Kompartmentsyndrom nach Sectio: 75.001,35 Euro

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Mit Urteil vom 06.01.2022 hat das Landgericht Arnsberg einen Chefarzt und ein Krankenhaus verpflichtet, an meine Mandantin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro sowie Haushaltsführungsschaden in Höhe von 50.001,35 Euro zu zahlen. Das Krankenhaus wurde verpflichtet, der Mandantin alle gegenwärtigen und künftigen materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung zu ersetzen. Das Krankenhaus musste auch meine anwaltlichen Gebühren bezahlen.

Die 1984 geborene Angestellte wurde in der 40 + 4 Schwangerschaftswoche stationär aufgenommen. Sie hatte alle fünf Minuten Wehen. Weil der Kopf in Beckenmitte stand, wurde eine Kaiserschnittentbindung angeordnet. Die Operation begann um 23.18 Uhr und endete am Folgetag um 6.47 Uhr. Während dieser Zeit wurden die Beine der Mandantin in Beinschalen, in sogenannter Stein-Schnitt-Lage, d.h. mit angewinkelten Hüft- und Kniegelenken, gelagert.

Nachdem das Kind per Sectio gesund entbunden werden konnte, fand sich eine Blasenverletzung, nachdem der Bauch bereits wieder verschlossen war. Die Blasenläsion wurde versorgt, nach Auffüllen der Blase mit Blaulösung zeigte sich eine weitere Läsion, die ebenfalls mit einer Naht versorgt wurde. Die Ärzte fanden noch eine dritte sehr tief sitzende Blasenläsion, so dass der Urin über die Scheide ablief. Nachdem es dem Chefarzt nicht gelungen war, die weitere Blasenverletzung intraoperativ darzustellen, ließ er einen als Belegarzt tätigen Urologen anrufen. Die Blase wurde transvesikal von dem Urologen versorgt.

Postoperativ litt die Mandantin unter starken Schmerzen in beiden Waden und beiden Beinen. Es folgten zahlreiche stationäre und neurologische Behandlungen, um die Schmerzen zu lindern.

Ich hatte dem Chefarzt vorgeworfen, die Klägerin während der nicht erklärbaren Operationszeit von 23.18 Uhr bis 6.47 Uhr ausschließlich fehlerhaft in Stein-Schnitt-Lage gelagert zu haben. Eine Lagerungskontrolle oder ein Lagerungswechsel seien nicht erfolgt. Es sei zu einer Druckläsion des Nervus ischiadicus beidseitig mit bestehenden sensomotorischen Störungen, Schmerzen und Hyperästhesien in beiden Füßen und Beinen gekommen. Die Mandantin habe bis heute starke Schmerzmittel einnehmen und eine psychotherapeutische Behandlung absolvieren müssen. Ihre maximale Gehstrecke betrage 3 km. Sie habe sich in den ersten 16 Monaten nach der Geburt kaum um ihr Baby kümmern können und sei wegen der Schmerzen auf die Hilfe ihrer Familienangehörigen angewiesen gewesen.

Bis zum heutigen Zeitpunkt leide sie unter schweren Beinen, nach längerer Belastung entstehen zunehmend Schmerzen. Besonders stark seien die Schmerzen, wenn sie abends zur Ruhe kommt. Auch im Haushalt komme es zu erheblichen Einschränkungen aufgrund der Schmerzen.

Der gynäkologische Sachverständige hatte bestätigt: Die lange Operationszeit von fast 7,5 Stunden sei in keinster Weise nachzuvollziehen. Das sei für diese Art der Operation eine unvorstellbare lange Zeit. Während dieser Zeit sei es zur Vermeidung eines Kompartmentsyndroms beider Beine geboten gewesen, die Mandantin zwischendurch in eine Längslage zu bringen. Es habe die Möglichkeit bestanden, die Operation abzubrechen und die Versorgung der Blasenverletzung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Die Mandantin hätte auch in eine Längslagerung und nach Eintreffen des Urologen zurück in die Stein-Schnitt-Lage gebracht werden können. Es sei bei dieser extrem langen Operationsdauer geboten gewesen, nach spätestens vier Stunden Dauer die Beine aus den Beinhaltern zu nehmen und die Patientin in eine Längslagerung zu verbringen. Bei Operationszeiten und Lagerungen in Stein-Schnitt-Lage über vier Stunden sei das Risiko sehr hoch, dass sich ein Kompartmentsyndrom entwickele, d.h. eine Stauung in den unteren Extremitäten, insbesondere im Wadenbereich. Das Kompartmentsyndrom sei auf diese fehlerhafte Lagerung zurückzuführen.

Auch die postoperative Nachbehandlung sei fehlerhaft gewesen. Die Ärzte hätten nicht auf die Schmerzen in den Waden und die Schwellungen reagiert. Der orthopädische Sachverständige hatte bestätigt: Die Beschwerden der Mandantin seien durch das Kompartmentsyndrom an beiden Beinen verursacht worden. Da auch der Haushaltsführungsschaden von Zeugen glaubhaft bestätigt wurde, hat das Landgericht einen Betrag in Höhe von 50.001,35 Euro gemäß § 843 Abs. 1 BGB zugesprochen und ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro ausgeurteilt.

(Landgericht Arnsberg, Urteil vom 06.01.2022, AZ: I-5 O 62/17)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

Foto(s): adobe stock foto


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