Sexualstraftaten: Ist Angriff die bessere Verteidigung?

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Wir unterscheiden bei dieser Fragestellung bei  Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zwei Konstellationen.

1. Zunächst Straftaten, in denen ein persönlicher oder digitaler Kontakt mit einzelnen individuell konkretisierbaren Personen Gegenstand des Verfahrens ist.

2. Darüberhinaus die Verfahren des Besitzes bzw. Verbreitens pornographischer bzw. gewalt- oder tierpornographischer Inhalte, sowie den Verfahren wegen Verbreitung Erwerb und Besitz Kinder und jugendpornographischer Inhalte.

Eine Verteidigererklärung oder Einlassung ist in der Regel sinnvoll und notwendig. Durch sie kann einer Festschreibung des Sachverhalts oder einer (falschen) rechtlichen Einordnung durch Polizei und Staatsanwaltschaft wirksam entgegen gewirkt werden. Aber auch prozessuale Fragen müssen von der Verteidigung im Blick gehalten werden. Hierzu zählen u.a. Fragen der Verfolgungsverjährung, des Strafklageverbrauchs und Beweisverwertungsverbote. Auch die fehlende Glaubwürdigkeit widersprüchlicher Zeugenaussagen muss frühestmöglich schriftsätzlich aufgezeigt werden.

Zu 1. Sexualstraftaten mit persönlichem bzw. digitalem Kontakt zu individuell konkretisierbaren Personen

Bei den Tatvorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexuellen Übergriffs bzw. Vergewaltigung, der Zuhälterei und des Vorwurfs exhibitionistischer Handlungen beginnt ein Ermittlungsverfahren in der Regel mit der Strafanzeige durch das Opfer bzw. durch die Eltern des Opfers bzw. des vermeintlichen Opfers.

In diesen Fällen ist es für eine durchschlagende Verteidigung von Bedeutung, bereits im frühestmöglichen Stadium des Ermittlungsverfahrens beauftragt zu werden. Hier kann der Verteidiger durch Telefonate mit Polizei und Staatsanwaltschaft und später durch Einsicht in die Ermittlungsakte in Erfahrung bringen, ob und inwieweit tatsächlich sein beschuldigter Mandant mit dem Verfahren in Verbindung gebracht werden kann.

So haben wir in unserer mehr als 20-jähriger Anwaltspraxis ungezählte Strafverfahren zur Einstellung oder Freispruch gebracht, weil etwa ein Lichtbildvorlagen nicht nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs (BGH) von der Polizei durchgeführt worden sind. Die Vorgaben des Bundesgerichtshofs an eine gerichtlich verwertbare Wahllichtbildvorlage sind eng. Wird diese Möglichkeit der Identifikation des Täters durch die Polizei fehlerhaft durchgeführt, ist auf dieser Grundlage allein keine Verurteilung des Beschuldigten strafprozessual möglich. In vielen Fällen wird leider der Verteidiger erst beauftragt, wenn sich der Beschuldigte bereits auf Vorladung der Polizei zu Tatvorwürfen wie z.B. einer  Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs bzw. sexueller Nötigung oder einer exhibitionistischen Handlung geäußert hat.

Soweit der Beschuldigte bereits eingeräumt hat, dass er zur Tatzeit mit dem vermeintlichen Opfer Kontakt gehabt hat, steht die Tätereigenschaft aus Sicht der Ermittlungsbehörden bereits eindeutig fest. Im Rahmen einer Verteidigererklärung, bzw. einer Einlassung muss der Verteidiger insbesondere die durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen an die Konstellation „Aussagen gegen Aussage" Genüge tun, damit die Staatanwaltschaft das Verfahren einstellt. Die Kunst der anwaltlichen Einlassung ist es,  sich

 an die inhaltlichen Vorgaben der Ermittlungsakte zu halten. Darüberhinaus müssen selbstverständlich auch Zweifel an der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Tatvorwurfs in der Einlassung deutlich zum Ausdruck kommen. Als Beispiel sei hier nur das Tatbestandsmerkmal des "erkennbaren Willens" im Rahmen des Tatvorwurfs des § 177 StGB, also des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung bzw. der Vergewaltigung genannt. Allein an der Frage der sicheren Feststellung des "erkennbaren Willens" scheitern gegen unsere Mandanten angestrengte Ermittlungsverfahren bereits durch eine taktisch kluge Einlassung.

Zu 2. Sexualstraftaten ohne erkennbaren Bezug zu einer individuellen Person, Verfahren gemäß §§ 184 - 184c StGB

In den Fällen, in denen es um den Besitz oder die Verbreitung insbesondere von kinder- oder jugendpornographischen Inhalten geht, muss  der Verteidiger zuvor prüfen, ob eine Einlassung im Ermittlungsverfahren überhaupt mit den Verteidigungszielen seines Mandanten in Einklang zu bringen ist. Eine Einlassung kommt beispielsweise bei dem Vorwurf des Besitzes von Jungendpornographie in Betracht, wenn die aus dem Beweismittelordner ersichtlichen Fotos und Videos nicht ausschließbar auch von (jungen) Erwachsenen hätten gefertigt werden können.

Wir haben diverse Verfahren für unsere Mandanten geführt, in denen erst durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen ein Freispruch erzielt werden konnte. Und selbst in diesen Verfahren teilen die mit der Prüfung betrauten Sachverständigen in ihrer Einschätzung dem Gericht mit, dass es sich "mit Sicherheit um Jugendpornographie" handele. Erst auf die Frage der Verteidigung, ob denn der Sachverständige ausschließen könne, dass es sich bei den auf den inkriminierten Fotos und Videos erkennbaren Darstellern bzw. Darstellerinnen um erwachsene Personen handele, kommt dann die zögerliche Antwort "Nein, dass kann ich nicht sicher ausschließen". Erst dann kommt das Gericht nicht an einem Freispruch vorbei. Dass Sachverständige nach unserer Erfahrung erst auf Nachfrage der Verteidigung das Ergebnis ihrer Begutachtung „relativieren“ ist aus deren Sichtweise verständlich. Denn der Sachverständige möchte dem Gericht schließlich dabei behilflich sein, den „Täter“ rechtssicher verurteilen zu können. Dies sichert zugleich die lukrative Folgebeauftragung. Für den Betroffenen ist dies aber eine Farce, denn er ist abhängig von seiner Verteidigerin bzw. Verteidiger, der die „richtigen“ Fragen stellt.

3. Fazit: Frühestmöglicher Beginn der anwaltlichen Verteidigung, sorgfältige Prüfung ob eine Einlassung abgegeben wird und welches Ziel damit erreicht werden soll und vor allem: Niemals aufgeben!

Der Verfasser Rechtsanwalt Thomas Heimbürger ist Partner der Kanzlei Heimbürger & Partner und Fachanwalt für Strafrecht


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