20 Jahre C-Leg Urteil und die Auswirkungen auf den Hilfsmittelmarkt

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Die historischen Urteile

Im September 2002 entschied das Bundessozialgericht für eine junge Mutter mit Kindern, dass sie Anspruch auf die Versorgung mit einer damals noch recht neuen Technologie hat: Ein computergesteuertes Kniegelenk für eine Oberschenkelexoprothese. Der Preisunterschied zu den bisher bekannten Produkten war erheblich. Die Innovation schlug mit mehr als dem Dreifachen der damals üblichen Beinprothesen zu Buche. 

Im Jahr 2004 habe ich dann zwei weitere Entscheidungen vor dem Bundessozialgericht erwirkt, in denen das Gericht diejenigen Grundsätze aufgestellt hat, die bis heute Gültigkeit haben. Das hat die gesamte Versorgungslandschaft der Prothetik und darüber hinaus nachhaltig verändert. 

Hilfsmittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung

Eine gesetzliche Krankenkasse hat ihre Versicherten mit Prothesen zu versorgen, die die Behinderung ausgleichen oder einer drohenden Behinderung vorbeugen sollen. Diese so genannte medizinische Erforderlichkeit ist vom Gesetzgeber nicht näher definiert. Es ist also immer wieder Aufgabe der Rechtsprechung, diese allgemein gehaltenen Begriffe auf konkrete Fälle anzuwenden. Computergesteuerte Prothesen waren bis dato rechtliches Neuland und Versicherte, Sanitätshäuser und Hersteller von Prothesen waren daher gespannt auf den Ausgang der damals anhängigen Klageverfahren. 

Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze

Das Bundessozialgericht hat die Krankenkasse 2002 dazu verurteilt, die Kosten für die Prothese mit einem C-Leg Kniegelenk für die junge Mutter zu übernehmen. Dabei stellte man besonders auf den Schutz der Familie und den Erziehungsauftrag von Eltern ab. Es wurde jedoch auch grundlegend festgelegt, dass die Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung dem aktuellen Stand der Medizintechnik zu entsprechen hat. Im Jahr 2004 weitete das Bundessozialgericht diese Grundsätze weiter aus, da durch die Entscheidung aus 2002 der Eindruck erweckt wurde, dass nur Versicherte in Sondersituationen wie beispielsweise Mütter mit kleinen Kindern Anspruch auf erheblich teurere Innovationen hätten. 

Die Versorgungsqualität

Der wohl herausragendste Grundsatz, den das Bundessozialgericht aufgestellt hat, ist das Versorgungsziel: Die Körperfunktion eines behinderten Menschen ist im Rahmen seiner Grundbedürfnisse im Sinne eines Gleichziehens mit einem Gesunden wieder herzustellen. Dies war rechtlich ein Paukenschlag. Außerdem legte das Gericht fest, dass der Versicherte auch bei vorhandener Prothese einen Anspruch auf Umversorgung hat, wenn dem Versorgungsziel mit einer neuen Prothese näher gekommen werden kann. Der Maßstab ist also der gesunde Körper. 

Keine Kosten-Nutzen-Rechnung - Das Wirtschaftlichkeitsgebot

Da menschliche Mobilität nicht geldwert messbar ist, sind keine Kosten-Nutzen-Erwägungen anzustellen. Nur in Fällen in denen ein Hilfsmittel außerhalb des Alltags Vorteile bietet (beispielsweise Vereinssport), endet der Anspruch der Prothesenanwender. Da behinderte Menschen unter besonderen Schutz gestellt sind, ist der Solidargemeinschaft der Versicherten zumutbar, für Hilfsmittel höhere Kosten mitzutragen. 

Auswirkungen auf die Versorgungslandschaft

Die Auswirkungen auf die Branche waren gewaltig. Die Urteile haben insbesondere bei der Industrie ein Feuer entfacht und die Entwicklung von Innovationen entfesselt. Deutschland ist auch für ausländische Hersteller ein interessanter und großer Markt. In der Zeit nach den Urteilen brachten Hersteller aus dem In- und Ausland in Deutschland eine Vielzahl von bionischen Systemen heraus. Dies gilt sowohl für Versorgungen der unteren Extremität (beispielsweise: RHEO Knee, Genium, Proprio Foot, Kenevo, Power Knee, IntelLeg Knee, Orion, Quattro, Plié, Empower Foot), als auch für Hand- und Armversorgungen (beispielsweise: Michelangelohand, I-limb, Tasca etc.). Auch bei anderen Versorgungsarten war das Interesse nach Innovationen geweckt. Als besonderes Beispiel sind hier die Geräte der funktionellen Elektrostimulation (FES) zu erwähnen, die bei Schlaganfall- oder MS-Patienten die Gehfähigkeit verbessern (bespielsweise: Bioness Ness L300, WalkAide etc.). Auch so genannte Exoskelette, die Menschen mit Querschnittslähmung wieder das Aufstehen und auch Gehen ermöglichen können (beispielsweise: Rewalk) oder bionische Orthesen zur Unterstützung von Armen und Beinen (beispielsweise: C-Brace, Exomotion oder Emove) fanden ihren Weg in die deutsche Versorgungswelt. Letztlich seien auch noch verschiedene Arten von Roboterarmen (beispielsweise Jaco oder iArm)  erwähnt, die an Rollstühlen angebracht werden und die Funktionen der eigenen Arme und Hände übernehmen sollen, wenn diese nur noch um geringen Umfang selbst genutzt werden können. Mittlerweile sind auch gedankengesteuerte Produkte in der Entwicklung. 

Mikroprozessorgesteuerte Systeme gehören mittlerweile zum gefestigten Standard in der Orthopädietechnik. Die Rahmenverträgen zwischen Krankenkassen und Sanitätshäusern erwähnen einige Systeme nicht nur ausdrücklich , sondern regeln auch die Abrechnungsmodalitäten von Testungen und Probeversorgungen. 

Bedeutung für Versicherte

Der gesetzlich Krankenversicherte findet mittlerweile eine Vielzahl von kostenübernahmefähigen Produkten vor. Je nach persönlichen und Bedürfnissen und Anforderungen an die eigene Mobilität ist es Aufgabe von behandelnden Ärzten und Sanitätshäusern, das für ihn richtige Passteil zu ermitteln und zu probieren. Aus rechtlicher Sicht ist wichtig, den Versorgungsvorgang schon möglichst früh mit dem Kostenträger abzustimmen, diesen also frühzeitig mit ins Boot zu holen. 

Foto(s): R. Müller-Päuker

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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