Strafprozess und Wahrheit

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Ein grundlegendes Zitat über das Wesen der Strafverteidigung stammt von Prof. Dr. jur. Hans Dahs:

„Verteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates, die dem Auftrag zur Verfolgung von Straftaten zu genügen haben.“

Es ist naiv, zu glauben, der Strafprozess führe zur Wahrheit. Maßgebend für die richterliche Überzeugungsbildung ist gem. § 261 StPO die freie richterliche Beweiswürdigung. Dabei ist nicht auf bestimmte Beweisregeln abzustellen. Der Tatrichter darf für seine Überzeugung keinen naturwissenschaftlich sicheren Nachweis verlangen, sondern muss sich mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zufriedengeben, der letzte Zweifel nicht ausschließt, aber schweigen lässt.

Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme:

Wesentlich für das deutsche Prozessrecht ist die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Das erkennende Gericht hat seine Überzeugung aus der mündlichen Verhandlung und nicht nur aus dem Inhalt der Ermittlungsakte zu schöpfen. Im Strafverfahren können die durch die Ermittlungsbehörden erhobenen Beweise nicht ohne Weiteres in den Prozess eingeführt werden. So kann z. B. ein polizeiliches Verhörprotokoll im Hauptverfahren nicht einfach als Urkundsbeweis verlesen werden. Nur ausnahmsweise können Beweise, die nicht durch das Prozessgericht selbst erhoben wurden, in den Prozess eingeführt werden. So kann in der Regel die Beweiserhebung nicht einem anderen als dem erkennenden Gericht übertragen werden.

Der Wahrheitsgehalt des schriftlichen Vorverfahrens:

Im schriftlichen Vorverfahren enthält die Strafakte lediglich ein zwischen zwei Aktendeckeln befindliches Konstrukt der Wahrheit, welches i. d. R. einseitig durch die Ermittlungsbehörden geprägt ist. Die Staatsanwaltschaft nimmt für sich in Anspruch, die „objektivste Behörde der Welt“ zu sein, da sie nach dem Gesetz den Sachverhalt objektiv in alle Richtungen und nicht nur zulasten des Beschuldigten zu ermitteln habe. Dies wird in der Praxis aber oftmals Lügen gestraft und durch Lancieren von Informationen oder unzutreffende Berichterstattung z. B. in prominenten Fällen ein öffentlicher Druck auf das Gericht und die Beteiligten geschaffen (Stichwort: Litigation-PR). Dies erfolgt nicht nur in den vielbeachteten Fällen in Rundfunk und Fernsehen, sondern bereits schon durch Presseartikel in Regionalteilen großer Tageszeitungen. Die internen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) verbieten in Nr. 23 die unnötige Bloßstellung des Beschuldigten. Dies dient dazu, nicht bereits durch die Öffentlichkeit des Verfahrens das Ansehen des Angeklagten dermaßen zu ruinieren, dass selbst ein Freispruch daran nichts ändern würde. Denn bekanntlich bleibt bei Anklageerhebung immer etwas hängen.

Die Wahrheitsfindung im Hauptverfahren:

Zumeist und insbesondere bei öffentlich wenig beachteten Verfahren stellt man jedoch nach Abschluss der Ermittlungen entweder auf schriftlichem Wege oder in der Hauptverhandlung eine akzeptable Version der Wahrheit gemeinsam mit allen Verfahrensbeteiligten nach den Regeln der Strafprozessordnung her. Entscheidend für das Urteil ist, wie der Richter seine subjektive Überzeugung in eine juristisch vertretbare Form gießt. Das Urteil muss nur aus sich heraus verständlich, logisch und vollständig sein und darf keine Widersprüche enthalten. Erst wenn die Beachtung der Denkgesetze, die allgemein anerkannten Erfahrungssätze und somit die Mindestanforderungen der Logik verlassen werden, wird das Urteil auf die Tatsachenfeststellung bezogen angreifbar. Dabei wird grundsätzlich nach Aktenlage entschieden bzw. geben die Ermittlungsakten eine wesentliche Marschrichtung vor. Deshalb muss darauf geachtet werden, nicht bereits im Vorverfahren eine für den Beschuldigten negative Weichenstellung zu schaffen, etwa durch eine vorschnelle Einlassung zur Sache ohne Akteneinsicht.

