wenig oder gar keine KI einsetzen. Dies wird möglich sein, wenn sie sich auf Rechtsbereiche und Tätigkeiten fokussieren, in denen Konkurrenten keinen entscheidenden KI-Vorteil haben. Je mehr Kanzleien diese Strategie wählen, desto höher wird der Wettbewerbsdruck in diesen Segmenten. Da KI voraussichtlich in Zukunft noch mehr rechtliche Tätigkeiten beeinflussen wird, werden diese Segmente schrumpfen. Obwohl das Verzichten auf KI kurzfristig Kosten und Risiken minimieren kann, wird es immer schwieriger sein, den Vorsprung anderer aufzuholen, sobald der Anschluss verpasst wurde. Die Wahl der richtigen Strategie hängt von einer gründlichen Analyse der eigenen Geschäftsanforderungen und der Markttrends ab.

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(LES; ZGRA)

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Foto(s): ©privat/Dr. Gernot Halbleib, ©Adobe Stock/Naiswari Graphics

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