Warum zum Fachanwalt gehen? Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema

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In letzter Zeit ist ein eindeutiger Trend in der anwaltlichen Arbeit erkennbar. Die Tendenz geht ganz klar hin zum Spezialisten, weg vom Generalisten. Was uns schon während der Ausbildung prophezeit wurde („Ich gehe mit meinen Zahnschmerzen doch auch nicht zum Hautarzt“), war ziemlich lange Zeit tatsächlich nicht eingetreten. Dem Rechtsanwalt wurde erstaunlich lange zugetraut, mehr oder weniger alle Rechtsfelder einigermaßen erfolgreich bestellen zu können. Wichtiger schienen den Mandanten Werte wie der persönliche Eindruck, gute Erfahrungen aus der Vergangenheit oder auch ein bereits aufgebautes Vertrauensverhältnis zu sein. Dies ist verständlich. Und auch der Rechtsanwalt, der dann versuchte, seinen Mandanten ein Ratgeber in allen Lebenslagen zu sein, hat ein legitimes Ziel verfolgt. Er wollte schließlich den Mandanten „halten“.

Dabei muss und musste man sich schon immer fragen, ob es denn schlimm ist, dem Mandanten mit dem Hinweis auf einen für die gerade nachgefragte Materie spezialisierten Kollegen weiterzuhelfen. Ganz klare Antwort: Das ist der einzig richtige Weg. Ich habe damit schon immer gute Erfahrungen gemacht, habe es von Anfang an so praktiziert. Ich bin nun mal auf Verkehrsrecht und Strafrecht spezialisiert. Wenn ich mich an eine komplizierte Baurechtssache, einen Aktiengesellschaftsvertrag oder eine medizinrechtliche Spezialmaterie heranwage, tue ich doch keinem einen Gefallen. Dem Mandanten nicht, weil er eine bestenfalls durchschnittliche, schlimmstenfalls aber schadenstiftende Dienstleistung erhält. Und mir selber auch nicht, weil ich aus der Befürchtung heraus, nicht alles zu überblicken, schlaflose Nächte bekomme.

Und auch auf Gebieten, die gemeinhin für relativ „einfach“ gehalten wurden, wie dem des Verkehrsrechts, ist eine Spezialisierung erforderlich. So ist auf diesem Gebiet beispielsweise zu beobachten, dass die Kfz-Haftpflichtversicherer nach einem Unfall mit immer neuen Kürzungstricks versuchen, die Ansprüche von Geschädigten zu beschneiden. Wer sich hier nicht gründlich auskennt, ist den Juristen der Versicherungen nicht gewachsen. Oder bei Bußgeldsachen, Verteidigung gegen Geschwindigkeitsverstöße: Jedes Messgerät hat seine eigenen Schwächen und Angriffspunkte. Diese Informationen muss man haben, die Ansatzpunkte kennen. Da geht es oft um technische Details, die sich nicht durch bloße Einsichtnahme in die Ermittlungsakte erschließen. Zwischenfazit: Der Allgemeinanwalt, auch genannt „Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt“, hat definitiv ausgedient.

Schauen wir doch einmal, was die Fachpresse hierzu meint:

„Wer sich an einen Fachanwalt wendet, kann damit rechnen, dass sein Anwalt mehr Wissen und Erfahrung auf dem jeweiligen Rechtsgebiet haben wird als ein Durchschnittsanwalt. Es gilt daher die Regel: im Zweifel sollten Ratsuchende besser zu einem Fachanwalt gehen.“ (Magazin Finanztest der Stiftung Warentest, Ausgabe 3/2013, Seite 17)

Das sind deutliche Worte. Und was steckt nun genau hinter der Qualifikation zum Fachanwalt? Zum einen muss von dem Rechtsanwalt, der den Titel erwerben will, ein Lehrgang absolviert werden. Dieser ist recht umfangreich und verhält sich nur und ausschließlich zu der gewählten Spezialmaterie. Der Lehrgang dauert in etwa ein halbes Jahr, kann aber berufsbegleitend absolviert werden. Die genaue Dauer hängt im Einzelfall davon ab, wie komprimiert die einzelnen Unterrichtseinheiten absolviert werden. Im Verkehrsrecht beispielsweise sind die Bereiche Straf- und Bußgeldsachen, Führerscheinsachen, Schadensregulierung, Körperschäden, Unfallrekonstruktion abgedeckt. Hierbei wird z. B. bei der Unfallrekonstruktion auch auf Techniker und Ingenieure als Dozenten zurückgegriffen, was den Anwälten einen „Blick über den Tellerrand“ ermöglicht. Nach Absolvieren der fachlichen Unterrichtsblöcke sind Klausuren zu schreiben (fünfstündig). Diese Klausuren sind, je nach Dozent, durchaus anspruchsvoll. Ohne Absolvieren der jeweiligen Unterrichtseinheit wäre eine solche Klausur jedenfalls kaum zu bestehen. Auch daran sieht man, dass in dem vorangegangenen Kurs Fachkenntnisse und Spezialkenntnisse vermittelt werden, die der normale Anwalt im Zweifel nicht hat.

Nach Absolvieren des Kurses und Bestehen der Klausuren muss der angehende Fachanwalt sodann eine bestimmte Anzahl von Fällen nachweisen, die er auf dem speziellen Gebiet schon bearbeitet hat. Es ist also nicht der „Theoretiker“ gefragt, der die Materie nur aus den Büchern kennt. Nein, die praktische Erfahrung muss in Kombination dazu kommen. Die Anzahl und Aufteilung der Fälle hängt nun von der jeweiligen Rechtsmaterie ab. Um bei dem Beispiel Verkehrsrecht zu bleiben, hier sind es 160 Fälle, die alle in Frage kommenden verkehrsrechtlichen Gebiete abdecken (Führerscheinrecht, Strafrecht, Bußgeldsachen, Unfallregulierung, Versicherungsrecht). Und man muss die Fälle auch innerhalb eines Zeitfensters von drei Jahren absolviert haben, kann also nicht jahrelang ansammeln.

Wie man sieht, ist der Erwerb eines Fachanwaltstitels in der Tat ein Nachweis dafür, dass der betreffende Rechtsanwalt sich auf die jeweilige Rechtsmaterie spezialisiert hat. Meine persönliche Erfahrung hat dies bestätigt. Nachdem ich lange skeptisch gegenüber den Fachanwaltschaften war, hat mich der jeweilige Lehrgang (in meinem Fall Verkehrsrecht und Strafrecht) überzeugt. Um ganz ehrlich zu sein, ich war etwas erschrocken, was ich davor alles nicht gewusst habe – und dennoch munter auf dem Gebiet geanwaltet habe. Zudem waren die Kurse überwiegend sehr interessant. Fazit: Die Fachanwaltschaft ist ein Gewinn für beide Seiten, den Anwalt und den Mandanten.

Dr. Henning Hartmann, Fachanwalt für Verkehrsrecht in Oranienburg bei Berlin


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