OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 12.04.2022 – Az.: 7 U 55/21 – Die Haftung im Reitunterricht –

  • 7 Minuten Lesezeit

Ein ungeduldiger Reitschüler - wer kennt ihn nicht?

Was ist passiert? Kurz: Eine Reitschülerin stieg auf, obwohl die Reitlehrerin sie bat, damit zu warten, bis sie wieder da wäre. Die Reitschülerin steig dennoch auf und wurde sofort wieder abgeworfen. Dabei brach sie sich nicht wenige Knochen und begehrt nun Schmerzensgeld von der Reitlehrerin. Zu Recht?


Die Tierhalterhaftung, insbesondere im Zusammenhang mit Pferden, beschäftigt die Gerichte in regelmäßigen Abständen, so zuletzt auch das OLG Hamm und in der Vorinstanz das LG Bielefeld.


Im vorliegenden Fall forderte die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der materiellen Einstandspflicht nach einem Sturz von einem Pferd. 

Die Beklagte ist Halterin mehrerer Pferde, darunter auch das Pferd, von welchem der Sturz der Klägerin stattfand. Das Tier wurde von unterschiedlichen Reitern bewegt – aber erst kürzlich angeritten. 

Die Beklagte ist Inhaberin mehrerer Trainerlizenzen; die Klägerin ritt bereits seit vielen Jahren. Zum Zwecke der Teilnahme am Reitunterricht der Beklagten wollte die Klägerin das Pferd besteigen. Hierbei stieg die Klägerin mit dem linken Fuß in den Steigbügel. Bei Hinüberschwingen des rechten Beins ging das Pferd durch und bockte. In der Folge stürzte die Klägerin zu Boden und erlitt dabei eine distale Radiusfraktur sowie eine Fraktur des Proc. Coronoideus ulnae. 

Als die Klägerin versuchte, auf das Pferd zu steigen, war aber die Beklagte noch nicht in der Reithalle anwesend. 

Infolge des Sturzes musste die Klägerin operiert werden und stationär im Krankenhaus verbleiben. Eine operative Entfernung der eingesetzten Metallplatten erfolgte in der Folgezeit. 

Die Forderungen der Klägerin umfassten materielle Schäden, d.h Arzneimittel- und Behandlungskosten, den Verdienstausfall, einen Haushaltsführungsschaden, Fahrtkosten sowie immateriellen Schaden in Form von Schmerzensgeld. Daneben begehrte die Klägerin die Freistellung der Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten sowie die Feststellung, dass die Beklagte dazu verpflichtet wird, alle weiteren (zukünftigen) materiellen und immateriellen Schäden, resultierend aus dem Reitunfall, zu ersetzen.


Das Landgericht Bielefeld gab der Klage teilweise statt – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin in Höhe von 50 %; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. 

Das Landgericht begründete die Entscheidung damit, dass der Klägerin grundsätzlich ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB zustehen würde; eine Entlastung über das Nutztierprivileg nach § 833 S. 2 BGB habe nicht stattgefunden. Zwar habe die Beklagte eine Reitschule zum maßgeblichen Zeitpunkt betrieben, was für die Anwendung von § 833 S. 2 BGB ausreichend ist; allerdings habe die Beklagte nicht nachweisen können, dass sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auch an den Tag gelegt habe

Eine Beaufsichtigung der Klägerin / des Pferdes durch die Beklagte habe nicht stattgefunden; mithin läge ein fahrlässiges Handeln der Beklagten vor. 

Die Behauptung der Beklagten, sie habe der Klägerin gesagt, mit dem Aufsteigen zu warten, habe sich in der Beweisaufnahme nicht belegen lassen können; zumindest habe sich die Beklagten vorwerfen lassen müssen, dass sie aufgrund vergangener Erfahrungen damit habe rechnen müssen, dass einzelne Reiterinnen – wie die Klägerin – direkt auf das Pferd aufsteigen würden.

