6 oder 12 Wochen Entgeltfortzahlung?

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Jeder gestandene Arbeitnehmer weiß, die gesetzliche Lohnfortzahlung beträgt sechs Wochen pro Krankheit. Die Zeit ist schnell um. Dann fällt man ins Krankengeld, das nur 60 % – 67 % des Nettolohnes beträgt. So liegt es nahe, eine zweite Krankheit hinten anzuhängen und so aus 6 Wochen 12 Wochen zu machen, in denen der Arbeitgeber den vollen Nettolohn fortzuzahlen hat.

Wie sagte schon Kumpel Anton? „Machse 6 Wochen Schweißfüße und dann nomma 6 Wochen Hämorrhoiden, hasse 3 Monate Lenz. An einen entsprechenden Gelben zukommen, is au nich schwer.“

Doch ganz so einfach, wie der Kumpel sich das vorstellte, machen die Richter es Arbeitnehmern nicht. Sie haben nämlich etwas entdeckt, was Medizinern noch gar nicht bekannt war, nämlich den Grundsatz der Einheitlichkeit der Grunderkrankung oder auch Grundsatz der Einheitlichkeit des Verhinderungsfalls genannt.

Nach diesem Grundsatz entsteht ein neuer Lohnfortzahlungsanspruch nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war, als die zweite anfing. Kumpels Schweißfüße müssen danach also in den ersten 6 Wochen vollständig ausgeheilt sein, wenn er nochmal 6 Wochen wegen Hämorrhoiden seinen Arbeitgeber zur Kasse bitten möchte.

Ganz einfach, dachte sich eine Arbeitnehmerin, Fachkraft in der Altenpflege, und ließ sich zunächst wegen eines psychischen Leidens krankschreiben. Der Arbeitgeber leistete Entgeltfortzahlung. Im Anschluss an die ersten sechs Wochen ließ sich die Klägerin ein gynäkologisches Leiden attestieren. Auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hatte die Ärztin „Erstbescheinigung“ angekreuzt. Das Ganze war noch garniert mit weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Hausarztes.

Dieses Krankheitsphänomen ging durch die juristischen Instanzen. Die Richter beim Landesarbeitsgericht machten sich sogar die Mühe, die drei behandelnden Ärzte der Altenpflegerin in den Zeugenstand zu rufen.

Auch ganz ohne ein Medizinstudium kamen sie zu der Erkenntnis, dass die multiplen Krankheitsbilder der Klägerin doch so miteinander verwoben sein mussten, dass im Ergebnis eine einheitliche Grunderkrankung zu diagnostizieren sei.

Hieraus resultierte dann der juristische Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls. Den Beweis des Gegenteils hätte die Altenpflegerin führen müssen, was sie natürlich nicht konnte. Die Entgeltfortzahlung war somit nach den ersten sechs Wochen gekappt. Vielleicht erhalten die Richter für diese Entdeckung einmal den medizinischen Nobelpreis. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18 -

Rechtsanwalt Bernd Schmitt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

(Der Autor ist Mitglied der Anwaltssozietät Christian Köther und Bernd Schmitt und Fachanwalt für Arbeitsrecht.)


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