Startup-Gründer in der Finanzierungsfalle:

  • 7 Minuten Lesezeit

von Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann*


VCs setzen vermehrt nachteilige Vertragsklauseln durch, auch zu Lasten von Mitarbeitern


Seit Beginn des Krieges in der Ukraine scheinen die fetten Jahre für Start-ups in Deutschland und Europa vorbei zu sein. Investoren werden vorsichtiger. Die Verhandlungsmacht verschiebt sich. Die Reporter des Manager-Magazins haben herausgefunden, dass derzeit viele Gründer und ihre Mitarbeiter, die über Mitarbeiterbeteiligungsprogramme am geplanten Exit des Unternehmens beteiligt sind, sehr weitgehende Zugeständnisse zugunsten der neu finanzierenden Investoren machen müssen. Oftmals ohne genau zu verstehen, wie sich diese Zugeständnisse in der Praxis auswirken.

Die Autoren des Manager Magazins berichten von den Erfahrungen einiger Mitarbeiter deutscher Start-ups, die durch versteckte Vertragsklauseln und einbrechende Unternehmensbewertungen die erhofften Gewinne aus Aktienoptionen verloren haben.


Auf welche Klauseln muss ich bei Finanzierungsverhandlungen mit Investoren besonders achten?

Eine der im Artikel erwähnten versteckten Vertragsklauseln ist die so genannte "Ratchet-Klausel". Diese Klausel besagt, dass der Investor bei einer späteren Finanzierungsrunde weitere Anteile zu einem niedrigeren Preis pro Anteil als bei seiner Erstinvestition erhält, um seinen Anteil am Start-up konstant zu halten oder zu erhöhen. Dies hat zur Folge, dass die Gründer und die anderen Gesellschafter eine Verwässerung ihrer Anteile hinnehmen müssen und weniger vom Exit-Erlös erhalten.


Was ist eine Ratchet-Klausel?

Die Ratchet-Klausel ist eine Form der nicht anrechenbaren Liquidationspräferenz, die dem Investor einen zusätzlichen Vorteil verschafft. Sie kann aber auch negative Folgen für den Investor haben, wenn er seine Anteile an dem Start-up veräußern möchte. In dem Artikel wird berichtet, dass Allianz X seine Anteile an N26 mit einem massiven Abschlag auf den Markt geworfen hat, weil er befürchtete, dass andere Investoren seine Ratchet-Klausel nicht akzeptieren würden.

Die Ratchet-Klausel ist also ein Beispiel dafür, wie Liquidationspräferenzen nicht nur die Bewertung des Start-ups und die Motivation der Gründer und Mitarbeiter beeinflussen können, sondern auch die Attraktivität des Start-ups für potenzielle Käufer oder Investoren.


Wie funktionieren Liquidationsvorzugsrechte (liquidation preverences)?

Liquidationspräferenzen sind Sonderrechte, die Investoren häufig bei der Finanzierung von Start-ups verlangen. Sie regeln die Aufteilung des Erlöses bei einem Exit (Verkauf oder Börsengang) des Start-ups zwischen den Investoren und den Gründern. Es gibt zwei Varianten: anrechenbare und nicht anrechenbare Liquidationspräferenzen.

Anrechenbare Liquidationspräferenzen (engl. non-participating liquidation preference) sind eigentlich ein Schutz des Investors vor einem Exit unter dem Erwartungswert. Der Investor soll vor den Gründern mindestens einen Betrag erhalten, der seinem Investment entspricht oder darüber liegt (z.B. 1x, 1,5x oder 2x). Dieser Betrag wird Vorzugsbetrag genannt. Darüber hinaus soll der Investor nur dann weitere Erlöse erhalten, wenn sich dies aus einer anteiligen Verteilung aller Erlöse ergibt. Dies bedeutet, dass der Investor den höheren Betrag aus (i) dem Vorzugsbetrag oder (ii) dem anteiligen Erlös erhält.

Die nicht anrechenbare Liquidationspräferenz (engl. participating liquidation preference) ist ein zusätzlicher Vorteil für den Investor. Der Investor soll neben dem Vorzugsbetrag auch an der anteiligen Verteilung aller Erlöse beteiligt werden. Dies bedeutet, dass der Investor sowohl den Vorzugsbetrag als auch den anteiligen Erlös erhält. Diese Variante ist für die Gründer nachteiliger, da sie weniger vom Exit profitieren.

