Vermeidung von Hochkonflikten im Sorge- und Umgangsrecht

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1. Fragestellung


Kommt es zu einer Trennung zwischen Mutter und Vater, stellen sich zahlreiche Fragen. Diese werden im Bürgerlichen Gesetzbuch unter den Stichworten Sorgerecht und Umgangsrecht behandelt. Sorgerecht behandelt die Frage, welcher der beiden Elternteile über wesentliche Fragen im Leben des Kindes entscheiden kann oder ob die Kindeseltern dies gemeinsam entscheiden sollen (z.B. Schulwahl, bestimmte ärztliche Behandlungen, relocation – Umzug, auch ins Ausland). Das Umgangsrecht befasst sich mit der Frage, wieviel Zeit das Kind bei demjenigen Elternteil verbringt, bei dem es nicht seinen Lebensmittelpunkt hat. Die Betreuungsanteile können auch identisch sein (sog. paritätisches Wechselmodell).


Bei der Pflege und Erziehung haben die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Sie haben mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge zu besprechen und Einvernehmen anzustreben. Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen, wobei der Umfang, die Frequenz und die konkrete Ausgestaltung der Umgänge individuell zu regeln sind.


Der Maßstab für all diese Fragen ist stets das Kindeswohl.


In hochstreitigen Auseinandersetzungen von Elternteilen vor den Familiengerichten ist der Blick auf die Kinder jedoch regelmäßig aus dem Blick geraten, was zu erheblichen Belastungen der betroffenen Kinder führen kann.


Das müsste nicht sein, denn in den seltensten Fällen möchten Eltern ihren Kindern Schaden zufügen. Die durch einen Hochkonflikt belasteten Kinder sind eher eine Art Kollateralschaden in einem System, das zwar bemüht ist, Kindern in familienrechtlichen Auseinandersetzungen gerecht zu werden, die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen aber nicht bereitstellt.


Ein hocheskalierter Elternkonflikt fällt nicht vom Himmel. Er entwickelt sich langsam und baut sich unter bestimmten Umständen auf (zum Weiterlesen aus dem Bereich der Wirtschaftskonfliktforschung siehe Das Karussell der Empörung – Konflikteskalation verstehen und begrenzen, Arist von Schlippe).


Sofern Eltern die Eskalation des Konflikts nicht wünschen, besteht die anwaltliche Aufgabe in diesen Fällen vor allem darin, Verfahrensfehler des Familiengerichts zu identifizieren bzw. durch möglichst frühzeitige Mandatsübernahme mit dafür zu sorgen, dass diese vermieden werden.


2.    Verletzung von Verfahrensvorschriften


Verfahrensfehler kommen in Hochkonfliktfällen regelmäßig vor. Das Recht auf rechtliches Gehör wird verletzt, Gewaltvorwürfe werden auch bei jahrelangen Gerichtsverfahren nicht aufgearbeitet bzw. bei Nichtaufklärbarkeit nicht ergebnisoffen im Blick behalten, Verstöße gegen Schweigepflichten werden nicht gesehen, und es wird auf Empfehlungen von Jugendamtsmitarbeitern, Verfahrensbeiständen oder Umgangsbegleitungen vertraut, ohne diese einer kritischen Prüfung zu unterziehen.


Die gesetzlichen Verfahrensvorschriften sind jedoch die Hygienevorschriften der Gerichtsverfahren. Eine Verletzung birgt stets ein hohes Risiko für fehlerhafte Entscheidungen.


Völlig verfehlt wäre es, aus den obigen Ausführungen zu folgern, kindschaftsrechtliche Verfahren vor unseren Familiengerichten würden häufig schlecht geführt. Keineswegs entspricht dies der Erfahrung. Im Gegenteil, Familiengerichte sind regelmäßig sehr gut geschult und sehr gewillt, den Interessen der betroffenen Kinder gerecht zu werden.