Nur bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht existiert ein Wortprotokoll.

Insbesondere bei erstinstanzlichen Urteilen der großen Strafkammern und der Schwurgerichte ist problematisch, dass kein Wortprotokoll, sondern nur ein rein formales Protokoll existiert und sämtliche Aussagen z. B. von Zeugen oder Sachverständigen lediglich aus dem Urteil ersichtlich sind. Die Frage, ob das Urteil die tatsächlichen Aussagen der Beweisaufnahme zutreffend wiedergibt, kann kaum beantwortet werden. Dies kann zu einer kontroversen und weniger gründlichen Beweisaufnahme und der Abfassung eines revisionssicheren Urteils führen, da mangels Tatsacheninstanz keine Tatsachenkontrolle, sondern nur noch eine formaljuristische rechtliche Kontrolle durch die nächste Instanz stattfindet. Gem. § 337 StPO wird hier geprüft, ob eine Verletzung des Gesetzes vorliegt, also eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Irrtümer des Gerichts sind dagegen kein Revisionsgrund. Die Version des Tatgeschehens, die das Gericht im Urteil darstellt, muss nicht objektiv und unzweifelhaft wahr sein, sie muss lediglich ausreichend wahrscheinlich sein. Auf sog. absoluten Revisionsgründe (§ 338 StPO), die einen groben Verfahrensfehler darstellen, kann die Verteidigung i.d.R. nicht bauen:

Die vorstehende Darstellung zeigt, dass bereits bei der Vermutung, sich einer Straftat schuldig gemacht zu haben (z. B. Fahrerflucht) bzw. bei Kenntnis der Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft oder Polizei, der erste Schritt der Gang zum Strafverteidiger sein sollte.

Beauftragen Sie einen Strafverteidiger:

Sparen Sie an Ihrem Anwalt zuletzt. Guter Rat ist teuer. Ihr Strafverteidiger stellt die „Waffengleichheit“ im Verfahren her und setzt Ihre Beschuldigtenrechte durch. Machen Sie konsequent von Ihrem Schweigerecht Gebrauch, zumindest bis Ihr Rechtsanwalt Akteneinsicht genommen und die Ermittlungsakte mit Ihnen besprochen hat. Sprechen Sie insbesondere bei schwerwiegenden Tatvorwürfen mit niemandem außer mit Ihrem Verteidiger über den Sachverhalt. Freunde und Bekannte, selbst Familienangehörige, können zu Belastungszeugen werden.

Im sozialen Leben sind Sie vorverurteilt, wenn gegen Sie ermittelt oder gar Anklage erhoben wird. Hier ist die vielzitierte Unschuldsvermutung nichts wert. Insbesondere die öffentliche Anklage, die der Wahrheitsfindung und der Rechtsstaatlichkeit dienen soll, erweist Ihnen diesbezüglich einen Bärendienst. Erwarten Sie von niemandem Hilfe, jeder hat Angst, ins Visier der Staatsanwaltschaft zu gelangen. Im Ermittlungsverfahren stehen Sie allein und müssen nur an sich denken.

Festnahme oder Durchsuchung:

Im Falle einer Festnahme beharren Sie auf Ihrem Recht, einen Verteidiger zu beauftragen. Dieses Recht haben Sie in jedem Verfahrensstadium. Man muss Ihnen die Möglichkeit geben, sich mit einem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen. Schweigen Sie. Am besten nehmen Sie Kontakt mit dem Anwalt Ihres Vertrauens auf. Gehen Sie niemals ohne Ihren Strafverteidiger zu einer Vernehmung oder erkennungsdienstlichen Maßnahme, z. B. der Polizei.

Im Falle einer Durchsuchung kontaktieren Sie möglichst umgehend Ihren Verteidiger. Unterschreiben Sie nichts und geben Sie keine Sachen freiwillig heraus. Seien Sie freundlich, aber unterlassen Sie „Small-Talk“ mit den ermittelnden Personen. Solche Äußerungen finden sich oft als „informelle Mitteilung“ in der Ermittlungsakte.

Alles, was Sie äußern, kann gegen Sie verwendet werden. Gerade Ihr Verhalten zu Beginn der Ermittlungen kann entscheidend sein für den weiteren Gang des Verfahrens.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg, München, Wolfratshausen

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.


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