Beispiel

Angenommen, ein Start-up hat zwei Finanzierungsrunden durchlaufen: In der ersten Runde hat Investor A 1 Mio. Euro für 20% der Anteile investiert und eine anrechenbare Liquidationspräferenz von 1x erhalten. In der zweiten Runde hat Investor B 2 Mio. Euro für 25% der Anteile investiert und eine nicht-anrechenbare Liquidationspräferenz von 2x erhalten. Die Gründer C halten noch 55% der Anteile.


Variante 1: 

Das Start-up wird für 10 Mio. Euro verkauft.


  • Investor A und B vorab ihr Investment zurück:
    • Investor EUR B 4.000.000,00 (Grundinvest x 2)
    • Investor A EUR 1.000.000,00


Von dem Restbetrag in Höhe von EUR 5.000.000,00 erhält A keinen Gewinnanteil mehr, da er den höheren Betrag erhält- entweder Grundinvest oder Erlösanteil. Gründer C erhalten daher EUR 3.437.500. Investor B erhält insgesamt EUR 5.562.500,00, Investor A hingegen EUR 1.000.000,00.


Variante 2:

Bei einem Veräußerungserlös in Höhe von EUR 5.000.000,00 bedeutet dies bei dem identischen Vertragswerk, dass für die Gründer nach Verteilung des Liquidationspräferenz kein Erlösanteil mehr verbleibt.

Es zeigt sich, dass Liquidationspräferenzen vor allem bei niedrigen Exit-Erlösen zu einer deutlichen Schlechterstellung der Gründer führen können. Bei höheren Exit-Erlösen werden die Unterschiede geringer, die nicht anrechenbare Liquidationspräferenz bleibt aber immer ein Vorteil für den Investor.


Gefährliche Auswirkungen neuer Finanzierungsrunden auf Mitarbeiterbeteiligungsprogramme

In den häufig finanzschwachen Startups werden qualifizierte Mitarbeiter mit der Aussicht auf eine zukünftige Gewinnbeteiligung gewonnen bzw. gebunden, um eine schnelle Unternehmenswertsteigerung und damit einen erfolgreichen Unternehmensverkauf (Exit) in möglichst kurzer Zeit zu erreichen.

Die Botschaft lautet meist: Bei einem erfolgreichen Exit werdet Ihr über virtuelle Beteiligungsprogramme am Exiterlös finanziell beteiligt.

Es handelt sich dabei meist um einen schuldrechtlichen Anspruch auf Zahlung der Prämie gegen die Gesellschaft als Vertragspartner.

Die Höhe des vorgenannten Zahlungsanspruchs ergibt sich aus einer vertraglichen Formel und ist grundsätzlich an den Exit-Erlös gekoppelt.

Typische Klauseln lauten:

„Der Berechtigte erhält als jeweilige Exit-Beteiligung je virtuellen Geschäftsanteil immer nur den Betrag, den er auch als tatsächlicher Inhaber von Geschäftsanteilen nach Anwendung und Abzug aller zwischen den Gesellschaftern vereinbarten Erlös- und Liquidationserlösverteilungspräferenzen erhalten würde (d.h. auch, dass der Berechtigte unter Umständen keine Exit-Beteiligung erhält, wenn er als tatsächlicher Inhaber von Geschäftsanteilen nach Anwendung und Abzug aller Erlös- und Liquidationserlösverteilungspräferenzen ebenfalls keinen Erlösanspruch hätte).“

Vorstehende Regelung bedeutet, dass vom Exit-Erlös regelmäßig zunächst ein vereinbarter Liquidationserlös (s.o.) eines oder mehrerer Investoren/Gesellschafter abgezogen (z.B. Veräußerungs- und Transaktionskosten) wird.

  • Auch nach Abschluss eines Mitarbeiterbeteiligungsprogrammes können bereits verdiente Ansprüche von Mitarbeitern durch spätere Finanzierungsrunden und neue Vereinbarungen mit Investoren auf Gesellschafterebene total verwässert werden.

Denn an dem verbleibenden (Netto-) Erlös ist der Mitarbeiter in Höhe seiner anteiligen virtuellen Gesellschaftsbeteiligung wie ein normaler Gesellschafter beteiligt. Später gewährte Vorzugsrechte auf Gesellschafterebene haben damit Vorrang, soweit dies in den Verträgen wirksam vereinbart wurde.

Teilweise sehen die Beteiligungsverträge auch vor, dass die Gesellschafter bzw. Investoren die eingelegten Anteile unter bestimmten Voraussetzungen vom Mitarbeiter zurückkaufen können.

  • In dem vorstehend unter Variante 2 (Verkauf zu 3,0 Mio. EUR) beschriebenen Fall würden daher auch die begünstigten Mitarbeiter leer ausgehen.