Gleichwohl kommen in Hochkonfliktfällen Familiengerichte häufiger ihrer Pflicht zur Verfahrensleitung nicht hinreichend nach. Dazu gehört vor allem die angemessene Führung und Disziplinierung weiterer Verfahrensbeteiligter, das heißt, des Verfahrensbeistandes (Anwalt des Kindes), des Jugendhilfeträgers (Jugendamt oder freier Träger), der Umgangsbegleitung und des Sachverständigen.


Konflikte werden von diesen Beteiligten in Hochkonfliktfällen fast ausschließlich als Belastung wahrgenommen, als Belastung für das Kind und als Belastung für sich selbst.


Dabei ist eine gut geführte gerichtliche Auseinandersetzung in diesen Verfahren unbedingt notwendig:


Erst in der Auseinandersetzung sämtlicher Beteiligter erhält das Gericht die unterschiedlichen Perspektiven als Grundlage einer informierten Entscheidung: die Perspektive der Mutter, die Perspektive des Vaters, die Perspektive des Kindes durch eine ergebnisoffene Anhörung des Kindes und durch Berichte einer persönlich und sachlich geeigneten Verfahrensbeistandschaft (Anwalt des Kindes), die Perspektive der Jugendhilfe mit Vorstellung der möglichen jugendhilferechtlichen Maßnahmen, die Perspektive der psychologischen Sachverständigen, die bereit und geschult ist, ihre Gutachten als selbstverständlichen Teil ihrer gutachterlichen Arbeit inhaltlich zu erläutern.


Diese nichtjuristischen Beteiligten sind mit hochstreitigen Eltern und offensiv auftretenden Anwält-/Innen schon aus Kapazitätsgründen oftmals überfordert und suchen nach Entlastung. In den Hochkonflikten kommt es daher nicht selten zu Allianzen zwischen diesen Beteiligten, die sich gesammelt gegen einen Elternteil stellen, ohne zuvor ihre Hausaufgaben sorgfältig erledigt zu haben. Sehr eindrucksvoll beschreibt dieses psychologisch bekannte Phänomen der Nobelpreisträger für Wirtschaft Daniel Kahnemann in seinem Buch Noise. Der Druck auf einen der Elternteile kann in diesen Fällen so groß werden, dass ein Elternteil regelrecht flüchtet, entweder ins Ausland, allein und unter Zurücklassen des Kindes, oder unter Mitnahme des Kindes (Kindesentführung), alternativ durch vollkommene Abwendung/Ablehnung des familiengerichtlichen Verfahrens. Nicht immer mögen in solchen Fällen Verfahrensvorschriften verletzt worden sein. Mir ist jedoch noch kein hochkonflikthafter Fall mit schweren Folgen für die betroffenen Kinder begegnet, in dem die Verfahrensvorschriften zuverlässig eingehalten worden wären.


Wird der Konflikt in der beschriebenen Weise eine Weile so fortgeführt, bedarf es eines extrem hohen Aufwandes des Familiengerichtes, gegen die Einschätzungen und Empfehlungen des Jugendamtes, des Verfahrensbeistandes, des Umgangsbegleiters und/oder Sachverständigen zu entscheiden, selbst dann, wenn das Gericht Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzungen hat. Das Familiengericht hat die Fäden seines Verfahrens nicht mehr in der Hand.


3.    Deeskalierendes Verhalten


Wie können Eltern vorgehen, die einen hocheskalierenden Konflikt befürchten oder sich bereits in einem solchen befinden?


Zunächst ist von Anfang an auf ein deeskalierendes Verhalten zu achten, auch im Angesicht von Provokationen.


Weiter ist, wie oben beschrieben, mit Hilfe der anwaltlichen Vertretung auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften im gerichtlichen Verfahren zu achten.


Eine Tendenz zur Hochkonflikthaftigkeit kann dadurch entspannt werden, dass die hinter dem Konflikt liegenden Interessen durch eine frühzeitige Mediation oder eine bedarfsorientierte Vermittlung durch die Jugendhilfe aufgeklärt werden. Eine Mediation kann auch im Verlauf eines Gerichtsverfahrens gegenüber dem Familiengericht angeregt werden. Dies sollte möglichst frühzeitig erfolgen, um der beschriebenen Konfliktdynamik vorzubeugen.


