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„Zwangsscheidung“ wegen Alzheimer?

  • 2 Minuten Lesezeit
Pia Löffler anwalt.de-Redaktion

[image]Dass man in Deutschland zwangsgeschieden werden kann, weiß kaum jemand. Dass eine Ehe geschlossen wird, obwohl ein Partner an Alzheimer leidet, ist kein zwangsläufiger Grund für eine Zwangsscheidung. Es klingt zunächst komisch: In Deutschland kann man „zwangsgeschieden" werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) nennt das „Aufhebung der Ehe". Eine Ehe kann z. B. dann aufgehoben werden, wenn sich ein Ehegatte bei der Eheschließung im Zustand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand. Leidet ein Ehegatte bei der Eheschließung akut unter Alzheimer, ist eine Aufhebung der Ehe also tatsächlich denkbar.

Alzheimererkrankung nach 30 Jahren

Er und sie lebten seit 1973 als Paar zusammen, 2003 wurde bei ihm Alzheimer festgestellt. Es folgte ein Aufenthalt in der Psychiatrie, dann der Umzug in ein Seniorenheim. Anfang 2004 kaufte sie aus seinen finanziellen Mitteln ein Haus, in das sie gemeinsam einzogen und wo sie ihn anschließend jahrelang pflegte.

Im Sommer 2004 läuteten für das Paar die Hochzeitsglocken. Nur die Freude der Nichte hielt sich offenbar in Grenzen. Sie regte bei der Verwaltungsbehörde an, einen Antrag auf Aufhebung der Ehe zu stellen, ihr Onkel sei bei der Eheschließung nicht ehegeschäftsfähig gewesen. Erst der Bundesgerichtshof (BGH) wies den Antrag auf Aufhebung der Ehe zurück. Die Ehegeschäftsfähigkeit unterliege anderen Maßstäben als die sonstige Geschäftsfähigkeit, der Schutz der Ehe aus Art. 6 Grundgesetz (GG) müsse angemessen berücksichtigt werden.

Vor allem auch in schlechten Zeiten

Es würde für die Wirksamkeit der Ehe darauf ankommen, ob der Mann noch in der Lage war, das Wesen der Ehe zu erkennen und in dieser Sache eine freie Willensentscheidung zu treffen. Davon ging das Gericht offenbar aus.

Außerdem erkannte der BGH kein Interesse der Öffentlichkeit an der Aufhebung der Ehe. Wenn der Verdacht besteht, dass ein Partner sich mit der Eheschließung Vorteile „erschleichen" will und sonst kein Grund für die Eheschließung ersichtlich ist, kann ein Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufhebung bestehen, keine Frage. Anders muss man das aber wohl bei einem Paar sehen, das seit 40 Jahren ein Paar ist und bei dem sich die Bindung in „schlechten Zeiten" so verfestigt hat, dass die räumlichen Gegebenheiten so anpasst wurden, dass sie ihn zuhause pflegen konnte.

Vollkommen unromantisch formulierten die Richter: „Das Eheerhaltungsinteresse überwiegt das staatliche Ordnungsinteresse im vorliegenden Fall deutlich". Und doch ist das ganze Urteil eine ausdrückliche Anerkennung der aufopferungsvollen Liebe der Frau zu ihrem kranken Mann. Deswegen bleibt sie auch seine Frau, auch vor dem Gesetz.

(BGH, Urteil v. 11.04.2012, Az.: XII ZR 99/10)

(LOE)
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