Arbeitsrecht & Kündigung: Wenn vertrauliche Steuerdaten missbraucht werden und das Vertrauen dahin ist.

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In einem bayerischen Finanzamt hatte ein neu eingestellter Mitarbeiter Zugang zu einem internen System, über das sich Steuerdaten von Bürgerinnen und Bürgern abrufen lassen. Dies ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn ein dienstlicher Anlass besteht – etwa um ein Schriftstück anhand der Steuernummer der richtigen Stelle oder Bearbeitung zuzuordnen. Der betroffene Mitarbeiter jedoch nutzte diese Möglichkeit immer wieder für private Zwecke, ohne dass hierfür eine dienstliche Notwendigkeit vorlag.

Innerhalb eines Zeitraums von rund 16 Monaten rief der Beschäftigte mehrfach Daten fremder Personen ab, die er privat kannte, darunter Vereinsmitglieder und Nachbarn. Besonders brisant: Auch seine eigenen Steuerdaten sowie die Steuerdaten eines sehr prominenten Politikers – des amtierenden Ministerpräsidenten – wurden abgefragt. Laut Behörde erfolgte dies z. T. wiederholt und war in keinem Fall durch eine dienstliche Aufgabe gedeckt. Aufgefallen waren diese Verstöße durch eine stichprobenhafte Überprüfung, die protokollierte Datenabfragen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern untersuchte.

Angesichts des hohen Schutzguts, nämlich der steuerlichen Privatsphäre und Verschwiegenheitspflicht, reagierte der Arbeitgeber umgehend: Er konfrontierte den Mitarbeiter in einem Personalgespräch mit den Ergebnissen der Auswertung und hörte den Personalrat zur beabsichtigten Kündigung an. Anschließend kündigte er dem Beschäftigten außerordentlich und fristlos. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, erfolgte zudem hilfsweise die ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin.

Der gekündigte Mitarbeiter wehrte sich gerichtlich mit einer Kündigungsschutzklage. Dabei räumte er einige Abrufe ein, bestritt jedoch insbesondere die Abrufe bezüglich des Ministerpräsidenten. Er machte darüber hinaus geltend, man habe ihn beim Einarbeiten angewiesen, „Übungen“ zum Datenabruf vorzunehmen, und darüber hinaus hätte man ihn abmahnen müssen, bevor man zur Kündigung schreite. Er habe außerdem weder jemanden erpressen noch aus den gewonnenen Informationen persönlichen Vorteil ziehen wollen; die Abrufe seien eher „aus Neugier“ erfolgt, ohne dass ihm klar gewesen wäre, dass dies eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle.

Entscheidung
Das Gericht befasste sich zunächst mit der Frage, ob die außerordentliche (fristlose) Kündigung nach § 626 BGB wirksam sein könne. 

  1. Außerordentliche Kündigung: Ein solcher Schritt setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, bei dem dem Arbeitgeber nicht einmal mehr die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zumutbar ist.

  2. Wichtiger Grund an sich: Das Gericht stellte fest, dass das unbefugte und vorsätzliche Eindringen in hochsensible Datenbestände – insbesondere in einer Behörde, die für steuerliche Belange zuständig ist – grundsätzlich einen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann. Die unzulässigen Zugriffe verletzen das Steuergeheimnis (§ 30 AO) ebenso wie vertragliche Nebenpflichten (Rücksichtnahmepflicht) sowie eindeutige Dienstanweisungen.

  3. Interessenabwägung: Allerdings müsse man in einer zweiten Stufe abwägen, ob es dem Arbeitgeber wirklich unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur während der laufenden ordentlichen Kündigungsfrist zu beschäftigen. Hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich zwar erhebliche Verstöße feststellen ließen, die auch das Vertrauen in den Mitarbeiter zutiefst erschüttert haben. Da jedoch die Möglichkeit bestehe, den Mitarbeiter – notfalls unter intensiver Beobachtung – bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen und kein konkreter Schadenseintritt durch Weitergabe der Daten festgestellt werden konnte, sei eine sofortige und fristlose Beendigung in diesem Einzelfall unverhältnismäßig.

