Psychologische Gutachten im Familienrecht erfüllen Mindestanforderungen häufig nicht

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Der typische Fall:

Das Jugendamt möchte den Eltern das Kind wegnehmen. Es trägt allerlei Gründe dafür beim Familiengericht vor. Der Richter lädt zum Termin, hört Mama und Papa an, außerdem das Jugendamt und das Kind selber. Er zögert. Dann beauftragt er einen Sachverständigen. Der soll die Frage klären: Liegt eine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB vor?

Nach 5 Monaten ist das Gutachten da. Der Sachverständige sagt: Ja! Eine Kindeswohlgefährdung ist vorhanden! Der Beschluss des Gerichts lautet: Das Sorgerecht wird entzogen und auf einen anderen (meistens: auf das Jugendamt) übertragen. Das Sachverständigengutachten war entscheidend. Meistens zitierten die Gerichte ausführlich daraus, und sagen dann nur dazu: Das Gutachten war überzeugend. Der Sachverständige ist uns seit langem als zuverlässig bekannt. Also folgt das Gericht seinen Einschätzungen.

Aber, traurige Realität:

Nur eine Minderheit aller Gutachten in Familiensachen erfüllt die fachlich geforderten Qualitätsstandards. Dies wurde 2014 in einer wissenschaftlichen Untersuchung der Fernuniversität Hagen festgestellt.

In 56 % aller untersuchten Gutachten (immerhin 116 Stück!) wurden aus der gerichtlichen Fragestellung keine fachpsychologischen Arbeitshypothesen abgeleitet.

In 85,5 % der Gutachten wurde die Auswahl der eingesetzten diagnostischen Verfahren nicht anhand der psychologischen Fragen begründet.

Und in 35 % der Gutachten wurde erfolgte die Datenerhebung ausschließlich über methodisch problematische Verfahren wie zB unsystematische Gespräche und ungeplante Beobachtungen, oder es wurden psychometrisch ungenügende „Tests“ wie z.B. projektive Verfahren („Familien in Tieren“, Scenotest) eingesetzt.

Daher müssen alle Gutachten in Kindschaftssachen – wie in anderen Rechtsgebieten ja auch – vom Gericht und von den Anwälten unbedingt kritisch und sorgfältig untersucht werden. Damit Schaden von Familien, Kindern und Eltern, abgewendet wird. Dies betrifft Fälle von Kindeswegnahmen, Sorgerechtsentzüge, Inobhutnahmen ebenso wie die „ganz normalen“ Sorge- und Umgangsstreitigkeiten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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