Privatschulbesuch bei Hochbegabung als Leistungen der Eingliederungshilfe durch das Jugendamt
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Wann muss das Jugendamt die Kosten einer bestimmten Privatschule bei Hochbegabung als Leistung der Eingliederungshilfe übernehmen?
Der Besuch einer bestimmten Privatschule bei Hochbegabung kann eine Leistung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII sein, die durch das Jugendamt zu finanzieren ist. Welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen, zeigt beispielsweise die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Würzburg vom 02.07.2015 – W 3 K 14.738.
Diese Entscheidung zeigt aber auch, welche Hürden zu nehmen sind, um das Jugendamt zur Kostenübernahme für den Besuch einer bestimmten Privatschule im Rahmen der Eingliederungshilfe zu verpflichten.
Zunächst müssen die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII erfüllt sein, d. h. die seelische Gesundheit des Kindes oder Jugendlichen muss mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher dessen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt sein oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sein.
Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit hat das Jugendamt ein ärztliches Gutachten einzuholen, das strenge Voraussetzungen erfüllen muss.
Der Kläger hatte eine Hochbegabung (IQ von 139). Er war dem Schulunterricht für längere Zeit ferngeblieben. Damit einher ging ein ebenfalls zunehmendes Isolations- und Rückzugsverhalten im privaten Bereich. Er erreichte das Klassenziel der 11. Jahrgangsstufe Gymnasium nicht. Der Kläger wies eine kombinierte Störung im Bereich Ängste und Depression (ICD 10: F 41.2) auf. Ambulante und stationäre Therapien führten nicht zu einer Verbesserung der seelischen Gesundheit.
Damit waren die Voraussetzungen gemäß § 35a SGB VIII für die Gewährung von Eingliederungshilfe zunächst gegeben: Die seelische Gesundheit des Klägers wich länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand ab. Daher war seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt.
Der Kläger besuchte daraufhin regelmäßig eine private Förderschule, wo er sich wohl fühlte und er soziale Kontakte knüpfte. Die familiäre Situation entspannte sich etwas.
Die Eltern des Klägers machten gegenüber dem Jugendamt die Kosten für den Schulbesuch geltend. Nach ihrer Auffassung stellte der Besuch dieser Schule die einzig in Frage kommende geeignete Hilfe dar. Die Schule sei auf sog. „underachiever“, d. h. hochbegabte Minderleister mit seelischen Problemen wie beim Kläger, spezialisiert. Nur diese Schule vermittle diesem Personenkreis den Zugang zum Abitur.
Ob eine Teilhabebeeinträchtigung vorliegt, ist jedoch durch das Jugendamt zu beurteilen.
Das Jugendamt lehnte die Kostenübernahme hier mit der Begründung ab, dass der Hilfebedarf des Klägers durch den Besuch einer öffentlichen Schule gedeckt werden könne.
Das Verwaltungsgericht bestätigte die Ablehnung des Jugendamtes, und stellte fest, dass der Besuch dieser privaten Förderschule keine für den Kläger geeignete Jugendhilfemaßnahme darstelle.
Denn:
Bei der Entscheidung über die Geeignetheit einer Hilfemaßnahme komme dem Jugendamt ein gerichtlich nicht kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zu. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränke sich darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden seien. „Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme“ sei „daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar“.
In vorliegendem Fall sei es bereits fraglich, ob bei dem Kläger überhaupt eine Teilhabebeeinträchtigung im Lebensbereich „Schule“ vorliege, die den Besuch einer privaten Förderschule erforderlich mache, da der Kläger auch dem Unterricht dieser Schule über einen längeren Zeitraum ferngeblieben sei, sodass sich möglicherweise der Weg zur Schule und nicht der eigentliche Schulbesuch als problematisch erweise.
Darüber hinaus sei nicht in einem einzigen Gutachten belegt, dass die Teilhabebeeinträchtigung tatsächlich daraus resultiere, dass es sich bei dem Kläger um einen sog. „underperformer“ oder „underachiever“ handele, dessen Hochbegabung den Besuch einer speziellen Schule notwendig macht.
Vor dem Hintergrund des tatsächlichen Verhaltens des Klägers sei es auch nicht sozialpädagogisch unvertretbar, „vor einer schulischen Förderung des Klägers zunächst und primär die außerhalb des schulischen Bereiches liegenden Ursachen seiner seelischen Erkrankung zu behandeln“.
Schließlich greife entgegen der Auffassung des Klägers nach § 10 Abs. 1 SGB VIII der Vorrang des öffentlichen Schulsystems zur schulischen Förderung.
Auch das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 1SGB VIII bestehe nur „im Rahmen rechtlich zulässiger und grundsätzlich geeigneter Jugendhilfemaßnahmen (…), mithin der Leistungsberechtigte den Jugendhilfeträger nicht über das Wunsch- und Wahlrecht zu ungeeigneten Maßnahmen verpflichten“ könne.
(Alle Zitate sind der anfangs genannten Entscheidung entnommen.)
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