Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen gemäß § 52 StPO – wichtiger als Sie denken

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Im Strafverfahren besteht für Angehörige eines Beschuldigten bzw. Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht. Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk aus Coesfeld (bei Dülmen, Stadtlohn, Ahaus Borken) ist Fachanawalt für Strafrecht. Herr Urbanzyk erklärt Ihnen in Kürze die Bedeutung und Reichweite Ihrer Rechte als Verwandter:


Wer ist ein Angehöriger, der das Zeugnis verweigern darf?

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind nach § 52 Strafprozeßordnung berechtigt: 

der Verlobte des Beschuldigten, der Ehegatte (Lebenspartner) des Beschuldigten, und zwar auch dann, wenn die Ehe (Lebenspartnerschaft) geschieden ist.  Ebendies gilt für Verwandtschaft und Verschwägerung in gerader Linie. Es muß z.B. die Oma nicht über den Enkel aussagen und der Schwager nicht gegen den Schwager.

Alle weiteren Formulierungen im Gesetz, insbesondere zu den Seitenlinien führen selbst unter Strafjuristen manchmal zur Unkenntnis und müssen erst nachgeschlagen werden. Daher nur einige Beispiele: 

Die (Ex-)Schwiegereltern müssen nicht über den Schwiegersohn oder die Schwiegertochter aussagen – wohl aber die Eltern der Verlobten über diesen. Tante und Onkel haben ein Zeugnisverweigerungsrecht zum Neffen und der Nichte – nicht aber Cousin und Cousine sowie der Ehegatte von Onkel oder Tante. Ein Pflegekind muß (derzeit) noch über die Pflegeeltern aussagen, nicht aber das Adoptivkind.  

In Zweifelsfällen, ob Sie ein Zeugnisverweigerungsrecht über einen Angehörigen haben oder nicht, wird Ihnen ein Strafrechtsanwalt im Rahmen einer kostenpflichtigen Beratung nach Prüfung der Art und Weise der Verwandtschaft Auskunft erteilen können.


Muß ich als Zeugnisverweigerungsberechtigter zur Polizei oder zum Gericht?

Ein Zeuge muß grundsätzlich nicht zur Polizei gehen, um sich vernehmen zu lassen. Eine Erscheinenspflicht besteht lediglich dann, wenn die Polizei mitteilt, der Ladung liege ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde. Dann müssen Sie zum Vernehmungstermin erscheinen – und teilen dort der Polizei aber mit, daß Sie als Angehöriger keine Angaben machen werden.

Vor Gericht müssen Sie auf Ladung als Zeuge erscheinen, auch wenn ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Nach Belehrung durch das Gericht sagen Sie als Zeuge dann, „Ich berufe mich auf mein Zeugnisverweigerungsrecht!“ oder „Ich berufe mich auf mein Schweigerecht!“

Beauftragen Sie einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand, wenn Sie bei Polizei und Gericht erst gar nicht erscheinen möchten. Ein Anwalt dringt bei der Justiz mit diesem Anliegen meist erfolgreicher durch, als Privatpersonen.  


Muß ich mich über mein Schweigen erklären?

Ein ganz klares Nein! Es genügt Ihr Status als Angehöriger im Sinne des § 52 StPO. Besteht das Zeugnisverweigerungsrecht, dürfen Sie nicht weiter bedrängt oder bequatscht werden. Sie müssen den Grund oder die Motivation Ihrer Zeugnisverweigerung nicht erklären.

Höchstens Zweifel über den Angehörigenstatus sind durch Sie aufzuklären. Insbesondere beim Verlöbnis taucht öfter die Frage auf, wann das Eheversprechen eingegangen wurde. Manchmal ist den Strafverfolgern nicht bekannt, daß der Zeuge ein zeugnisverweigerungsberechtigter Angehöriger ist – dies können und sollten Sie aufklären („Ich bin doch der Neffe des Angeklagten, weil…“).    