Die Beklagte legte Berufung ein. Sie macht unter anderem geltend, dass sie nicht fahrlässig gehandelt habe. Die Klägerin habe gewusst, dass das Tier im Rahmen des Aufsteigens empfindlich sei; mithin habe die Klägerin auf eigene Gefahr gehandelt. Ferner habe die Beklagte nicht damit rechnen müssen, dass Reitschüler - auch ohne dass sie vor Ort sei - aufsteigen würden. Daneben müsse die faktische Reitbeteiligung der Klägerin beachtet werden. Die der Beklagten zuzurechnenden Tiergefahr müsse aufgrund des eigenen Verschuldens der Klägerin entfallen. Einzelne Schadensposten seien zudem überhöht festgesetzt worden bzw. nicht angefallen. Aufgrund fehlender Spätfolgen bestehe ein Feststellungsinteresse nicht.

Im Beschluss des OLG Hamm wird darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe und es beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. In der Folge wurde die Berufung zurückgezogen.

Zur Begründung führt das OLG Hamm aus, dass das Landgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß § 833 S. 1 BGB habe. Die Voraussetzungen habe das Landgericht zutreffend und für den Senat bindend, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, festgestellt. Die Beklagte ist Halterin des Pferdes, die Klägerin am Körper und Gesundheit durch den Sturz geschädigt worden. Die spezifische Tiergefahr umfasse das Buckeln von Pferden. Eine Entlastung nach § 833 S. 2 BGB liege zudem zutreffend nicht vor. Ihrer Beweislast hinsichtlich der Behauptung, dass die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe, sei sie nicht nachgekommen. Maßgeblich sind grundsätzlich die Umstände des Einzelfalls, bezogen auf das Pferd sind insbesondere dessen besonderen Eigenschaften zu berücksichtigen. Vorliegend sei es der üblichen Sorgfalt entsprechend, dass die Beklagte der Klägerin beim Aufsteigen Hilfestellung gegeben hätte und diese zudem ausdrücklich angewiesen hätte, nicht ohne ihr Beisein aufzusteigen. Der Grund hierfür läge insbesondere darin, dass das Pferd, noch kein sicheres Verlasspferd sei, da dieses erst vor kurzem angeritten worden sei und bislang auch schon gebuckelt habe.

Ein Mitverschulden, welches über die vom Landgericht ausgeurteilten 50 % hinausgehe, könne der Senat nicht annehmen. Eine Tieraufsehereigenschaft i.S.d. § 834 BGB, welche ein Mitverschulden auf Null reduzieren könne, sei vorliegend nicht festzustellen. 

Reitbeteiligte können nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich als Tieraufseher klassifiziert werden. Ob die Klägerin eine Tierhüterin i.S.d. § 834 BGB gewesen ist, konnte aufgrund des Vortrages der Parteien und der erhobenen Beweise nicht im Beweismaßstab des § 286 Abs. 1 ZPO festgestellt werden, sodass dies zu Ungunsten der darlegung- und beweisbelasteten Beklagten geht. Eine analoge Anwendung von § 834 BGB auf den Reiter habe keine abweichende Mitverschuldensquote zur Folge. Jedoch sei der Klägerin zu Last zu legen, dass sie alleine auf ein Pferd, welches schon einmal buckelte, aufstieg. 

Zum Zeitpunkt des Sturzes sei die Klägerin bereits erfahren genug gewesen, um zu wissen, welche Konsequenzen ein alleiniges Aufsteigen habe, auch wenn das Tier, welches noch kein „Verlasspferd“ ist, bisher keine Probleme ihr gegenüber gemacht habe. Ein Tier ist zu keinem Zeitpunkt umfänglich beherrschbar. Die Haftung sei zudem nicht wegen eines Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen. Im Rahmen der Tierhalterhaftung komme ein Handeln auf eigene Gefahr nur in Ausnahmefällen in Betracht. Insgesamt sei die Schadenshöhe vom Landgericht nach Ansicht des OLG zutreffend bemessen worden; ebenso das Schmerzensheld in Höhe von 2.000 Euro.

