Aufklärung bei Saugglockengeburt

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Ein 2017 geborenes Kind klagt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen angeblicher Fehler bei der ärztlichen Behandlung und unzureichender Aufklärung seiner Mutter vor seiner Geburt. Vor der Geburt wurde die Mutter über die Risiken einer Zangen- oder Saugglockenentbindung aufgeklärt, und es wurde ein Aufklärungsbogen unterzeichnet. Als der errechnete Geburtstermin überschritten war, wurde die Mutter im Krankenhaus aufgenommen. Wegen Herzfrequenzabfällen des Fötus entschied man sich für eine Vakuumextraktion, also eine Saugglockengeburt. Das Kind wurde mit einem Hämatom am Kopf geboren, und später wurde im Krankenhaus ein ausgedehnter Bluterguss am Kopf festgestellt, der in einer Universitätsklinik operativ behandelt wurde. Bei der Operation wurden dann Schädelfrakturen entdeckt. Das Kind erholte sich ohne neurologische Schäden und entwickelt sich gut. Der Fall beschäftigt sich mit der Frage, ob die ärztliche Behandlung und Aufklärung angemessen waren und ob die Komplikationen einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld rechtfertigen.


Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 01.08.2023 - 4 U 108/23



Das Kind, vertreten durch seine Mutter, verklagte nun die Klinik und verlangte Schmerzensgeld. Das Kind behauptet, dass seine Mutter nicht ausreichend über das Risiko einer Schädelfraktur aufgeklärt wurde, die bei dieser Methode entstehen kann. Hätte die Mutter von diesem Risiko gewusst, hätte sie nicht zugestimmt und einen Kaiserschnitt vorgezogen. Außerdem sagt das Kind, dass es keine medizinische Notwendigkeit für diese Methode gab. 

Eine besondere Situation ergab sich auch daraus, dass zwei Operationsberichte vorlagen. Zum einen lag ein nicht unterschriebener OP-Bericht vor. Diesen nicht unterschriebenen OP-Bericht hatte die Großmutter des Klägers, die zufällig im Krankenhaus der Beklagten arbeitete, heimlich aus der Patientenakte entnommen. In diesem OP-Bericht war vermerkt, dass ein sogenannter Kristeller-Handgriff angewendet, also in einer speziellen Art und Weise mit den Händen durch Druck von außen auf den Bauch der Schwangeren den Geburtsvorgang zu beeinflussen. Daneben enthielt die Patientenakte einen unterschriebenen OP-Bericht, in welchem aber keine Angabe zur Anwendung des Kristeller-Handgriffes enthielt.

Die Klinik behauptet, die Mutter hätte sich auch bei Kenntnis der Risiken für die Vakuumextraktion entschieden. Es gab auch Vorwürfe gegen die Großmutter des Kindes, die unerlaubt Zugang zu den Patientenakten hatte. Im Ergebnis wies das Landgericht die Klage ab. Damit war der Kläger, vertreten durch die Mutter, nicht einverstanden und legte Berufung zum Oberlandesgericht Dresden ein.

Das OLG lehnte die Berufung des Klägers ab. Das OLG urteilte, dass die hier vorliegende Konstellation der Patientendokumentation alleine nicht ausreicht, um die Beweislast umzukehren. Dies entspricht auch der Regelung des § 630 h Absatz 3 BGB

Ferner hat das Landgericht, gestützt auf die Erläuterungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen, die Notwendigkeit der Vakuumextraktion überzeugend bejaht. Es hat zwar vorgerichtlich eine entgegenstehende Sachverständigenaussage gegeben, aber der gerichtlich bestellte Sachverständige begründete die Entscheidung für diese Methode mit der drohenden Gefahr einer Asphyxie (Sauerstoffmangel) des Fötus, die sich in den kontinuierlichen CTG-Aufzeichnungen zeigte. Dies überzeugte das OLG Dresden. Das Gericht konnte auch bei der konkreten Durchführung der Saugglockengeburt keinen Behandlungsfehler erkennen. Es meinte, die Saugglocke wurde fachgerecht angelegt.

Das Landgericht war auch davon überzeugt, dass kein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung vorliegt. Obwohl die Mutter des Klägers nicht speziell über das Risiko eines Schädelbruchs informiert wurde, war eine solche Aufklärung nicht notwendig. Bei der Aufklärung müssen Patienten im Großen und Ganzen über die Risiken und auch schwerwiegende Risiken einer Operation informiert werden, auch wenn diese selten auftreten. Entscheidend ist, ob ein Risiko typisch für den Eingriff ist und ob seine Verwirklichung das Leben des Patienten erheblich beeinträchtigt. Nach Ansicht des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist ein Schädelbruch jedoch kein typisches Risiko bei einer Entbindung mit der Saugglocke und tritt äußerst selten auf. Außerdem wird in den meisten Fällen eine Schädelfraktur bei Neugeborenen nicht einmal festgestellt, weil sie ohne Folgen verheilt und keine Blutungen oder neurologische Schäden nach sich zieht. Es ist wahrscheinlich, dass Schädelfrakturen bei Neugeborenen viel häufiger vorkommen, als tatsächlich erkannt wird. Oft heilen diese Frakturen von selbst ab, sofern keine Blutung im Gehirn vorliegt, und benötigen keine chirurgische Behandlung. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob sich die Mutter des Klägers für einen Kaiserschnitt entschieden hätte, wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, dass es im Fall einer Saugglockengeburt zu einem Schädelbruch kommen kann.

Im Ergebnis wurde die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Foto(s): stock.adobe.com Gpoint Studio


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