Neues vom Widerrufsjoker: Urteil des EuGH vom 26.03.2020

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem aufsehenerregenden Urteil vom 26.03.2020 (C- 66/19) die Chancen zur erfolgreichen Durchsetzung eines Darlehenswiderrufs entscheidend verbessert. Presseberichten zufolge sind fast 20 Millionen Autokredit- und Leasing-Verträge mit einem Volumen von 340 Milliarden Euro betroffen. Bei den Baukrediten für private Haushalte soll es um eine Darlehenssumme von insgesamt 1,2 Billionen Euro gehen.

Mit diesem Urteil stellte der EUGH fest, dass eine Klausel in der   Widerrufsinformation, die sich in nahezu allen zwischen dem 11.06.2010 bis 2016 abgeschlossenen Darlehensverträgen findet, gegen die verbraucherschutzrechtlichen Vorgaben der EU verstößt. Es handelt sich um folgenden Passus zum Lauf der Widerrufsfrist:

 „Die Frist beginnt nach Vertrags­schluss, aber erst, nachdem der Darlehens­nehmer alle Pflicht­angaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, (...) zum Nettod­arlehens­betrag, (...) zur Vertrags­lauf­zeit (...) erhalten hat“.

Die Feststellung des EuGH beruht darauf, dass diese Vorschrift wiederum auf eine andere Vorschrift (Art. 247 §§ 6 – 13  EGBGB) verweist, die ihrerseits auf weitere zivilrechtliche Vorschriften Bezug nimmt. Will der Darlehensnehmer den Beginn den Fristenlaufs ermitteln, so zwingt ihn also diese Verweisungstechnik  -  in der Juristensprache „Kaskadenverweis“ genannt - zu einem Durchgang durch verschiedene Gesetzeswerke des deutschen Zivilrechts. Der EuGH hat nun befunden, dass der Kaskadenverweis  mit der europäischen Richtlinie für Verbraucherkreditverträgen nicht vereinbar sei, wonach  europäische Verbraucher in klarer und prägnanter Form über ihre Verträge und deren Inhalt informiert werden müssen. Für Verbraucher sei der Kettenverweis nämlich nicht ohne weiteres nachvollziehbar, da die Verbraucher weder den Umfang ihrer vertraglichen Verpflichtungen bestimmen könnten und auch nicht von ihnen überprüfbar sei, ob der abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Pflichtangaben enthalte.

Damit stellt sich der EuGH in ausdrücklichem Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, der in einem am 22.11.2016 ergangenen Urteil (XI ZR 434/15) diese Form der Widerrufsinformation für zulässig erklärt hatte.

Nicht nur für Verbraucher, die ihren PKW kreditfinanziert erworben haben, sondern auch für Darlehensnehmer, die im besagten Zeitraum einen Immobilienkredit zu den seinerzeit noch recht hohen Zinsen aufgenommen hatten, eröffnet die EuGH-Entscheidung nun die   Möglichkeit, sich  per Widerruf von diesen Krediten zu lösen und mit anwaltlicher Unterstützung in erfolgsträchtige  Verhandlungen mit den betroffenen Banken einzutreten mit dem Ziel der Reduzierung des Zinssatzes oder aber im Falle des beabsichtigten Verkaufes der Immobilie der ansonsten anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung zu entgehen.

Vor diesem Hintergrund kommt bei allen Darlehensverträgen mit einer derartigen Widerrufsinformation ein Widerruf in Betracht, unabhängig davon ob eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung besteht. Es ist zwar absehbar, dass sich die betroffenen Kreditinstitute auf Vertrauensschutz berufen werden, weil sie die amtliche Musterbelehrung verwendet hätten. Obwohl dies noch nicht abschließend geklärt ist, spricht jedoch einiges dafür, dass die amtliche Musterbelehrung gemäß dem Urteil des EuGH  ebenfalls als europarechtswidrig einzustufen ist.

Gesteigerte Erfolgsaussichten haben Darlehensnehmer, die einen Darlehensvertrag mit den genossenschaftlichen Banken (Volks - und Raiffeisenbanken) abgeschlossen haben, in deren Widerrufsinformation sich als Beispielsangabe für die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB die Angabe der für die Bank zuständigen Aufsichtsbehörde findet. Weil das gesetzliche Muster die Angabe der zuständigen Aufsichtsbehörde nicht beinhaltet, entfällt wegen der Abweichung vom Muster bei dieser Fallkonstellation von vornherein der Vertrauensschutz.


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