Den Entscheidungen des LG Bielefeld sowie des OLG Hamm ist vollumgänglich zuzustimmen. Im Rahmen der Tierhalterhaftung bleibt zunächst zu konstatieren, dass der Tierhalter grundsätzlich immer haftet. Der Grund hierin liegt in der hohen Gefahr, die von einem Pferd ausgeht. Wird das Pferd jedoch für den Beruf und den Unterhalt des Tierhalters genutzt, wie beispielsweise als Reitschulpferd, so obliegt dem Halter die Möglichkeit, sich in Schadensfällen auf das sogenannte „Nutztierprivileg“ des § 833 S. 2 BGB zu berufen. Sofern es zu der Schädigung eines Dritten kommt, das Pferd jedoch dem Unterhalt, dem Beruf oder der Erwerbstätigkeit des Halters dient und der Halter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, tritt die Ersatzpflicht gegenüber dem geschädigten Dritten nicht ein. Dies war vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hat. Vielmehr hätte sie nachvollziehbar darlegen und beweisen müssen, dass die Klägerin gegen ihre konkreten Anweisungen gehandelt hat, sich vielmehr durch das selbstständige Aufsteigen darüber hinweggesetzt hat bzw. der Unfall bei aller Sorgfalt nicht hätte vermeiden lassen.

___


Reitbeteiligungen können grundsätzlich Tieraufseher i.S.v. § 834 BGB sein; maßgeblich hierfür sind aber die Umstände des Einzelfalls. Sofern eine Einordnung als Tieraufseher in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob eine Haftung im Verhältnis des Tierhalters gegenüber dem Tieraufseher in Betracht kommt. Dies wird mitunter unterschiedlich beurteilt – stellt man sich jedoch auf den Standpunkt, dass eine Reitbeteiligung einen nur sehr begrenzten Zeitraum mit einer nur sehr beschränkten Verfügungsmacht mit dem Pferd zusammen ist, so schützt § 833 S. 1 BGB wohl unabhängig von der Frage, ob eine Tieraufsehereigenschaft bejaht werden kann oder nicht. Anders zu beurteilen ist dies freilich dann, wenn die Reitbeteiligung als Mithalter zu klassifizieren ist - im Hinblick auf den Sinn und Zweck von § 833 S. 1 BGB haftet der eine Halter nicht gegenüber dem anderen Halter.


___


Mithin lässt sich festhalten, dass die Haftung im Rahmen des Reitunterrichtes schnell den Tierhalter, welcher zugleich auch der Reitlehrer ist, treffen kann. Unabdingbar in diesen Fällen sind entsprechende Versicherungen, um im Schadensfall abgesichert zu sein. Im diesen Zusammenhang bleibt zu berücksichtigen, dass auch ein entsprechender Haftungsausschluss in den Fällen, wie vorliegend, nicht zwingend einen umfänglichen Schutz vor einer Haftung bietet. Selbst bei Vereinbarung eines schriftlichen Haftungsausschlusses kann sich die Problematik der Wirksamkeit eines solchen stellen. Im Falle des Falles wird nämlich zumeist der Sozialversicherungsträger, welcher zunächst die Kosten für die Heilbehandlung etc. trägt, und auf welchen Ansprüche übergehen, § 116 SGB X, versuchen, sich am Tierhalter schadlos zu halten. Ob dessen Ansprüche so ausgeschaltet werden können, wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt.


___


Aus anwaltlicher Sicht empfiehlt sich ein schriftlicher Reitbeteiligungs-/Unterrichtsvertrag mit einer entsprechenden Haftungsverteilung. Daneben muss ein besonderes Augenmerk auf den Schutz durch umfangreiche Versicherungsprodukte gelegt werden.

Foto(s): Jana Christina Hartmann

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Jana Christina Hartmann

Beiträge zum Thema