Nur ein Pflichtverteidiger? Natürlich nicht ...

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Wenn von Strafverfahren und der beteiligten Verteidigung die Rede ist, hört man immer wieder: „Der hatte einen richtigen Anwalt“ oder aber „er hatte nur einen Pflichtverteidiger“.

Was ist überhaupt ein Pflichtverteidiger?

Im Strafverfahren ist in vielen Fällen die Mitwirkung einer Anwältin oder eines Anwalts als sogenannte „notwendige Verteidigung“ gesetzlich gem. § 140 StPO vorgeschrieben. Dem Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten stehen im Strafverfahren die Ermittlungs- und Justizbehörden, repräsentiert durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht gegenüber. Diese sind zur Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruchs mit vielfältigen Ermittlungs- und Eingriffsbefugnissen ausgestattet. Das durch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Recht auf ein faires Verfahren gebietet nicht nur, dass einem Beschuldigten oder Angeklagten jederzeit die Möglichkeiten, einen Anwalt zu kontaktieren, gewährleistet sein muss. Das Recht auf ein faires Verfahren erfordert vielmehr auch, dass in bestimmten Fällen ein Verfahren ohne anwaltliche Verteidigung nicht durchgeführt werden darf.

Ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung liegt unter anderem vor, wenn

  • ein Verbrechen (Mindeststrafe: ein Jahr) angeklagt ist
  • die Hauptverhandlung vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet
  • sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder länger als drei Monate in Strafhaft befindet
  • eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit (z. B. bei psychischer Erkrankung) vorliegt
  • schwierige Rechtsfragen geklärt werden müssen oder eine umfassende Beweisaufnahme notwendig ist
  • eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr oder ein entsprechender Bewährungswiderruf droht

Ist in diesen Fällen die beschuldigte oder angeklagte Person nicht verteidigt, so ist ein Verteidiger gerichtlich zu bestellen. In der Praxis haben Beschuldigte häufig im Laufe des Verfahrens bereits eine Anwältin oder einen Anwalt ihres Vertrauens mit der Verteidigung beauftragt und diese beantragen dann als sogenannte „Wahlpflichtverteidiger“ ihre Beiordnung als Pflichtverteidiger. Auf diese Weise wird auch in den Fällen, in denen der Mandant die Verteidigung nicht bezahlen kann, das Recht auf ein faires Verfahren und eine Verteidigung sichergestellt. Pflichtverteidiger sind also vom Gericht unabhängige Anwälte, die allein und ausschließlich dem sachgerechten Verteidigungsinteresse ihres Mandanten verpflichtet sind.

Wann erfolgt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers?

Wird gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt, ist dem Beschuldigten durch den Ermittlungsrichter bereits während des Ermittlungsverfahrens ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Auch hier wird dem Beschuldigten ein von ihm benannter Verteidiger des Vertrauens beigeordnet. Kann der Beschuldigte nicht unmittelbar eine Verteidigerin oder Verteidiger benennen, so ist – auch wenn die Beiordnung nach dem Gesetzeswortlaut „unverzüglich“ zu erfolgen hat – eine Überlegungs- und Erklärungsfrist von ein bis zwei Wochen zur Benennung einzuräumen.

In Verfahren ohne Vollstreckung von Untersuchungshaft erfolgt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers regelmäßig nach Erhebung der Anklage. Hat sich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein vom Beschuldigten gewählter Anwalt bestellt, so hat der Richter dem Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, einen Verteidiger seines Vertrauens zu benennen. In der Praxis geschieht dies regelmäßig mit Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten.

In Ausnahmefällen kann ein Pflichtverteidiger bei Vorliegen der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung auch schon im Ermittlungsverfahren beigeordnet werden. Notwendig ist hier ein entsprechender Antrag des Staatsanwaltes an das zuständige Gericht. Ein solcher Antrag kann durch einen vom Beschuldigten gewählten Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft angeregt werden. Sinnvoll kann dies beispielsweise in manchen Fällen bei sprachunkundigen Ausländern sein, wenn die Hinzuziehung eines Dolmetschers zur Führung der Verteidigung notwendig ist.

Es empfiehlt sich schon in einem frühen Verfahrensstadium – idealerweise vor der Beschuldigtenvernehmung – eine Beratung durch eine strafrechtlich spezialisierte Anwältin oder einen Anwalt einzuholen. Auch wer nicht die Mittel zur Bezahlung eines Wahlverteidigers hat, sollte sich so früh wie möglich um anwaltliche Beratung bemühen und klären, ob die Bereitschaft zur Übernahme eines Wahlpflichtmandats besteht. Bei dieser Gelegenheit lässt sich bereits überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigung im konkreten Fall vorliegen.

Vergütung des Pflichtverteidigers / Kosten des Angeklagten

Der als Pflichtverteidiger beigeordnete Rechtsanwalt rechnet seinen Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse ab. Diese Pflichtverteidigervergütung ist gegenüber den Wahlverteidigergebühren reduziert. Pflichtverteidiger können mit dem Mandanten eine zusätzliche Vergütung vereinbaren. Im Falle einer Verurteilung werden dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens und die eigenen notwendigen Auslagen auferlegt. Dementsprechend trägt der Angeklagte bei Verurteilung auch die Kosten für die Pflichtverteidigervergütung. Bei Mittellosigkeit oder eingeschränkten Zahlungsfähigkeit des Verurteilten empfiehlt sich hier ein Antrag auf Stundung oder Ratenzahlung an die Staatsanwaltschaft. Im Falle eines Freispruchs trägt die Staatskasse sämtliche Kosten, also auch die gesetzlichen Gebühren der Verteidigung.

Astrid Aengenheister, Fachanwältin für Strafrecht in Bonn


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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