Bei der Polizei besteht allerdings schon die Gefahr, daß die Beamten im stillen Kämmerlein versuchen werden, Sie zu einer Aussage zu überreden, und zwar je schwerer der Tatvorwurf gegen Ihren Verwandten ist („Ihre Angaben könnten ja auch entlastend sein….“ ; „Ich merke doch, daß Sie Ihr Gewissen erleichtern wollen…“ usw.). Zwingen kann die Polizei den Zeugen jedoch nicht. Doch gerade bei emotional aufkochenden Verfahren über Sexualstraftaten, Mord und Totschlag kann die Vernehmungssituation trotz Schweigerecht für Angehörige äußerst unangenehm werden.   

Beauftragen Sie einen Anwalt als Zeugenbeistand, wenn Sie Angst haben, sich bei Polizei und Gericht konsequent auf Ihre Rechte zu berufen und befürchten, man könnte Sie zu drängen versuchen.


Ich habe einen Angehörigen schon belastet – kann ich das rückgängig machen?  

Das kommt darauf an. Sie dürfen sich in jeder Lage des Verfahrens auf Ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen - auch nachdem Sie bereits Angaben gemacht haben. Fraglich ist dann allein, ob die Aussageinhalte vor und bis zum Schweigen gerichtlich gegen Ihren Angehörigen verwertet werden dürfen.

Angaben vor einem Ermittlungsrichter oder Richter bleiben immer verwertbar. Pech gehabt! Im Zweifel ist Schweigen besser – und man läßt sich erstmal anwaltlich beraten.

Auch Angaben gegenüber Privatpersonen dürfen durch Vernehmung der Privatperson als Beweismittel verwertet werden. Tratschen Sie also nicht! Hat jedoch die andere Privatperson ebenfalls ein Schweigerecht und macht davon Gebrauch, so scheidet eine Beweisverwertung aus. Glück gehabt!    

Wichtigster Fall in der Praxis: Angaben vor der Polizei werden unverwertbar, wenn Sie sich vor Gericht auf Ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Es kommt dadurch § 252 StPO zur Geltung. Die Vorschrift des § 252 StPO verbietet über ihren Wortlaut hinaus nicht allein die Verlesung der früheren Aussage eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, sondern enthält ein umfassendes Beweisverwertungsverbot. Bei berechtigter Zeugnisverweigerung ist schlechterdings unzulässig, eine frühere Zeugenaussage in irgendeiner Weise zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Vor Gericht dürfen damit weder frühere Angaben dieser zeugnisverweigerungsberechtigten Personen als Beweismittel verwertet werden. Auch die Vernehmung von Vernehmungsbeamten dieser Angehörigen sowie die Verlesung entsprechender Urkunden (Vernehmungsprotokoll) ist verboten.

Auch eine mittelbare Verwertung jeglicher Art ist unzulässig, so daß auch polizeilich ausgewertete Chats und Sprachnachrichten unverwertbar sind. Um Letzteres müssen Strafverteidiger oft hart kämpfen.

Manche Gerichte fragen – zulässig – den Zeugen, ob er trotz Zeugnisverweigerungsrecht der Verwertung früherer Angaben denn zustimmen möchte. Diese Frage müssen Sie dann verneinen: Keine Zustimmung!

Das Thema der Beweisverwertungsverbote  ist darüber hinaus im Einzelfall noch viel komplizierter und bietet viele gute Verteidigungsmöglichkeiten, aber auch Fallstricke. Es ist dann allerdings die Aufgabe des Strafverteidigers Ihres Angehörigen und nicht Ihre Aufgabe als Zeuge, der Verwertung früherer Angaben zu widersprechen und auf die Einhaltung strafprozessualer Regeln zu achten.


Kann ich als Zeuge einen Anwalt als Hilfe nehmen?

Ganz klares Ja! Gemäß § 68 b Strafprozeßordnung darf sich ein Zeuge eines anwaltlichen Zeugenbeistands bedienen. Hierzu ist auch dringend zu raten; denn ein juristischer Laie versteht seine Rechte trotz Belehrung üblicherweise nicht. Er überblickt auch nicht die Folgen seiner Entscheidungen für das weitere Strafverfahren gegen seinen Angehörigen.

Über die Kosten eines Zeugenbeistands müssen Sie wissen, daß der Zeugenbeistand üblicherweise wie ein Strafverteidiger zu bezahlen ist. Aber das lohnt sich für Sie und Ihren Verwandten, dem Sie nicht schaden möchten.  

Foto(s): ©Adobe Stock/maho

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