Nachweis eines Behandlungsfehlers mittels Gutachten – Medizinrecht

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Nachweis eines Behandlungsfehlers mittels Gutachten

Medizinrecht

Im Rahmen des Arzthaftungsrechts zeigt sich immer wieder das nur zögerliche Vorgehen der Mandanten gegen ihre behandelnden Ärzte. Das jeweils vorgebrachte Argument lautet: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ So wird auch im Erstberatungsgespräch von unseren Mandanten immer wieder die Frage aufgeworfen: Wie soll man das dem Arzt denn überhaupt nachweisen?

1. Wie den Nachweis erbringen? 

Hier gibt es sehr viele Möglichkeiten, und zwar sowohl außergerichtlich wie auch gerichtlich, entsprechende Nachweise zu führen. Neben Arztberichten und auch Aussagen von vor- und nachbehandelnden Ärzten nimmt das Gutachten eine immer größere Bedeutung ein. 

Man kann selbstverständlich ein Privatgutachten einholen lassen. Jedoch raten wir davon ab, da dies meist mit sehr hohen Kosten verbunden ist und man aufgrund der Unabhängigkeit der Gutachter sich so den Behandlungsfehler auch nicht „erkaufen“ kann. Es ist also völlig offen, ob das Privatgutachten positiv oder negativ ausfällt. Auf den Kosten für das Privatgutachten bleibt der Mandant zunächst einmal sitzen. Die Rechtsschutzversicherungen tragen diese Kosten nicht. 

Es gibt jedoch folgende Möglichkeiten:

  • Man kann sich an seine gesetzliche Krankenversicherung wenden, welche ihre Versicherten häufig mit der Erstellung eines kostenlosen MDK-Gutachtens unterstützt.
  • Man wendet sich an die Landesärzte- bzw. Landeszahnärztekammer zwecks Erstellung eines solchen Gutachtens.

2. Vorteile von Gutachten

Diese Gutachten haben sehr viele Vorteile: Man kann den Sachverhalt von einem unabhängigen Arzt begutachten lassen. Man kann, nachdem das Gutachten erstellt worden ist, Fragen an den Gutachter stellen, Ergänzungen erbitten usw. Man kann sodann auch dieses Gutachten bei der außergerichtlichen Regulierung oder aber auch im gerichtlichen Verfahren als Beweismittel mit heranziehen, zum Nachweis eines möglichen Behandlungsfehlers.

Es ist grundsätzlich so, dass sowohl der Mandant als auch der Rechtsanwalt medizinische Laien sind. Selbst bei einer Spezialisierung auf den Bereich des Medizinrechts oder auch bei Qualifizierung zum Fachanwalt für Medizinrecht ist es gleichwohl sinnvoll, die Meinung eines Mediziners zur Einschätzung des Falles mit heranzuziehen. 

Die Erstellung von Gutachten kann neben der Beweiserleichterung weitere Vorteile haben: So führt beispielsweise die Erholung eines Gutachtens durch die Landesärztekammer zu einer sog. Hemmung der Verjährung. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des BGH beginnt die Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen mit der Gegenseite, aber auch mit Eingang des Antrags bei der jeweiligen Ärztekammer. Nach Durchführung eines solchen Verfahrens endet die Hemmung frühestens sechs Monate nach einer rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des Verfahrens vor der Ärztekammer. 

Hemmung der Verjährung bedeutet, dass nach dem Ende der Verjährung (bei Arzthaftungssachen regelmäßig drei Jahre beginnend mit dem Ende des Jahres, in das die Kenntnis von dem Behandlungsfehler fällt) die Zeit der Hemmung noch mit hinzugezählt wird. 

Wenn man mit Hilfe eines positiven Gutachtens in außergerichtliche Regulierungsverhandlungen tritt, heißt das noch nicht, dass der Fall gewonnen ist. Aber man kann eine gewisse Waffengleichheit herstellen, da die gegnerische Haftpflichtversicherung Rückfrage bei den behandelnden Ärzten halten wird. 

3. Was tun, wenn das Gutachten negativ ist?

Wie bereits ausgeführt, kann man dem Gutachter noch Fragen stellen bis es zu einer abschließenden Stellungnahme kommt. Wenn man ein negatives Gutachten der Landesärzte- oder Landeszahnärztekammer erhält, hat der Gegner hiervon Kenntnis, da bei diesem Gutachtensverfahren der Gegner zustimmen muss. D. h. er ist mit eingebunden und kann seine Sicht mittels eigener Stellungnahmen vortragen. Mit einem negativen Gutachten ist der Rechtsstreit jedoch noch nicht verloren. Dies stellte zuletzt der BGH mit Beschluss vom 19.03.2019, Az. VI ZR 278/18, fest. In diesem Fall wurde ein negatives Gutachten der Medizinischen Schlichtungsstelle erstellt. Der BGH stellte fest, dass dieses Gutachten im Arzthaftungsprozess im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden kann. Dies darf aber nicht zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten führen. Auch ist dieses Schlichtungsgutachten auf Beweisebene nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen. 

Das bedeutet, auch die Gegenseite kann ein Gutachten in den Prozess mit einführen. Der Richter muss jedoch dann nach der freien richterlichen Beweiswürdigung einschätzen, ob dieses auch inhaltlich richtig ist. Dazu ist es notwendig, einen Sachverständigen hinzuzuziehen und eine schriftliche/mündliche Begutachtung anzuordnen, sei es nach Aktenlage oder nach einer ambulanten Untersuchung, je nach Fall. 

Sie sollten also auch bei Vorliegen eines negativen Gutachtens sich nicht scheuen, Ihre Ansprüche weiter zu verfolgen. 

Wie bekannt, wird in den meisten gerichtlichen Verfahren die Erholung eines Gutachtens angeordnet. Dies liegt daran, dass der Richter selbst auch den medizinischen Sachverhalt nicht wie ein Arzt beurteilen kann und daher aufgrund fehlender Fachkunde in den meisten Fällen einen Gutachter hinzuziehen muss. 

Auch bei gerichtlichen Gutachten hat man die Möglichkeit, sich schriftlich zu äußern und auch in der Verhandlung Fragen an den Gutachter zu richten. 

4. Unsere Empfehlung 

Wenn Sie einen Behandlungsfehler vermuten, können Sie sich selbstverständlich selbständig an Ihre Krankenversicherung oder die jeweils zuständige Landesärztekammer wenden und dort um Erstellung eines Gutachtens bitten. Es ist jedoch ratsam, möglichst frühzeitig einen Rechtsanwalt mit einzuschalten, der bereits das außergerichtliche Gutachtensverfahren mit begleitet, womit sichergestellt werden kann, dass eine Verjährung nicht übersehen wird, dass sämtliche Unterlagen mit eingereicht werden und dass möglichst frühzeitig Fragen an den Gutachter formuliert werden können.

Wenn Sie eine rechtliche Beratung wünschen, stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Sofern Sie bereits ein Gutachten eingeholt haben, können Sie uns dieses gerne übersenden, damit wir eine Einschätzung abgeben können, ob ein weiteres Verfahren sinnvoll erscheint oder nicht. 

Ulrike Böhm-Rößler

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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