Kind in Pflegefamilie: Verbleibensanordnung, Entzug der elterlichen Sorge und Rückführung

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Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie und verlangen die leiblichen Eltern dessen Rückführung, muss auch der Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB als im Verhältnis zu einem Sorgerechtsentzug milderes Mittel erwogen werden (BVerfG FamRZ 1989, 145, 146; BayObLG FamRZ 2001, 563).

Nach dieser Vorschrift kann das Familiengericht anordnen, dass das bereits seit längerer Zeit in Familienpflege lebende Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme von der Pflegeperson gefährdet wäre.

Bindung Kind/Pflegeeltern

§ 1632 Abs. 4 BGBgeht davon aus, dass zwischen dem Kind und den Pflegeeltern als Folge eines länger dauernden Pflegeverhältnisses eine gewachsene Bindung entstanden sein kann, die nicht zum Schaden des Kindes zerstört werden soll (vgl. Senatsbeschluss vom 26. September 2007 – XII ZB 229/06 – FamRZ 2007, 1969 Rn. 31).

Eine Verbleibensanordnung kann deshalb immer dann ergehen, wenn das Kindeswohl dadurch gefährdet ist, dass die Eltern eine Rückführung zu sich planen und durch eine damit verbundene Zerstörung der Bindung an die Pflegeeltern eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes zu erwarten ist, vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 – XII ZB 68/11.

Auch wenn allgemein davon auszugehen ist, dass mit der Herausnahme aus der gewohnten Umgebung ein Zukunftsrisiko für ein Kind verbunden sein kann, darf dies nicht dazu führen, dass die Zusammenführung von Kind und Eltern grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn das Kind seine „sozialen Eltern“ gefunden hat. Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass ein Pflegeverhältnis nicht in der Weise verfestigt werden darf, dass die leiblichen Eltern mit der Wegnahme in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen, vgl. BGH a. a. O.

Behutsamer Übergang

Schon die Wendung in § 1632 Abs. 4 BGB „wenn und solange“ fordert flexible Lösungen, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf ein Zueinanderfinden von Kind und leiblichen Eltern nach einer Umstellungsphase gerichtet sind (BVerfG FamRZ 1985, 39, 42 und FamRZ 1987, 786, 789).

Hierbei ist auch in den Blick zu nehmen, ob die ursprüngliche Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge oder einem unverschuldeten Versagen der Eltern beruhte. Gerade, wenn die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der Wegnahme des Kindes nicht vorlagen, wird verstärkt nach Möglichkeiten gesucht werden müssen, um die behutsame Rückführung des Kindes erreichen zu können (BVerfG FamRZ 1985, 39, 42 m. w. N. sowie unter Hinweis auf BT-Drucks. 8/2788 S. 40).

Herausnahme aus Pflegefamilie zur Unzeit

Ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls allein daraus, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu den leiblichen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel noch kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen (BayObLG FamRZ 2001, 563; OLG Hamm FamRZ 1998, 447, 448). Vielmehr reicht dann in der Regel die Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung aus. Es ist im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die angenommene Gefahr für die Entwicklung des Kindes nur durch die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und nicht durch eine Verbleibensanordnung als milderes Mittel für abwendbar gehalten hat, vgl. BGH a. a. O.

Besondere Erziehungseignung

Ein Sorgerechtsentzug kann nicht alleine damit begründet werden, dass eine Rückkehr des Kindes zu den Eltern ausgeschlossen ist, weil diese nicht über die in der gegebenen Situation erforderliche besondere Erziehungseignung verfügten, um der mit der Trennung von den Pflegeeltern erwarteten traumatischen Belastungsreaktion des Kindes begegnen zu können.

Der Umstand, dass ein Rückführungsszenario derzeit aus in den Persönlichkeiten der leiblichen Eltern und der Pflegeeltern liegenden Gründen nicht erarbeitet werden kann, kann dazu führen, dass eine Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht infrage kommt. Es rechtfertigt aber noch nicht den Entzug von Teilen der elterlichen Sorge. Denn der Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern kann gleichermaßen mit dem Erlass einer Verbleibensanordnung gesichert werden (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 563). Zwar kann es in Einzelfällen denkbar sein, dass eine Verbleibensanordnung zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht gleichermaßen geeignet ist wie der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder der gesamten elterlichen Sorge. Dies wird jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein, etwa wenn die leiblichen Eltern das Pflegeverhältnis dergestalt beeinträchtigen, dass dies wiederum eine Gefährdung des Kindeswohls zur Folge hat oder wenn eine Rückkehr des Kindes dauerhaft ausgeschlossen ist, weil Misshandlungen durch die leiblichen Eltern drohen, vgl. BGH a. a. O

Erarbeitung eines Rückführungsszenarios

Auch die Annahme, dass auf absehbare Zeit mangels Erarbeitung eines Rückführungsszenarios eine Rückführung des Kindes nicht in Betracht komme, stellt keinen Grund für den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts dar. Denn die Verbleibensanordnung ist deshalb zur Sicherstellung des weiteren Aufenthalts des Kindes bei den Pflegeeltern nicht weniger geeignet. § 1632 Abs. 4 BGB lässt nicht nur Lösungen zu, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf eine Rückführung des Kindes zu seinen leiblichen Eltern nach einer Umstellungsphase gerichtet sind, sondern auch Verbleibensanordnungen, deren Endpunkt noch nicht abzusehen ist, vgl. BGH a. a. O.

Trennung von Eltern aufgrund unverschuldeten Versagens der Eltern

Gerade wenn die ursprüngliche Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern auf einem unverschuldeten Versagen der Eltern beruht, muss nach Wegfall der Gründe für die Trennung verstärkt nach Möglichkeiten gesucht werden, um die behutsame Rückführung des Kindes zu erreichen. Es muss, insbesondere im Falle des jungen Alters des Kindes – die Überlegung angestellt werden, wie ein Zueinanderfinden von Kind und leiblichen Eltern gelingen kann. Mit dem Entzug von wesentlichen Teilbereichen der elterlichen Sorge wird dagegen das Pflegeverhältnis weiter verfestigt und eine Rückführung zu den Eltern erschwert, vgl. BGH a. a. O.


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