Untersuchungshaft
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Wo ist sie geregelt?
In den §§ 112ff StPO.
Welchen Zweck hat sie?
Sie soll allein die Durchführung des Strafverfahrens sichern, wenn angenommen wird, dass es sonst nicht durchgeführt werden kann, weil sich der Beschuldigte zB durch Flucht entzieht oder Beweismittel beeinflusst, so dass die Aufklärung der Wahrheit unmöglich oder zumindest erschwert wird.
Welche Voraussetzungen hat sie?
Sie hat grundsätzlich drei Voraussetzungen.
Nach § 112 I 1 StPO darf die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Und nach § 112 I 2 StPO darf sie nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht.
Dringender Tatverdacht
Wenig überraschend muss die Person, die verhaftet werden soll, auch einer Straftat verdächtigt werden. Was aber bedeutet dringend tatverdächtig?
Zunächst muss eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat ist. Bloße Vermutungen, auch aufgrund forensischer und kriminalistischer Erfahrung naheliegende, reichen dafür nicht. Der Tatverdacht muss sich vielmehr aus belegbaren Tatsachen ergeben und darf nicht aus künftigen möglichen Ermittlungsergebnissen hergeleitet werden.
Und dann muss eine Verurteilungswahrscheinlichkeit bestehen. Das Ermittlungsverfahren ist dynamisch, es werden laufend neue Erkenntnisse gewonnen. So kann eine Verurteilungswahrscheinlichkeit entstehen, aber auch wieder schwinden. Letztlich geht es um die Frage, wie tragfähig sind die Beweise und Indizien. Gibt es schon eklatante Widersprüche in Zeugenaussagen, die einer Verurteilung entgegenstehen? Liegt womöglich nur eine Aussage gegen Aussage Situation vor, bei der absolut unklar ist, wer die Wahrheit sagt?
Haftgrund
Die Haftgründe werden in § 112 II StPO abschließend aufgezählt.
- Flucht / sich verborgen halten
Flüchtig ist der Beschuldigte, der sich mit dem Ziel und der Wirkung ins Ausland absetzt, für Ermittlungsbehörden und Gerichte dauernd, zumindest für längere Zeit, unerreichbar und ihrem Zugriff auch wegen der zu erwartenden Strafvollstreckung entzogen zu sein.
Wer nur an seinen ausländischen Wohnort zurückkehrt, ist also nicht flüchtig.
Auch wenn der Beschuldigte seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt, ist er nicht flüchtig, weil er nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen übersiedelt.
Der bloße Umstand, dass jemand einer Vorladung nicht nachkommt rechtfertigt noch keine Annahme der Flucht.
Verborgen hält sich, wer unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Strafverfahren zu entziehen. Auch hier ist also wie bei der Flucht ein finales Verhalten notwendig, man meldet sich nicht an, um sich dem Strafverfahren zu entziehen. Ein Nichtanmelden aus reiner Nachlässigkeit nach einem Umzug reicht also nicht. Allerdings kann es schwierig werden, Gericht und Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen.
- Fluchtgefahr
In geschätzt 99 % der Haftbefehle steht dieser Haftgrund. In der Praxis viel zu oft und ohne jede ernsthafte Prüfung der haftreduzierenden Umstände.
Fluchtgefahr besteht, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere oder überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten.
Dabei darf die Annahme der Fluchtgefahr nur aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, bloße Mutmaßungen genügen nicht. Dabei sind die im Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen zu berücksichtigen.
In der Praxis wird die Fluchtgefahr schlicht damit begründet, dass die zu wartende Strafe so hoch sei, dass es wahrscheinlicher sei, der Beschuldigte entziehe sich dem Verfahren.
Eine solche Begründung ist zwar regelmäßig nicht ausreichend. Dennoch muss die Verteidigung immer und immer wieder dagegen ankämpfen. Die notwendige Einzelfallbetrachtung und Abwägung findet selten ernsthaft statt.
Weder aus einer hohen Straferwartung noch aus einem ausländischen Wohnsitz oder Ausländereigenschaft allein lässt sich der Haftgrund der Fluchtgefahr begründen. Entgegen der weit verbreiteten Praxis gibt es keinen Grundsatz und keine gesetzliche Regelung, dass bei einer Straferwartung von beispielsweise 2 Jahren Freiheitsstrafe Fluchtgefahr vorliegt.
- Verdunkelungsgefahr
Sie besteht nur, wenn das konkrete, aktuelle Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass er, auf freiem Fuß befindlich, durch bestimmte, in § 112 II Nr. 3 StPO näher beschriebene Handlungen auf Beweismittel oder Zeugen einwirkt und dadurch die Ermittlungen erschwert werden.
Es gibt die eindeutigen Fälle, zB der Beschuldigte, der beim Shreddern der Akten verhaftet wurde, die aufgezeichneten Drohanrufe bei Zeugen etc. Solche Fälle sind selten und bieten kaum Verteidigungspotential. Interessanter für die Verteidigung wird es, wenn die Verdunkelungsgefahr mit kriminalistischen Erfahrungen aus der Szene, in der sich der Beschuldigte bewege, begründet wird.
Allerdings ist der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr verhältnismäßig selten in Haftbefehlen zu finden.
- Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 III StPO
Das sind Sonderfälle.In dort abschließend aufgezählten Fällen von Taten der Schwerkriminalität, so genannten Katalogtaten, ist ein Haftbefehl auch ohne vorliegen eines Haftgrundes zulässig.
Das Bundesverfassungsgericht fordert jedoch eine sehr restriktive Auslegung.
- Wiederholungsgefahr, § 112a StPO
§ 112a StPO bestimmt für bestimmte, abschließend aufgezählte Taten, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Hier geht es nicht mehr allein um die Sicherung des Verfahrens, sondern um die Verhinderung vermuteter weiterer Straftaten, sollte der Beschuldigte auf freiem Fuß bleiben.
Verhältnismäßigkeit
Jedes staatlichen Handeln muss sich immer am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Dennoch ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber sich entschlossen hat, hierauf gerade bei der Untersuchungshaft ausdrücklich hinzuweisen.
Verhältnismäßigkeit liegt nur vor, wenn die Erreichung des Haftzwecks nicht anders gesichert werden kann.
Je länger die Untersuchungshaft andauert, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung der Verhältnismäßigkeit.
Dauer der Untersuchungshaft
Die Untersuchungshaft ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, § 120 StPO.
So weit, so befremdlich, dass es eine solche Regelung gibt. Sie sollte selbstverständlich sein.
Wenn die Voraussetzungen entfallen, ist der Haftbefehl aufzuheben. Also wenn kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Das kann erst der Freispruch sein, aber auch schon vorher.
In der Praxis wichtig sind die Regelungen der §§121, 122 StPO, Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate. Das ist die erste Frist, die bei einem Haftbefehl notiert wird. Wenn nach sechs Monaten noch kein Urteil ergangen ist, muss die Akte dem zuständigen Oberlandesgericht vorgelegt werden. Das prüft jetzt, ob das Verfahren zügig genug betrieben wurde. Denn eine Untersuchungshaft über sechs Monate ist nur zulässig, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen. Es geht hierbei nicht mehr um die Haftgründe an sich. Es gab Fälle, da wurden Haftbefehle wegen des Verdacht des Mordes aufgehoben, weil die Ermittlungsbehörden zu langsam ermittelt haben. Denkbare Beispiele sind, wenn von vornherein bekannte, erreichbare entscheidende Zeugen noch nicht vernommen wurden, weil der Sachbearbeiter Urlaub hatte. Oder ein erforderliches Gutachten deutlich zu spät in Auftrag gegeben wurde. Es geht also um vermeidbare größere Verzögerungen im Ermittlungsverfahren. Haftsachen sind beschleunigt zu bearbeiten, um die Untersuchungshaft möglichst kurz zu halten. Immerhin ist sie faktisch Freiheitsberaubung an einem Unschuldigen.
Deswegen wird diese 6-Monats-Frist gleich am Anfang notiert.
Das hat in der Praxis allerdings auch häufig zur Folge, dass erst nach fünf bis sechs Monaten eine Anklage geschrieben wird und das Gerichtsverfahren anfängt.
Wenn das Ermittlungsverfahren aber besonders umfangreich und schwierig ist, kann die Untersuchungshaft auch deutlich länger als sechs Monate dauern.
Kaution
Dies betrifft die Frage der Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls. Geregelt ist das in den § 116 und § 116a StPO.
Nach § 116 I StPO kann der Vollzug eines Haftbefehls, der nur wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, unter Auflagen ausgesetzt werden. Das Gesetz nennt als Beispiele die Meldeauflage, zB sich wöchentlich oder täglich, bei einer Behörde zu melden oder die Anweisung, den Aufenthaltsort nicht ohne Erlaubnis zu verlassen. Die Abgabe des Reisepasses gehört auch hierzu. Und ausdrücklich genannt ist auch die Kaution, die Leistung einer angemessenen Sicherheit.
Eine Kaution kann also im Einzelfall möglich sein.
Auch Haftbefehle wegen Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr können grundsätzlich unter Auflagen nach § 116 II, III StPO außer Vollzug gesetzt werden – wenn das Gericht die Auflagen als ausreichend ansieht.
Anrechnung
Sollte am Ende des Verfahrens eine Haftstrafe ausgesprochen werden, wird die erlittene Untersuchungshaft 1:1 angerechnet, § 51 StGB.
Beispiel:
Die Untersuchungshaft dauerte 6 Monate, das Urteil lautet 2 Jahre Freiheitsstrafe.
Dann gelten 6 Monate der Strafe als bereits vollstreckt.
Ausländische Untersuchungshaft in derselben Sache wird ebenfalls angerechnet, mindestens mit dem Faktor 1:1. Bei besonders schlechten konkreten Haftbedingungen im Ausland kann der Faktor höher sein.
Entschädigung
Sollte es zu einem Freispruch oder einer Einstellung kommen, besteht ein Entschädigungsanspruch. Seit 2020 für jeden Tag erlittener Untersuchungshaft 75 €. Sollte durch die Haft nachweisbar weiterer finanzieller Schaden eingetreten sein, zB Verlust des Arbeitsplatzes und damit Wegfall des Gehalts, kann auch dieser geltend gemacht werden. Solche Haftentschädigungsverfahren können langwierig werden.
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