Anforderungen an die Kriminalprognose gemäß § 56 StGB - oder: wann muß man ins Gefängnis

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Anforderungen an die Kriminalprognose gemäß § 56 StGB (Strafaussetzung zur Bewährung).

  1. Ziel der Kriminalprognose (§ 56 StGB):

    • Maßgeblich ist, ob der Verurteilte in Zukunft ohne Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe straffrei bleibt.
    • Allgemeines Wohlverhalten, wie ein „gesetzmäßiges und geordnetes Leben“, wird nicht verlangt.
  2. Fallbeispiel und Entscheidungsgründe:

    • Das Landgericht (LG) verurteilte einen Angeklagten wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und verhängte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten.
    • Die Strafkammer verneinte eine positive Sozialprognose, weil der Angeklagte Weisungen nach einer Haftverschonung nicht befolgt hatte.
  3. Rechtliche Würdigung des Bundesgerichtshofs (BGH):

    • Der BGH rügte die Verweigerung der Strafaussetzung. Er führte aus, dass das LG mögliche spezialpräventive Wirkungen der Untersuchungshaft, die bereits über sieben Monate andauerte, nicht ausreichend berücksichtigt habe.
    • Der BGH betonte, dass eine günstige Sozialprognose nicht davon abhängt, ob der Täter ein „gesetzmäßiges und geordnetes Leben“ führt, sondern ob künftige Straffreiheit zu erwarten ist.
  4. Weitere Aspekte der Begründung:

    • Der BGH sieht eine erhebliche Erörterungslücke in der Entscheidung des LG, da die Verstöße gegen Melde- und Aufenthaltspflichten nicht ausreichend in Bezug auf ihre Bedeutung für die künftige Straffreiheit bewertet wurden.
    • Allgemeine Anforderungen, wie ein vollkommen geordnetes Leben, wurden bereits mit der Reform des Strafrechts (1969) aufgehoben.
  5. Zusammenfassende Kritik des BGH:

    • Es genügt nicht, allein auf formale Verstöße des Angeklagten gegen Auflagen abzustellen. Diese sind nicht automatisch ausschlaggebend für die Prognose künftiger Straffreiheit.

Die Entscheidung (203 StRR 301/24) stellt klar, dass die Beurteilung der Sozialprognose auf einer differenzierten Abwägung beruhen muss, die insbesondere die Wirkungen einer langen Untersuchungshaft und die Bedeutung formaler Verstöße angemessen berücksichtigt.


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