Anwaltsberuf zwischen Wissenschaft und Lebenswirklichkeit: „Der Mandant will wissen, was praktikabel ist und was nicht“

  • 5 Minuten Lesezeit
Der Anwaltsberuf zwischen Wissenschaft und Lebenswirklichkeit: „Der Mandant will wissen, was praktikabel ist und was nicht“
Theresa Höfle anwalt.de-Redaktion

Theorie trifft Praxis – ein Dilemma, das jeder Anwalt kennt. Unser Interviewpartner Klaus Maier, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Insolvenz- und Sanierungsrecht, beleuchtet, wie wissenschaftliche Arbeitsweise und die Lebenswirklichkeit der Mandanten zusammenpassen, was in der juristischen Ausbildung besser laufen könnte und warum präzise Kommunikation die Basis erfolgreicher Rechtsberatung ist. 

Jurastudium, Referendariat, Kanzlei: Wie haben Sie den Übergang von der theoretischen Ausbildung in die Berufspraxis zu Beginn Ihrer Karriere erlebt? 

Anstrengend und tendenziell überfordernd und immer im Wissensdefizit. Zum Glück habe ich seit dem dritten Semester bei einer lokalen Anwaltskanzlei dauerhaft Praktika gemacht und dann als Referendar gearbeitet. Was ich im Nachhinein in der Vorbereitung auf den Anwaltsberuf völlig vermisst habe, waren Hilfen zur anwaltlichen Selbstorganisation. Das fände ich einen tollen Teil der Referendarsausbildung. 

Gibt es Fälle, in denen das korrekte Vorgehen nach Lehrbuch nicht sinnvoll ist? 

Solche Fälle gibt es oft. Aus meiner Sicht hilft hier insbesondere in wichtigen Sachen nur ein transparenter Umgang mit den Problemen und den Möglichkeiten und Zielen des Mandanten.

Mit Ihrem anwalt.de-Profil werden Sie als Anwalt gefunden

Hier mehr erfahren

Mit Ihrem anwalt.de-Profil werden Sie als Anwalt gefunden

Hier mehr erfahren

Ist eine wissenschaftlich präzise Arbeitsweise als Jurist immer mit den Erwartungen von Mandanten vereinbar?

Immer auf keinen Fall. Meistens schon deshalb nicht, weil der Mandant oft die Zeit unnütz bezahlen müsste. Der Mandant will wissen, was geht und was nicht, wo die Möglichkeiten und Risiken liegen, was praktikabel ist und was nicht, und er will wissen, wie man Fehler vermeidet (Ich versende z. B. für die Mandanten Gebrauchsanweisungen für den Zugang von Kündigungserklärungen). Sehr oft auch deshalb nicht, weil wissenschaftlich präzise Arbeit die Verwendung einer entsprechenden Sprache voraussetzt, die sehr oft nicht verstanden wird. 

Wie können Anwälte Ihrer Einschätzung nach verhindern, dass eine zu akademische Argumentation oder Fachsprache bei Mandanten zu Missverständnissen führt?

Üben. Am besten mit Vorträgen und Seminaren für Nichtjuristen (Habe ich jahrzehntelang gemacht und mache das im Betriebsratsbereich immer noch). Auch gut: Frühstücksuni mit Frau und Kindern.  

Im Zweifelsfall machen Sie es wie der Kapitän und der Steuermann bei Windstärke 12: Jede Aussage wird vom Gegenüber mit eigenen Worten wiederholt. Merke: Es ist Aufgabe des Lehrers, sich mit seiner Sprache darauf einzustellen, in welcher Klasse er gerade unterrichtet, gegebenenfalls auch, dass es verschiedene Leistungsniveaus in der Klasse gibt. 

Ihre Expertise machen Sie auch als Fachautor deutlich. Können Sie uns mehr darüber erzählen? Gibt es etwas, was Sie aus dieser Tätigkeit für die Beratung von Mandanten mitnehmen?

Eigentlich liebe ich das. Es gibt einem eine wunderbare Möglichkeit, sich auf seinen Themengebieten vertieft einzudenken und verschiedene Einzelthemen zu vernetzen. Problem: Zeitaufwand – ich rechne pro gedruckter Seite mindestens vier bis fünf Stunden. 

Mandanten wertschätzen den Aufwand und die durch die Veröffentlichung gezeigte Expertise. Sie kommen zum Teil auch deshalb und vor allem kann ich sie bei diesen Themen besser bedienen. 

Sie veröffentlichen Rechtstipps auf anwalt.de. Wie bereiten Sie juristische Themen für Laien verständlich, aber trotzdem korrekt und präzise auf?