Gegenüber dem Jugendamt und anderen Beteiligten empfiehlt sich für die Eltern, die eine Eskalation des Konflikts vermeiden wollen, ein verbindlicher freundlicher Umgang, wie in jedem anderen Lebensbereich auch. Dies gilt auch dann, wenn man mit der Einschätzung des Jugendamtes oder der Verfahrensbeistandschaft inhaltlich nicht einverstanden ist. Ein Streit mit dem Jugendamt, dem Verfahrensbeistand oder der Umgangsbegleitung lässt den Konflikt weiter eskalieren und verstellt auch hier den Blick auf die zu klärenden Sachfragen.


4.    Sachlicher und begrenzter Vortrag gegenüber dem Familiengericht


Im gerichtlichen Verfahren sollten Elternteile dafür sorgen, dass sie durch ihre anwaltliche Vertretung sachlich und kontrolliert vortragen lassen. Es ist nicht entscheidend, jeden schwierigen Vorfall dezidiert vorzutragen. Entscheidend ist vielmehr ein konkreter, aber auch inhaltlich begrenzter Vortrag, der die familiäre Situation schildert. Einem überbordenden Sachverhaltsvortrag kann das Familiengericht schon aus Zeitgründen nur schwer nachkommen. Die wichtigsten Themen werden dadurch nicht hinreichend herausgearbeitet. Das Gericht nimmt in diesen Fällen oftmals nur noch hochkonflikthaft verstrickte Eltern wahr, die ihr Kind aus dem Blick verloren haben.


5.    Ein kühler Kopf


Strategisch wird dies von anwaltlicher Seite zum Teil bewusst ausgenutzt.


Hat ein Elternteil eine eher schwache Rechtsposition, bietet es sich aus Anwaltssicht an, den anderen Elternteil in einen Hochkonflikt zu verstricken. Auf diese Weise wird verhindert, dass das Familiengericht den Blick für die eigentlichen Probleme erkennt (Angst vor Kontrollverlust über den anderen Elternteil nach der Trennung, Suchterkrankung, Gewalt, unsichere Bindung eines Elternteils zum Kind u.a.). In der Konsequenz führt das dazu, dass ein jugendhilferechtlicher Bedarf dieses Elternteils nicht gesehen wird. Es findet keine entsprechende Unterstützung dieses Elternteils statt und daher keine entsprechende Entlastung des Kindes. Für den anderen Elternteil ist es hier wichtig, dass er trotz der Belastungen durch den Konflikt, einen kühlen Kopf bewahrt.


6.    Bedürfnisoriente Herangehensweise in einem Veränderungsprozess


Zunächst ist das Verhalten der Kinder bedürfnisorientiert zu berücksichtigen.


Betroffene Kinder verhalten sich in Stresssituationen in bestimmter Weise (z.B. durch Ablehnen des anderen Elternteils, um eigene Spannungen in diesem Konflikt abzubauen, Inschutznehmen eines Elternteils, von dem Gewalt ausgeht, aus Angst den Zugang zu diesem Elternteil zu verlieren, Entwicklung psychischer Auffälligkeiten u.a.)


Es ist zu klären, was das Kind benötigt, damit es möglichst unbelastet durch die Trennungsphase der Eltern kommt und längerfristig gut aufwachsen kann.


In hocheskalierten Konflikten stellt sich dem Familiengericht die Situation regelmäßig so dar, als müssten die Eltern nur aufhören, sich zu streiten. Diese Betrachtungsweise ist in der Regel verkürzt. Sie verkennt einen möglichen Unterstützungsbedarf der Familie wie oben beschrieben. Der Blick auf die Kindeseltern ist hier defizitär. Familiengericht und Jugendhilfe suchen nach Fehlern, um den eigenen Standpunkt zu belegen.


