Rechtsfolgen unrichtiger oder unvollständiger Angaben in Sozialleistungsanträgen

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Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Sozialstaat. Dementsprechend sind die sozialen Sicherungssysteme - im Gegensatz zu vielen anderen Staaten - sehr weitreichend und umfassend ausgebildet. Die Sozialleistungen, die der Bürger für sich empfangen kann, sind nahezu unüberschaubar und finden sich in allen relevanten Lebensbereichen von der Arbeitsförderung über die Ausbildungsförderung,  Krankenversicherung und Pflegeversicherungsleistungen bis hin zu verschiedenen Rentenleistungen. Eines ist jedoch nahezu allen Sozialleistungen gemeinsam. Sie werden nur auf Antrag gewährt, z.B. im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) gemäß § 37 Abs. 1 SGB II, im Recht der Arbeitsförderung gemäß § 323 Abs. 1 S. 1 SGB III, verschiedene Leistungen im Bereich des Krankenversicherungsrechts nach dem SGB V, im Rentenversicherungsrecht gemäß § 115 Abs. 1 S. 1 SGB VI oder im Schwerbehindertenrecht gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX.

Oftmals unterlaufen dem Antragsteller bei der Antragstellung jedoch Fehler. Es werden unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben, die gemacht werden, sind zwar richtig, aber unvollständig. In manchen Fällen geschieht dies absichtlich, also vorsätzlich, in manchen Fällen aus Unachtsamkeit oder Unkonzentriertheit, also fahrlässig. In der Regel bemerkt der Sozialleistungsträger nicht sofort, dass die gemachten Angaben unrichtig oder unvollständig sind und bewilligt - sofern die Voraussetzungen auch im Übrigen vorliegen - die beantragte Leistung. Erst später erhält die betroffene Behörde in der Regel Kenntnis darüber, dass falsche oder nicht vollständige Angaben bei der Antragstellung gemacht wurden, z.B. durch Hausbesuche, Kontenabfragen oder persönliche Mitteilungen. Dann drohen demjenigen, der aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Angaben zu Unrecht Sozialleistung bezogen hat, vielfältige Konsequenzen.

Sozialrecht:

Stellt sich heraus, dass eine Leistung, wären bei der Antragstellung alle Angaben richtig und vollständig gemacht worden, nicht bewilligt worden wäre, wird der Bescheid, welcher die Leistung ursprünglich bewilligte, wieder zurückgenommen.

Die Rücknahme eines solchen rechtswidrigen Bescheids richtet sich nach § 45 SGB X. Ein rechtswidriger begünstigender Bescheid (z.B. die unrechtmäßige Bewilligung von Arbeitslosengeld) darf aber nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Diese Vertrauensschutzregelung wird jedoch dann wieder eingeschränkt, wenn der rechtswidrige Bescheid auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheids ist dementsprechend in der Regel ausschließlich dann ausgeschlossen, wenn der Antragstellers nur leicht oder normal fahrlässig handelte. In allen anderen Fällen kann sich der Antragsteller, der unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat, nicht auf Vertrauensschutz berufen und hat die Rücknahme des Bescheids hinnehmen.

Folge der Rücknahme des ursprünglichen Bescheids ist, dass zu Unrecht erbrachte Leistungen vom Leistungsempfänger gemäß § 50 I SGB X zu erstatten sind.

Ordnungswidrigkeitenrecht:

Unabhängig von möglichen sozialrechtlichen Konsequenzen können sich aber - sofern keine Straftat vorliegt - ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen für den Antragsteller ergeben. Insbesondere droht demjenigen, der unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat, ein Bußgeld.

Im Bereich des Grundsicherungsrechts nach dem SGB II (Hartz IV) droht insoweit gemäß § 63 SGB II, im Bereich des  Arbeitsförderungsrechts gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III Geldbuße bis zu 5.000,- €, im Bereich der Rentenversicherung droht gemäß § 320 SGB VI, im Bereich der Ausbildungsförderung gemäß § 58 BAföG Geldbuße bis zu 2.500,- €. Im Rahmen des Bußgeldverfahrens spielt es keine Rolle, ob dem Sozialleistungsträger auch ein Schaden entstanden ist. Es reicht aus, dass Angaben unrichtig oder unvollständig gemacht wurden.

Strafrecht:

Ist dem Sozialleistungsträger durch die unrichtigen oder unvollständigen Angaben auch ein wirtschaftlicher Schaden entstanden, wurden also Leistungen zu Unrecht ausbezahlt, liegt keine bloße Ordnungswidrigkeit mehr vor, sondern es kommt schon eine Straftat in Betracht, namentlich Betrug gemäß § 263 StGB.

Wurde zum Beispiel bei der Beantragung von einkommens- und vermögensabhängigen Sozialleistungen wie Hartz IV oder BAföG vorhandenes Vermögen oder erzieltes Einkommen verschwiegen und bejahte die zuständige Behörde daraufhin die Bedürftigkeit des Antragstellers und bewilligte Geldleistungen, liegt, wenn der Antragsteller vorsätzlich gehandelt hat, Betrug vor. Nahezu zu Massenverfahren ist es in diesem Zusammenhang mit dem sogenannten BAföG-Betrug durch Schüler und Studenten gekommen, nachdem die Studentenwerke dazu übergegangen waren, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der antragstellenden Studenten und Schüler - entgegen jahrelanger Praxis - zu überprüfen. Handelte der Antragsteller jedoch nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig, scheidet Betrug aus und es kommt nur ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht.

Betrug  (§ 263 StGB) wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Mit einer Verurteilung wegen Sozialleistungsbetrug ist der Betroffene auch vorbestraft und dadurch unter Umständen auch in seinem weiteren beruflichen Fortkommen erheblich beeinträchtigt. Nicht in das Führungszeugnis werden jedoch unter anderem Verurteilungen zu Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen oder zu Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten Dauer aufgenommen, wenn im Bundeszentralregister keine weitere Straftat eingetragen ist. Allerdings ist wiederum zu beachten, dass sich beispielsweise für Angehörige von Kammerberufen, wie Ärzte, Apotheker, Tierärzte oder Steuerberater, berufsrechtliche Konsequenzen auch aus einer Verurteilung, die nicht in das Führungszeugnis eingetragen wird, ergeben können.

Rechtsanwalt Mathias Klose, Regensburg


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