Nachfolge in der Arztpraxis: Praxisverkauf ohne Praxissubstrat

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Was passiert mit dem Wert meiner Praxis, wenn ich keinen Käufer finde und nicht mehr in der Lage bin, meinen Versorgungsauftrag auszufüllen? Ist meine Praxis dann überhaupt noch veräußerbar? Wie lange besteht die Praxis dann noch als Praxis fort (Praxissubstrat)?

Die Fragen der gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeregelung und der Veräußerung der eigenen Praxis hängen stark mit zulassungsrechtlichen Fragen zusammen und können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Ein potenzieller Käufer wird nur wenig Interesse am Kauf einer Praxis haben, wenn er nicht auch die Zulassung des Verkäufers erhält. Gleichzeitig hat auch der Verkäufer ein Interesse an einem hohen Kaufpreis, den er nur erzielen kann, wenn der Käufer den vorhandenen Patientenstamm mit der Zulassung des Verkäufers versorgen kann. Der Patientenstamm ist insofern nur dann eine werthaltige Vermögensposition der Praxis, wenn der Versorgungsauftrag fortbestehen und von dem Käufer auch fortgeführt werden kann. Der Verkäufer wird also bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahren stellen und der Käufer wird sich auf diese Ausschreibung bewerben.

Maßgeblich für die Durchführung des Verfahrens der Nachbesetzung durch die KV ist jedoch die Fortführungsfähigkeit der Praxis (BSG, Urteil vom 23.03.2016 – B 6 KA 9/15 R). Die Fortführungsfähigkeit kann nur dann vorliegen, wenn noch ein Praxissubstrat vorhanden ist. Andernfalls kann mangels existierender Praxis keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden (BSG, Urteil vom 27.06.2018 – B 6 KA 46/17 R).

Vom Vorhandensein eines Praxissubstrates kann dann ausgegangen werden, wenn in der zu veräußernden Praxis eine „Tätigkeit in nennenswertem Umfang“ stattgefunden hat (BSG, Beschluss vom 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B). Das setzt u.a. die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen voraus, also die Behandlung von GKV-Patienten, bei denen die ärztlichen Leistungen über die KV abgerechnet wurden. GKV-Patienten als Selbstzahler zählen nicht zum Patientenstamm. Das Vorhandensein von Praxisräumen ist nicht ausreichend. Das Bestehen eines Patientenstammes ist folglich essenziell, da die Räumlichkeiten, Ausstattung, Internetauftritt u. ä. erst im Zusammenhang mit der tatsächlichen vertragsärztlichen Tätigkeit einen spezifischen Praxiswert erlangen (BSG, Beschluss vom 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B). Dies gilt gleichfalls für Praxisgründungen, deren Arzt zunächst eine Praxis aufbauen muss, um ein fortführungsfähiges Praxissubstrat zu schaffen. Die Höhe der Honorarumsätze und Fallzahlen sind hierbei ein wichtiges Indiz.

Ist man jedoch nicht mehr in der Lage, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen, führt dies zwangsläufig zu einem Abschmelzen der Fallzahlen und Arbeitsstunden des Praxisinhabers. Das SG München hat mit Urteil vom 09.07.2019 (S 38 KA 535/17) für einen Fall entschieden, dass für einen vollen Vertragsarztsitz die Fallzahlen und die wöchentlichen Arbeitsstunden nicht unter 50 % der Fachgruppe liegen sollten. Dann ist noch von einer vertragsärztlichen Tätigkeit in „nennenswertem“ Umfang auszugehen, sodass die Praxis fortführungsfähig bleibt.

Beendet der Arzt seine Praxistätigkeit ganz oder ist er aus anderen Gründen gehindert, seine vertragsärztliche Leistung zu erbringen, stellt sich die Frage, wie lange das Praxissubstrat, insbesondere der Patientenstamm, noch vorhanden und damit veräußerbar ist. Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen einer Fortführung der Praxis gegeben sind, kommt dem zeitlichen Abstand zwischen der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Vorgänger und dem Zeitpunkt der Antragstellung erhebliche Bedeutung zu (BSG, Urteil vom 23.03.2016 – B 6 KA 9/15 R).

Eine grundsätzliche Festlegung, nach welcher Zeitspanne eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr existiert, gibt es nicht. Vielmehr ist dies von der Bewertung der gesamten Umstände des Einzelfalles abhängig (BSG, Urteil vom 11.12.2013 − B 6 KA 49/12 R). Jedenfalls besteht mehr als sieben Jahre nach dem Ausscheiden eines Arztes aus einer Berufsausübungsgemeinschaft keine Grundlage mehr für eine Fortführung, so das BSG. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass sich der ideelle Wert einer Arztpraxis nach sechs Monaten ohne Patientenbehandlung verflüchtigt habe. In besonderen Fällen wird man auch von einem Jahr ausgehen können. Hingegen wurde in einem Fall entschieden, dass die „Sachmittel nach einem Zeitraum von mehr als einem Jahr, in dem keinerlei vertragsärztliche Leistung erbracht worden ist, keinen Bezug mehr zur vertragsärztlichen Tätigkeit aufwiesen“. Weiter hat das BSG auch klargestellt, „dass jedenfalls vier Jahre nach dem faktischen Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit davon ausgegangen werden kann, dass ein Praxissubstrat nicht mehr vorhanden und eine Nachfolgezulassung nach SGB V § 103 Absatz 4 SGB V ausgeschlossen sei“. Ein fester Zeitraum ist daher nicht vorhersehbar, maßgebend sind allein die Besonderheiten des Einzelfalls.

Daraus folgt, dass eine Nachfolge frühzeitig vor dem Abschmelzen des Praxissubstrats geplant werden sollte, um die Praxis tatsächlich noch werthaltig verkaufen zu können. Gern beraten wir Sie hinsichtlich der verschiedenen und auf Ihre individuellen Besonderheiten gestützten Umsetzungsmöglichkeiten.


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