Während Elternteile in der Trennungsphase ungewöhnlich viele Ressourcen aufbringen müssen, um neuen Umständen in den Bereichen Wohnung, Berufstätigkeit, Finanzen, neue Partnerschaften etc. gerecht zu werden, untergräbt ein defizitärer Blick der Jugendhilfe und des Familiengerichts ihre Ressourcen noch weiter.  


Orientiert an den Vorgaben des Gesetzgebers haben das Familiengericht und die Jugendhilfe im Hinblick auf die Eltern jedoch zu klären, inwieweit diese erziehungs- und umgangsfähig sind. Fehlt es hier und da (noch) zum Teil an diesen Fähigkeiten, sind Eltern möglichst in ihrer Aufgabe von Trägern der Jugendhilfe oder dem Jugendamt oder auch durch andere Dritte zu unterstützen. Dabei sind die realistisch erreichbaren Kapazitäten der Jugendhilfe konkret zu berücksichtigen.


7.    Zeit


Der Aspekt des richtigen Timing ist zur Vermeidung eines hocheskalierten Konflikts wesentlich.


Weder darf es dazu kommen, dass ein Elternteil eine überstürzte Entscheidung des Familiengerichts herbeiführt, bei der etwa das bisherige Betreuungsmodell oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht ohne Not und hinreichende Sachverhaltsaufklärung abgeändert wird. Noch darf der Konflikt zu lange laufengelassen werden, ohne dass die hinter dem jeweiligen Konflikt stehenden Interessen gesehen und berücksichtigt werden.


8.    Fokus auf das Streitthema vermeiden


In der Konfliktforschung gibt es das Bild von zwei Affen die sich – in einem Baum voller Bananen – bitter um zwei Bananen streiten. Den Beteiligten des Konflikts fehlt der Blick für die vielen Bananen drum herum, da sie sich ausschließlich auf den Konfliktpartner konzentrieren.


In einem Gerichtsverfahren, in dem es um sorge- und umgangsrechtliche Fragen für Kinder geht, könnte man denken, sei das ganz anders. Der Baum hänge hier nicht voller Bananen. Vielmehr gehe es nur um die Kinder.


Aus der Perspektive der Konfliktforschung ist das nicht richtig.


Den allermeisten Eltern, Müttern und Vätern, liegt das Wohl ihrer Kinder am Herzen. Die Kinder sollen gesund und frei von Gewalt, mit Zuwendung und mit der nötigen Förderung aufwachsen.


Gleichzeitig geht es in jedem Konflikt den Konfliktparteien auch um ganz konkrete eigene Interessen, im Familienrecht zum Beispiel um das Interesse an Schutz oder Zugehörigkeit.


Auf die Frage an Eltern, was sie sich in einem stark belastenden Konflikt wünschen, kommt häufig die Antwort, „Die [oder: Der] soll uns einfach in Ruhe lassen“. Auf die Frage an Kinder, was sie sich in einem Konflikt wünschen, kommt häufig die Antwort, „Die Eltern sollen aufhören, sich zu streiten.“ Die Frage, die das Familiengericht zwecks Vermeidung einer Eskalation zu klären hat, ist welche Bedürfnisse hinter diesen Wünschen stehen.


Kindeseltern, die den Hochkonflikt suchen, um die Ressourcen des anderen Elternteils zu unterminieren, laufen unter diesen Bedingungen ins Leere.



Fazit


Mit Hilfe sachlicher und deeskalierender anwaltlicher Arbeit können die hinter dem Konflikt liegenden Bedürfnisse im Rahmen von Gerichtsverfahren und/oder einer Mediation herausgearbeitet werden. Ressourcen werden nicht in der Auseinandersetzung mit dem anderen Elternteil verbraucht, sondern stehen dem Kind weiterhin zur Verfügung. Dies entspricht den Anforderungen des Gesetzgebers sowohl an die Familiengerichte als auch an die Kindeseltern.



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