  4. Verhaltensbedingter Kündigungsgrund: Hinsichtlich der Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung zum nächstmöglichen Termin enden konnte, bestätigte das Gericht, dass hier ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund nach § 1 KSchG vorliegt. Die ohne jeden dienstlichen Bezug unternommenen Datenabfragen stellen eine eklatante Pflichtverletzung dar. Die Beschäftigten in einem Finanzamt tragen eine besondere Verantwortung, mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben sorgfältig und korrekt umzugehen.

  5. Abmahnung entbehrlich: Der Gekündigte wandte ein, man hätte ihn zunächst abmahnen müssen. Doch hierzu führte das Gericht aus, dass eine Abmahnung bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen dann entbehrlich sein kann, wenn dem Beschäftigten die Schwere des Verstoßes evident sein musste. Gerade weil eine ausdrückliche Dienstanweisung existierte und dem Kläger die Rechtswidrigkeit einer rein privaten Datenrecherche auch mehrfach mündlich und schriftlich verdeutlicht wurde, ist die Verletzung des Steuergeheimnisses hier kein „einfacher Ausrutscher“, sondern ein bewusster Verstoß über einen längeren Zeitraum. In solchen Fällen muss ein Mitarbeiter von vornherein damit rechnen, dass selbst eine einmalige Pflichtverletzung in diesem sensiblen Umfeld ernste Folgen haben kann.

  6. Interessenabwägung: Da in der Summe ein massiver Vertrauensbruch vorlag, die Dienstanweisungen eindeutig waren und der Kläger zu vielen unzulässigen Abfragen selbst geständig war, überwiegt das Interesse des Finanzamts, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Zwar ist auch das Alter und die Zukunftschancen des Mitarbeiters nicht außer Betracht geblieben, doch wogen die vielfachen Verletzungen des Steuergeheimnisses schwer. Das Gericht bejahte deshalb die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung.

Die Konsequenz: Das Arbeitsverhältnis wurde rechtmäßig durch die ordentliche Kündigung beendet. Die fristlose Kündigung dagegen ließ das Gericht mangels einer in diesem speziellen Einzelfall ausreichenden Unzumutbarkeit (Interessenabwägung) nicht bestehen.

Praxishinweise

  1. Das Steuergeheimnis als hohes Gut
    Wer im Finanzamt arbeitet, trägt eine besondere Verantwortung für die Geheimhaltung von Steuerdaten. Bereits der Versuch eines unerlaubten Zugriffs kann Dienstpflichten verletzen. Die Behörden – aber auch andere Arbeitgeber, die mit hochsensiblen Daten arbeiten – haben in aller Regel strenge Vorgaben zum Datenschutz. Arbeitnehmer sollten sich die Bedeutung dieser Regeln vergegenwärtigen und wissen: Auch bloße Neugier kann rechtlich fatale Folgen haben.

  2. Deutliche Dienstanweisungen – „vorweggenommene Abmahnung“
    Arbeitgeber sind gut beraten, ihre Beschäftigten klar und verständlich über die gesetzlichen und betrieblichen Regelungen zu informieren. Je spezifischer die Dienst- und Betriebsanweisungen formuliert sind und je öfter sie in Schulungen oder Rundschreiben wiederholt werden, desto klarer wird im Ernstfall, dass ein Arbeitnehmer nicht annehmen durfte, sein Verhalten sei harmlos. So können schriftliche Belehrungen und Dienstvorschriften mit Hinweisen auf mögliche arbeits- oder gar strafrechtliche Konsequenzen schon als „vorweggenommene Abmahnung“ wirken.

