Prozessfinanzierer in Massenverfahren: Zwischen Zugang zum Recht und Überforderung der Justiz

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Frosch Akten Finanzierung

Massenverfahren gehören längst zum juristischen Alltag. Ob im Dieselskandal, bei DSGVO-Verstößen oder im Glücksspielrecht – überall dort, wo viele Geschädigte mit ähnlichen Ansprüchen auftreten, betreten Prozessfinanzierer und Legal-Tech-Unternehmen die Bühne. Sie bieten eine risikolose Klagebeteiligung, standardisieren Abläufe und versprechen eine effiziente Rechtsdurchsetzung. Doch während die einen darin einen Fortschritt sehen, warnen andere vor einer Ökonomisierung des Zivilprozesses. Zwei kürzlich erschienene Beiträge auf LTO.de greifen diese Debatte pointiert auf – und verdeutlichen, wie ambivalent das Thema ist.

Hilfe oder Störung? – Die zwei Sichtweisen

Im Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Engels und Dr. Thomas Gädtke wird die Rolle der Prozessfinanzierer kritisch betrachtet. Die Autoren sehen in der massenhaften Klageerhebung durch finanzierte Plattformen eine Belastung für die Justiz und eine mögliche Gefahr für das System des Zivilprozesses selbst. Das Ziel, Recht durchzusetzen, drohe durch das Ziel, Rendite zu erwirtschaften, verdrängt zu werden.

Dem widerspricht Richard Eibl in seiner Replik deutlich. Er argumentiert, Prozessfinanzierer seien ein unverzichtbarer Baustein für den Zugang zum Recht – gerade für Verbraucher, die sich sonst eine Klage finanziell nicht leisten könnten. Die Bündelung gleichartiger Verfahren ermögliche sogar Effizienzgewinne, so Eibl. Einzelfälle wie die Insolvenz des Unternehmens RightNow seien nicht repräsentativ für die Branche.

Erfahrungen aus der Praxis – zwischen Effizienz und Frustration

Aus meiner Sicht als Prozessanwältin und Terminsvertreterin sind die Auswirkungen von durch Prozessfinanzierer unterstützten Massenverfahren ambivalent – genau wie es die Debatte nahelegt.

Auf der einen Seite erlebe ich viele dieser Verfahren als gut strukturiert. Standardisierte Abläufe, häufig wiederkehrende Sachverhalte und professionell vorbereitete Schriftsätze ermöglichen ein effizienteres Vorgehen – sowohl für Anwälte als auch für Gerichte. Besonders dann, wenn erfahrene Legal-Tech-Anbieter im Hintergrund agieren, funktioniert die Zusammenarbeit erstaunlich gut.

Doch es gibt auch eine andere Seite: In zahlreichen Fällen stoße ich auf Verfahren, die offensichtlich nur massenhaft eingereicht wurden – mit minimal individualisierten Klagebegründungen, teils unvollständigen Vollmachten oder fragwürdiger Anspruchsgrundlage. In solchen Momenten entsteht der Eindruck, dass nicht mehr der Rechtsanspruch des Mandanten im Vordergrund steht, sondern vor allem das Geschäftsmodell des Prozessfinanzierers. Das führt zu unnötigem Aufwand – und zu verständlicher Skepsis bei Gericht.

Besonders kritisch wird es, wenn die Kommunikation leidet. Prozessfinanzierer oder Legal-Tech-Plattformen treten als Schnittstelle zwischen Mandant und Anwalt auf – mit dem Ergebnis, dass Terminsvertreterinnen wie ich häufig unter Zeitdruck stehen, lückenhafte Informationen erhalten und kaum Kontakt zum eigentlichen Mandanten haben. Rechtlich heikel, menschlich unbefriedigend.

Ich sehe das Potenzial des Modells, insbesondere zur Durchsetzung von Verbraucherrechten. Aber es braucht mehr Transparenz, eine verlässliche Kommunikation und eine stärkere Einbindung der eigentlichen Prozessanwälte. Sonst geht der Nutzen im operativen Chaos verloren – und die Justiz wird unnötig belastet.

Was jetzt gebraucht wird: Regulierung mit Augenmaß

Die Lösung liegt nicht im Verbot oder in einer pauschalen Verurteilung von Prozessfinanzierung. Vielmehr muss der Gesetzgeber einen verlässlichen Rahmen schaffen, der Missbrauch verhindert, aber Zugang zum Recht sichert. Dazu gehören u.a.:

  1. Klare Transparenzpflichten für Prozessfinanzierer: Prozessfinanzierer sollten offenlegen, wie ihre Geschäftsmodelle funktionieren, welche wirtschaftlichen Interessen hinter der Klage stehen und welche Vergütungsmodelle vereinbart wurden. Kläger müssen nachvollziehen können, welche Kosten auf sie zukommen, wie viel vom potenziellen Vergleich ihnen tatsächlich zusteht – und welche Entscheidungen vom Finanzierer gesteuert werden. Nur so kann eine informierte und selbstbestimmte Rechtsverfolgung gewährleistet werden.

  2. Verpflichtende anwaltliche Betreuung der Kläger: Gerade in Massenverfahren ist es essenziell, dass die rechtliche Betreuung nicht von Algorithmen oder automatisierten Prozessen ersetzt wird. Jeder Kläger hat individuelle Interessen – auch wenn der Sachverhalt ähnlich ist. Eine verpflichtende, anwaltliche Betreuung stellt sicher, dass rechtliche Fragen, Risiken und Erfolgsaussichten im konkreten Einzelfall bewertet werden und nicht im Massengeschäft untergehen.

  3. Eine qualitätsgesicherte Kommunikation mit Gerichten und Anwälten: Die Kommunikation zwischen Prozessfinanzierern, beauftragten Kanzleien, Terminsvertretern und Gerichten ist oft bruchstückhaft und fehleranfällig. Häufig fehlen wichtige Unterlagen, sind Fristen knapp kalkuliert oder Rückfragen bleiben unbeantwortet. Es braucht klare Standards für die Übermittlung von Informationen, feste Ansprechpartner und eine durchgehende Dokumentation – damit Verfahren nicht an organisatorischen Mängeln scheitern.

  4. Eine Justiz, die technisch und personell für Massenverfahren gerüstet ist: Viele Gerichte sind nicht darauf vorbereitet, mit tausenden gleichartigen Klagen gleichzeitig umzugehen. Es fehlt an Personal, an digitaler Infrastruktur und an effizienten Verfahrenswegen. Die Einführung von Musterverfahren, digitale Klageplattformen, spezialisierte Kammern und eine bessere technische Ausstattung sind notwendige Schritte, damit die Justiz handlungsfähig bleibt – auch in Zeiten massenhafter Rechtsdurchsetzung.

Fazit

Prozessfinanzierer sind weder die Retter noch die Zerstörer unseres Rechtssystems. Sie sind ein Werkzeug – und wie jedes Werkzeug entfalten sie ihren Nutzen oder Schaden je nach Anwendung. In meiner täglichen Praxis erlebe ich beides. Entscheidend wird sein, wie wir mit diesem Instrument umgehen: pragmatisch, reguliert und im Sinne der Rechtssuchenden. Dann kann das System profitieren – ohne dass die Justiz unter die Räder gerät.

Foto(s): Alexa auf Pixabay

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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