Klagewelle gegen Arbeitgeber? - Abgeltung nicht genommener Urlaubstage noch Jahre später

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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 – einer Arbeitnehmerin einen Abgeltungsbetrag in Höhe von 17.376,64 Euro brutto wegen nicht genommener Urlaubstage zugesprochen.

Es hat hierbei entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Arbeitsnehmers zwar grundsätzlich innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist von 3 Jahren verjähren kann, allerdings nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.


Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Arbeitgeber aus Nordrhein-Westfalen beschäftigte die Arbeitnehmerin hier vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte er lediglich einen Betrag in Höhe von 3.201,38 EUR brutto zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen. Die Arbeitsnehmerin hatte aus den Vorjahren allerdings noch insgesamt 101 Urlaubstage offen, die der Arbeitgeber nicht abgelten wollte. Er stellte sich auf den Standpunkt, diese älteren Urlaubsansprüche seien verjährt.

Während eine Klage der Arbeitnehmerin am Arbeitsgericht noch abgewiesen wurde, sprach das Landesarbeitsgericht Düsseldorf einen Betrag in Höhe von 17.376,64 EUR für weitere 76 Urlaubstage zu. Der Arbeitgeber konnte diese Entscheidung auch mit einer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht nicht mehr rückgängig machen.


Wie argumentiert das Gericht?

Nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts findet die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren zwar grundsätzlich auch auf Urlaubsabgeltungsansprüche Anwendung. Unter Heranziehung europarechtlicher Vorschriften legte das Gericht die deutschen Verjährungsregeln jedoch dahingehend arbeitnehmerfreundlich aus, dass nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat, Verjährung eintritt. Hierbei beruft sich das Gericht auf eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der unter Anwendung des Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Grundrecht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen – klarstellte, dass dem Arbeitgeber hier sein eigenes Versäumnis, also der fehlende Hinweis an den Arbeitnehmer, nicht zum Vorteil gereichen dürfe. Der Arbeitgeber hat hier vielmehr seinen Obliegenheiten nachzukommen. Im vorliegenden Fall hat er jedoch die Arbeitnehmerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Damit waren die Urlaubstage weder nach § 7 III S. 1, 3 BUrlG verfallen noch nach § 214 BGB verjährt.  Deshalb wurde der Arbeitgeber zur Abgeltung der Urlaubstage in benannter Höhe verurteilt.


Was bedeutet das nun für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

  • Die Verjährung von Urlaubs(abgeltungs-)ansprüchen tritt nicht innerhalb von 3 Jahren ab Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit Ablauf des Jahres ein, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer


  1. über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat und
  2. der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.


  • Es ist nicht auszuschließen, dass durch dieses Urteil eine Klagewelle gegen Arbeitgeber losgetreten wird. Arbeitgeber sind zur Vermeidung evt. drohender Gerichtsverfahren auch und gerade mit früheren Angestellten nun dringend gehalten, ihre Arbeitnehmer entsprechend den Vorgaben dieses Urteils hinzuweisen.


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