  3. Verhältnismäßigkeit der Kündigung
    Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss eine außerordentliche Kündigung stets das äußerste Mittel (ultima ratio) sein. Eine Interessenabwägung ist in jedem Fall notwendig. Gerade wenn sich in den konkreten Umständen ergibt, dass das Arbeitsverhältnis wenigstens während der gesetzlichen Kündigungsfrist noch irgendwie aufrechterhalten werden kann, neigen Gerichte eher dazu, eine ordentliche Kündigung für ausreichend zu halten. Lediglich wenn durch das Fehlverhalten das Vertrauensverhältnis derart schwer und irreparabel gestört ist, dass eine weitere Zusammenarbeit kein einziges Tagesmoment länger tragbar erscheint, kann eine außerordentliche Kündigung rechtmäßig sein.

  4. Abmahnung? Hängt vom Einzelfall ab
    Zwar ist bei verhaltensbedingter Kündigung oftmals eine Abmahnung erforderlich, denn der Arbeitnehmer soll die Chance bekommen, sein Verhalten zu ändern. Doch in schwerwiegenden Fällen, besonders bei umfangreicher Pflichtverletzung in einem hochsensiblen Bereich, kann eine Abmahnung entbehrlich werden. Das ist dann der Fall, wenn für den Mitarbeiter klar auf der Hand liegen musste, dass sein Verhalten absolut inakzeptabel ist und das Arbeitsverhältnis gefährdet.

  5. Bedeutung des Prozessverhaltens
    Häufig spielt im Kündigungsschutzverfahren auch eine Rolle, wie sich der betroffene Arbeitnehmer äußert. Wer im Prozess sämtliche Schuld von sich weist, Vorgesetzte beschuldigt oder behauptet, man habe ihn zu den Gesetzesverstößen gedrängt, tut sich schwer, das verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen. Ein gewisses Maß an Einsicht und Reue kann für das Gericht ein wichtiges Indiz sein, dass eine Abmahnung erfolgreich gewesen wäre – oder eben nicht.

  6. Prävention: Rechtevergabe und Protokollierung
    Arbeitgeber – und insbesondere Behörden – sollten ihre IT-Systeme so aufstellen, dass Missbrauch erschwert wird. Das bedeutet zum Beispiel, Mitarbeiter nur nach dem Prinzip der Erforderlichkeit mit Zugriffsrechten auszustatten. Sinnvoll sind zudem Protokollierungen und stichprobenartige Auswertungen von Datenabrufen. Diese Maßnahmen können abschreckend wirken und helfen zugleich, im Ernstfall nachzuvollziehen, wer wann welche Informationen abgerufen hat.

  7. Fazit
    Der hier geschilderte Fall unterstreicht einmal mehr, wie sensibel in behördlichen und ähnlich vertraulichen Arbeitsfeldern mit persönlichen Daten umgegangen werden muss. Ein vorsätzlicher und wiederholter Verstoß gegen das Steuergeheimnis kann nicht nur eine ordentliche, sondern durchaus auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Doch ob letztere im Einzelfall Bestand hat, ist immer eine Frage der Abwägung von Interessen und Umständen. Im Ergebnis hob das Gericht hervor, dass zwar ein „wichtiger Grund an sich“ vorlag, die sofortige Beendigung aber nicht zwingend war. Die ordentliche Kündigung erwies sich dagegen als sozial gerechtfertigt und wirksam.

Damit sollten sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer genau prüfen, ob und inwieweit eine Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis noch durch eine Abmahnung behebbar erscheint oder bereits so gravierend ist, dass das Arbeitsverhältnis keine Zukunft mehr hat. Vor allem jedoch ist ratsam, es gar nicht erst zu solchen Streitfällen kommen zu lassen. Umfassende Belehrungen, sorgfältige IT-Sicherheitskonzepte und ein waches Bewusstsein der Mitarbeitenden für ihre Verantwortung sind das wichtigste Instrument, um das Vertrauensverhältnis zu schützen und Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.

Foto(s): RITTER Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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