Sonderbedarf Psychoanalyse / Verhaltenstherapie BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 22/09 R -

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In einem wichtigen Revisionsurteil hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts am 23.6.2010 (B 6 KA 22/09 R) entschieden, dass auch Psychologische Psychotherapeuten Antrag auf Sonderbedarfszulassung wegen Subspezialisierung nach § 24 Satz 1 Buchst. b der Bedarfsplanungs-Richtlinie stellen können, da die Spezialisierung auf ein bestimmtes Richtlinien-Verfahren - wie psychoanalytische Psychotherapie oder Verhaltenstherapie - der Qualifikation durch einen Schwerpunkt o.ä. gleichstehe. Auf Ärztliche Psychotherapeuten muss dies übertragbar sein.

Gegenstand der Entscheidung war das Begehren einer Psychologischen Psychotherapeutin, die in der Kleinstadt Schopfheim im Landkreis Lörrach wegen Sonderbedarfs für psychoanalytische Psychotherapie zugelassen werden wollte. Der im Widerspruchsverfahren zuständige Berufungsausschuss hatte demgegenüber auch einen lokalen Sonderbedarf gemäß § 24 Satz 1 Buchst. a der Bedarfsplanungs-Richtlinie abgelehnt, schon weil Lörrach kein „großräumiger Landkreis" sei. Auch diese vom LSG Baden-Württemberg in der Vorinstanz geteilte Bewertung hat das BSG nun in Frage gestellt und den Berufungsausschuss, dem auch hierzu ein Beurteilungsspielraum zukomme, zur Neubescheidung verurteilt. Hierbei betont das BSG, dass ein Sonderbedarf auch nicht allein mit dem in der Praxis beliebten Hinweis verneint werden durfte, dass einige Psychotherapeuten nur wenige Wochenstunden(!) tätig sind. Ferner könne im Falle eines Bedarfs nach psychoanalytischen Behandlungen nicht auf verhaltenstherapeutische Angebote verwiesen werden, weil diese Methoden nach der Psychotherapie-Richtlinie nicht kombiniert werden dürfen. Nicht tragfähig war überdies im Rahmen der Bedarfsprüfung die Verweisung von Versicherten auf Versorgungsangebote, die 25 km entfernt sind, was das BSG bereits zu Ermächtigungen ähnlich gesehen hat (BSG, Urteil vom 19.07.2006 - B 6 KA 14/05 R -).

Die eingangs erwähnte Subspezialisierung nach § 24 Satz 1 Buchst. b der Bedarfsplanungs-Richtlinie kam (Erwachsenen-)Psychotherapeuten bislang nicht zugute, da eine Auslegung nach dem Wortlaut die Gleichsetzung der drei vom GB-A anerkannten Richtlinien-Verfahren (einschließlich der hier noch anzuführenden tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie) mit einem ärztlichen Weiterbildungsschwerpunkt o.ä. nach herrschender Meinung ausschloss. Seit dem 22.12.2007 stellt allerdings § 24 Satz 3 der Bedarfsplanungs-Richtlinie die Berufsbezeichnung Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut einer Schwerpunktbezeichnung im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung gleich. Dieser Beruf gilt also per se als subspezialisiert. In einem nahe liegenden Analogieschluss sieht nun offensichtlich das BSG auch in den Richtlinien-Verfahren eine besondere Qualifikation des Psychotherapeuten. Offen bleibt, ob sich nach dieser Maßgabe auch (notwendig in einem der Richtlinien-Verfahren ausgebildete) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf ihre „Sub-Subspezialisierung" berufen und einen Sonderbedarf geltend machen können, weil zwar genügend Berufskollegen, jedoch bspw. zu wenige Kinderanalytiker zugelassen seien. Da man gesetzlich versicherten Kindern und Jugendlichen eine auch für sie bestimmte spezielle Behandlungsmethode schlecht vorenthalten kann, die Erwachsenen zugute kommt, liegt dies nahe.

Die Entscheidung des BSG eröffnet Vertragspsychotherapeuten jedenfalls beachtliche Möglichkeiten, zur Realisierung ihrer Berufsfreiheit auch im Wege einer Ausnahmezulassung wegen Sonderbedarfs in das zumeist wegen Überversorgung geschlossene System einzutreten. Außerdem erweist sich das Institut der Sonderbedarfszulassung nach der Rechtsprechung des BSG als Mechanismus der bedarfsplanerischen Feinsteuerung auch innerhalb eines Fachgebiets und im regionalen Kontext.

Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Einstweilen sei auf den Terminbericht des BSG, 6. Senat, Nr. 37/10 (zu 4) verwiesen.

Holger Barth

Fachanwalt für Medizinrecht

www.arztrechtplus.de



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