Ich versuche, meine eigenen obigen Tipps zu beachten. Oft steht mir dabei im Weg, dass ich gern genau bin, alle Regel-Ausnahmeverhältnisse benennen will, zu viel Spaß an Sprache habe, und vor allem, dass ich oft vergesse, dass Hauptsätze viel verständlicher sind als sprachliche Bandwürmer. Weiter gilt der Satz: „Ich hatte zu wenig Zeit, um dir kurz zu schreiben.“ 

Sie sind auch als Dozent für Betriebsratsschulungen und Fachanwaltsfortbildungen tätig. Befruchtet diese wissenschaftliche Tätigkeit Ihre Rechtsberatung von Mandanten und umgekehrt?

Absolut. Das ist aber weniger eine wissenschaftliche Tätigkeit, das ist primär eine Vertiefung und Vernetzung fachlichen Wissens und ein ständiges Lernen im Umgang mit verschiedenen Menschen, verschiedenen Gruppen und deren Dynamiken und den einschlägigen Situationen, Möglichkeiten und Fettnäpfchen. Und alle Dozententätigkeiten zwingen einen dazu, sich so vorzubereiten, dass man nicht mit abgesägten Hosen dasteht. Wunderbares Druckmittel! 

Welche Aspekte in Studium und Referendariat sollten stärker auf die Praxis und die Lebenswirklichkeit der Mandanten ausgerichtet werden?

Im Studium ist mir zu viel Auswendiglernen und zu wenig Beschäftigung mit der ratio legis. Im Referendariat hätte ich gern noch mehr Beschäftigung mit substantiiertem Vortrag und Beweis im Zivilprozess und vor allem mehr Vermittlung organisatorischer und wirtschaftlicher Kompetenz und Persönlichkeitsbildung. Stärker betont werden sollte auch die Notwendigkeit umfassender und aktiver Sachverhaltsarbeit für die zukünftigen Anwälte. 

Spielt wissenschaftliche Weiterbildung Ihrer Meinung nach in der Anwaltschaft eine ausreichend große Rolle?

Anwaltschaft nein, Fachanwaltschaft tendenziell ja. 

Glauben Sie, dass Legal Tech und digitale Anwendungen dabei helfen können, juristische Themen für die Allgemeinheit praxisnaher und verständlicher zu machen?

Jein. Ich bewundere die Möglichkeiten von KI. Aber in gewissem Maße ist sie eine Blackbox: Was man an Bedienkompetenz und Vorwissen reinsteckt, kommt wieder raus. Oder eben nicht. Oft kommen auch nur Plausibilitätserwägungen oder abstrakte Handlungshinweise wie „Such dir einen Anwalt!“ (Danke!) oder im Einzelfall auch falsche Aussagen. Ich fürchte die Scheinsicherheit, die KI gerade Menschen bieten kann, die nicht die fachliche und logische Kompetenz haben, die KI-Ergebnisse zu kontrollieren. Oft besser als Dr. Google, aber leider nicht immer. 

Neben Wissenshoheit zählt im Anwaltsberuf immer mehr unternehmerisches Know-how. Wie wird sich das Berufsbild ändern?

Ich verweigere weitgehend die Antwort, Euer Ehren. Die Einzelkanzleien und kleinen Kanzleien haben es bei der Fülle der unternehmerischen Aufgaben immer schwerer. Spezialisierungen sind weiterhin existenziell. Unterschätzt wird meiner Ansicht nach der Effekt der Demografie. Besonders in der Provinz ist es zunehmend unmöglich, Junganwälte zu finden. Wer vernünftig durch das Examen kommt, hat meiner Ansicht nach zunehmend besser werdende Chancen, auch bei einer etwaigen Abschwächung dieses Effekts durch KI. 

Klaus Maier ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Insolvenz- und Sanierungsrecht. Er ist Partner der Kanzlei Tritschler Maier Mager Fachanwälte in Villingen-Schwenningen. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt wird er regelmäßig als Insolvenzverwalter bestellt und ist zudem zertifizierter Schuldnerberater. 

(THH; ZGRA) 

Erfahren Sie im Ratgeber anwalt.de im Überblick mehr darüber, wie Sie ein anwalt.de-Profil optimal für sich nutzen. Lesen Sie auch, worauf es bei der Kommunikation mit Mandanten besonders ankommt! 

Foto(s): ©privat/Klaus Maier, ©Adobe Stock/Claudio Divizia

Artikel teilen:


Beiträge zum Thema