LFR-Tipp: 

Schlüsselmitarbeiter, deren Weggang für das zu verkaufende Unternehmen von großem Interesse ist, haben gute Chancen, von den begünstigen Investoren eine Sonderzahlung durchzusetzen. Deren Auszahlung wird i.d.R. daran gekoppelt, dass der Käufer nicht umgekehrt dem Schlüsselmitarbeiter eine Antrittsprämie (Signing Bonus) zahlt, wenn sich dieser für eine bestimmte Zeit nach Übernahme an das Unternehmen bindet.

Sonstige Begünstige (z. B. ehemalige Mitarbeiter, Business Angels, Beiräte etc.) gehen häufig leer aus. In diesem Fällen macht es Sinn, anwaltlich prüfen zu lassen, ob hier nicht ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt.


Fazit:

Liquidationspräferenzen sind für Investoren ein wichtiges Instrument, um ihr Risiko zu minimieren und ihre Rendite zu maximieren. Für Gründer sind sie jedoch oft ein Nachteil, der die Bewertung des Start-ups und die Motivation aller Beteiligten beeinflussen kann. Gründer sollten sich daher bei Verhandlungen mit Investoren der Bedeutung der Liquidationspräferenzklausel bewusst sein und versuchen, die besten Bedingungen für sich herauszuholen.

Mitarbeiter sollten bereits frühzeitig bei der Entwicklung eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms darauf achten, dass sie fair beteiligt werden und insbesondere Liquidationspräferenzklauseln kritisch prüfen.


Übersicht: Die wichtigsten Begriffe bei Liquidationspräferenzen (LP)

Bezeichnung

Beschreibung

Bewertung

Anrechenbare LP

Der Investor sichert sein Investment durch eine Liquidationspräferenz für den Fall ab, dass der anteilige Verkaufserlös niedriger ist als sein Investment

Übliche Regelung

Nichtanrechenbare LP

Ein Investor profitiert hier idR vor den anderen Gesellschaftern.

Bevorzugt einseitige Investoren, selten

Einfache LP

Sie sichert nur das ursprüngliche Investment ohne einen extra Bonus ab.

Gründerfreundliche Regelung

Mehrfache LP

Der Investor sichert über das ursprüngliche Investment, auch eine gewisse Renditeerwartung ab.

Insbesondere bei professionellen Investoren ist diese Vereinbarung eher die Regel: Der Absicherungsfaktor (up-lift) liegt üblicherweise zwischen 1,1 und 1,5.

Verzinsliche oder unverzinsliche LP

Der Investor kann sich zusätzlich mit einem Zins absichern. Der Zins wird üblicherweise vom Tag der Kapitalauszahlung verzinst.


Negative LP (NLP)

Bevor ein Anteilseigner (häufig inventivierte Mitarbeiter) aus einer Ausschüttung oder einem Unternehmensverkauf (EXIT-Szenario) einen Erlös erhält, sind zunächst die Gesellschafter an der Reihe, die als Vertragspartner agieren.


Typische Klausel bei Mitarbeiterbeteiligungen: Dem begünstigten Mitarbeiter werden zuvor Anteile am Startup zu einem Kaufpreis deutlich unterhalb des Anteilswerts der letzten Finanzierungsrunde abgegeben. Gleichzeit sind diese Anteile mit einer Verpflichtung belastet, wonach der Mitarbeiter bei einem Exit den Differenzbetrag zwischen dem Kaufpreis und dem Anteilswert der letzten Finanzierungsrunde an die Gesellschaft oder andere Gesellschafter auszukehren hat. Auf diese Weise wird der geldwerte Vorteil durch Übernahme einer entsprechenden „Verbindlichkeit glattgestellt“.


Über #LFR Wirtschaftsanwälte

LFR Wirtschaftsanwälte sind Ihr Partner für Unternehmer, Gründer und Start-ups. Wir verfügen über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratung von Unternehmern, Gründern und Investoren, insbesondere im Zusammenhang mit Finanzierungsrunden. Ein Schwerpunkt unserer Beratung liegt in der Auseinandersetzung von Start-Ups und VC-finanzierten Unternehmen, insbesondere bei Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit Unternehmensverkäufen (M&A-Streitigkeiten) oder Unternehmensnachfolgen, bei der Verteidigung von (ehemaligen) Gesellschaftern, Geschäftsführern, Vorständen, Aufsichts- und Beiräten gegen Ansprüche von Insolvenzverwaltern oder Unternehmenskäufern, bei der Abberufung, Bestellung und Durchsetzung von Geschäftsführern, Vorständen und Gesellschafter-Geschäftsführern.



aktualisiert am 10.07.2023

Foto(s): https://unsplash.com/de/fotos/5fNmWej4tAA

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