Wiederaufnahmeverfahren: die erweiterte Darlegungslast
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I. Wird ein Antrag auf Wiederaufnahme eines Strafverfahrens gestellt, hat der Antragsteller - beziehungsweise sein anwaltlicher Vertreter - stets genau auf die Anforderungen zu achten, welche die Rechtsprechung an die Zulässigkeit eines solchen Antrages stellt. Nicht wenige Wiederaufnahmeanträge scheitern bereits im Rahmen der ersten Überprüfung durch das Gericht. Häufig wird hier dann zur Begründung der Ablehnungsentscheidung vorgebracht, der Antragsteller sei seiner sog. „erweiterten Darlegungslast" nicht nachgekommen.
Dies bedeutet konkret, dass ein bestimmter gesetzlicher Wiederaufnahmegrund grundsätzlich zwar gegeben sein könnte. Der Antragsteller habe aber zu wenig dazu vorgetragen, wie er zu dem „neuen Beweismittel" gelangt sei.
Ein Beispiel: Ein ehemaliger Belastungszeuge bekundet nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, im Prozess zu Unrecht falsche und belastende Angaben gemacht zu haben. Dies bekundet der Zeuge auch schriftlich. Der Anwalt reicht daraufhin die Erklärung des Zeugen ein, in der beispielsweise ausgeführt wird: „Ich, der Zeuge XY, bekunde hiermit, in dem Verfahren falsche Angaben zum Nachteil des Verurteilten gemacht zu haben, Unterschrift."
Der Anwalt stellt nun einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, und bringt das Schreiben des Zeugen als „neues Beweismittel" im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO bei, ohne jedoch nähere Angaben zum Zustandekommen der Erklärung zu machen. Das Gericht lehnt nun aber den Antrag als unzulässig ab, mit der Begründung: der Wiederaufnahmeantrag ist unzulässig, da der Antragsteller seiner erweiterten Darlegungspflicht nicht nachgekommen sei, da keine Angaben zum Hintergrund des geänderten Aussageverhaltens gemacht wurden.
Wichtig: Die Ablehnung ist - streng genommen - richtig und auch in der Beschwerde nicht mehr zu beanstanden. Die Folge ist fatal: das Wiederaufnahmevorbringen ist „verbraucht" und kann nicht mehr zur Begründung eines erneuten Antrages dienen. (auch an dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass Kenntnisse auf diesem Gebiet unerlässlich sind. Es sei jedem Kollegen - insbesondere im Sinne seines Mandanten - davon abgeraten, sich ohne Erfahrung an einem Wiederaufnahmeantrag „zu versuchen").
II. Doch was genau ist die „erweiterte Darlegungslast"?
Den Antragsteller im Wiederaufnahmeverfahren trifft stets eine erweiterte Darlegungslast, also eine Verpflichtung zur umfassenden Darlegung aller relevanten Umstände (zum Ganzen umfassend und sehr detailliert: Tiemann, die erweiterte Darlegungspflicht des Antragstellers im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren, 1993, S. 7ff.).
Dies gilt insbesondere in Fällen verfahrensinterner Widersprüchlichkeiten (oder besser: widersprüchlichen Prozessverhaltens eines Verfahrensbeteiligten), beispielsweise - wie im oben beschriebenen Fall - in Fällen der Änderung des Aussageverhaltens eines ehemaligen Belastungszeugen (vgl. nur: Stern, in: NStZ 1993, 410, 413 m.w.N.; BGH NJW 77, 59; M.-G., § 359, Rn. 45ff. m.w.N.).
Demnach entfaltet alleine die Behauptung der Änderung des Aussageverhaltens eines ehemaligen Belastungszeugen für sich genommen keine ausreichende - d.h. das Wiederaufnahmevorbringen hinreichend begründende - Beweiskraft. Erforderlich ist in diesen Fällen, über die Ankündigung eines geändertes Aussageverhaltens hinaus, eine einleuchtende Erklärung (im besten Fall: des Zeugen selbst) zu der Frage, aus welchen Gründen er seinerzeit die falschen Angaben gemacht hat und warum er sich nunmehr von diesen Angaben distanziert (st.Rechtspr.; vgl. nur: BVerfG NJW 1994, 510; BGH JR 1977, 217, 218; OLG Köln NJW 1963, 967, 968; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 179, 180; Gössel, in: LR, § 359 Rn. 183 m.w.N.).
Der Grundsatz der erweiterten Darlegungspflicht, welcher im Gesetz selbst nicht verankert ist, trägt hierbei den Gedanken der Rechtskraft und Rechtssicherheit Rechnung (Schmidt, in: KK-StPO, vor § 359, Rn. 4). Die Beseitigung von Fehlurteilen soll demnach nur dann möglich sein, wenn die verfahrensinternen Widersprüchlichkeiten hinreichend - und für das Wiederaufnahmegericht in nachvollziehbarer Weise - erklärt werden.
III. Aus den schon beschriebenen Gründen ist bei der Antragsbegründung daher auf die „erweiterte Darlegungslast" besonders zu achten. Andernfalls droht die Antragsablehnung.
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Die Kanzlei Nikolai Odebralski ist - soweit ersichtlich - eine der wenigen bundesweit, die sich auf die Bearbeitung von Wiederaufnahmeverfahren spezialisiert hat und über entsprechendes Wissen auf diesem Gebiet verfügt. Daher rate ich dazu, sich in diesem Bereich nicht auf seinen „Anwalt next door" zu verlassen, sondern die Interessenvertretung einem Fachmann anzuvertrauen. Getreu nach dem Motto: Eine Herzoperation lässt man auch nicht vom Allgemeinmediziner erledigen.
Bei - zunächst kostenfreien und unverbindlichen - Anfragen erreichen Sie mich unter: 0201 - 799 160 04 oder info@ra-odebralski.de.
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