Tarifliche Übergangs- und Altersversorgungsregelungen - BAG 4/8/2020 – 4 AZR 231/20
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Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 4. August 2020 – Az. 4 AZR 231/20 – befasst sich mit der Frage, ob und in welchem Umfang tarifliche Übergangs- und Altersversorgungsregelungen auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Insbesondere geht es darum, welche Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis einer Flugbegleiterin anzuwenden sind, wenn mehrere Tarifwerke existieren und wie solche Konflikte durch ergänzende Vertragsauslegung gelöst werden können.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin war von 1983 bis 2018 als Flugbegleiterin bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag von 1983 wurde festgelegt, dass die Rechte und Pflichten aus den jeweils gültigen Tarifverträgen für das Bordpersonal, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der DLH (Deutsche Lufthansa AG) resultieren.
Die Beklagte war zunächst Mitglied der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. (AVH), die mit den Gewerkschaften ver.di und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation e.V. (UFO) verschiedene Tarifverträge schloss, darunter den Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter der Deutschen Lufthansa AG (TV LH ÜV) und den Tarifvertrag Lufthansa Betriebsrente für das Kabinenpersonal (TV LH Betriebsrente). Diese Tarifverträge sahen unter anderem betriebliche Altersrenten und Übergangsversorgungen vor.
Mit der Zeit wechselte die Beklagte den Arbeitgeberverband und wurde Mitglied im Arbeitgeberverband Luftverkehr e.V. (AGVL). Es kam zu weiteren Tarifabschlüssen und Tarifkündigungen. Insbesondere wurden 2017 neue Tarifverträge (TV LH Rente Kabine und TV Ablösung ÜV Kabine) zwischen AGVL und UFO geschlossen, die die bisherigen Tarifverträge ablösen sollten.
Die Klägerin forderte die Anwendung der alten Tarifverträge (TV LH ÜV und TV LH Betriebsrente) auf ihr Arbeitsverhältnis und argumentierte, dass die neuen Tarifverträge (TV LH Rente Kabine) nicht anwendbar seien. Sie verwies unter anderem auf die vertragliche Bezugnahme und auf die angebliche mangelnde Tariffähigkeit der UFO im Jahr 2017.
Prozessverlauf:
Arbeitsgericht
Das Arbeitsgericht wies die Klage der Klägerin ab.
Landesarbeitsgericht
Das Hessische Landesarbeitsgericht gab der Klage statt und urteilte, dass die alten Tarifverträge (TV LH ÜV und TV LH Betriebsrente) weiterhin Anwendung finden, da sie durch § 24 des Manteltarifvertrags Nr. 1b (MTV Nr. 1b) von ver.di in Bezug genommen wurden und diese Tarifverträge nicht gekündigt waren.
Bundesarbeitsgericht
Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück, allerdings mit der Maßgabe, dass jede Partei die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Es stellte fest, dass die alten Tarifverträge (TV LH ÜV und TV LH Betriebsrente) aufgrund der vertraglichen Bezugnahme weiterhin auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung finden.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit der Feststellungsklage:
Die Feststellungsklage ist zulässig, da die Anträge hinreichend bestimmt sind und das erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Die Klägerin muss nicht den Eintritt des Versorgungsfalls abwarten, um ihre Ansprüche feststellen zu lassen.
Begründetheit der Anträge:
Die Klägerin kann aufgrund der vertraglichen Bezugnahmeklausel Ansprüche auf Leistungen aus den alten Tarifverträgen geltend machen. Der Arbeitsvertrag verweist auf die jeweils gültigen Tarifverträge, die auch nach dem Arbeitgeberwechsel weiterhin anwendbar sind.
Vertragliche Bezugnahmeklausel:
Die Klausel im Arbeitsvertrag, die auf die jeweils gültigen Tarifverträge verweist, ist als große dynamische Bezugnahmeklausel zu verstehen. Diese bezieht sich nicht nur auf Tarifverträge einer bestimmten Gewerkschaft, sondern auf alle Tarifverträge, an die der Arbeitgeber gebunden ist.
Ergänzende Vertragsauslegung:
Die Bezugnahmeklausel ist nicht unwirksam, auch wenn die Beklagte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften gebunden war. Solange die Tarifverträge inhaltlich gleichlautend waren, waren die in Bezug genommenen Regelungen eindeutig bestimmbar. Mit der späteren Abweichung der Tarifverträge fehlt jedoch eine Kollisionsregel, was zur Unbestimmtheit der Dynamik führt.
Wegfall der Dynamik:
Ab dem Zeitpunkt, als die Tarifverträge inhaltlich auseinanderfielen (spätestens mit dem MTV Nr. 2 [UFO] im Jahr 2013), ist die Dynamik der Bezugnahmeklausel entfallen. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, sondern nur zum Wegfall der Dynamik. Damit bleiben die zuletzt einheitlich vereinbarten Tarifverträge (TV LH ÜV, TV LH Betriebsrente, MTV Nr. 1b) statisch anwendbar.
Kostenentscheidung:
Jede Partei trägt die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits, da die Klägerin ihr auf die beiderseitige Tarifgebundenheit gestütztes Klagebegehren in der mündlichen Verhandlung vor dem BAG zurückgenommen hat.
Zusammenfassung und Bedeutung des Urteils
Das Urteil des BAG bestätigt die Anwendung der alten Tarifverträge (TV LH ÜV und TV LH Betriebsrente) auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund der vertraglichen Bezugnahmeklausel. Es betont die Notwendigkeit einer eindeutigen Bestimmbarkeit von Bezugnahmeklauseln und zeigt auf, wie mit Unklarheiten und Änderungen in der Tariflandschaft umzugehen ist. Die Entscheidung verdeutlicht, dass bei Fehlen einer Kollisionsregel die Dynamik der Bezugnahme entfallen kann, ohne die gesamte Klausel unwirksam zu machen. Diese Entscheidung ist von Bedeutung für die Praxis der Arbeitsvertragsgestaltung und die Anwendung tariflicher Regelungen in dynamischen Branchen.
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