Aussage gegen Aussage im Strafprozess – kann ich nur wegen einer Aussage verurteilt werden?
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Eine angeklagte Tat kann in der Hauptverhandlung durch verschiedene Beweismittel belegt werden. Problematisch sind jedoch die sogenannten Aussage gegen Aussage Konstellationen. Darunter versteht man, dass als einziges Beweismittel, welches für eine Verurteilung des Angeklagten spricht, eine einzelne Zeugenaussage in Frage kommt. Als Gegenbeweis für seine Unschuld, bestreitet der Angeklagte den ihm vorgeworfenen Tatvorwurf oder schweigt zu den ihm belastenden Vorwürfen.
Kann eine einzelne Zeugenaussage zur Verurteilung wegen einer Straftat führen?
Wenn nun das Gericht von der Richtigkeit der einzelnen Zeugenaussage überzeugt ist und es keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der Aussage hat, kann es durchaus zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen. Jedoch muss das Gericht gerade bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit dieser einzelnen Aussage bestimmte Überlegungen anstellen und für den konkreten Einzelfall eine überzeugende Begründung fertigen.
Wann führt eine einzelne Zeugenaussage zu einer Verurteilung?
Der BGH hat sich in seinem Beschluss vom 24.01.2024 (6 StR 456/23) erneut mit der seit Jahrzehnten im Strafprozess immer wieder auftauchenden Frage beschäftigt, was das Gericht zu beachten hat, wenn es aufgrund einer Zeugenaussage im Fall der Aussage gegen Aussage Konstellation, ein Urteil fällt.
Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem das Landgericht Frankfurt (Oder) die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage nur deshalb annahm, weil der Zeuge „konstant“ bzw. „hochkonstant“ aussagte. Der BGH stellte fest, dass dies als Begründung für den Schuldspruch nicht genüge.
Das Gericht hätte in den Entscheidungsgründen genauer erläutern müssen, warum es der Zeugenaussage Glauben schenke. Bei einer Aussage gegen Aussage Konstellation müssen alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, dargelegt und im Urteil entsprechend gewürdigt werden. Auch muss der genaue Inhalt der Aussage im Urteil wiedergegeben werden, damit überprüft werden kann, ob überhaupt die vom Ausgangsgericht in diesem Fall angenommene Aussagekonstanz vorliegt.
Reicht die Zeugenaussage nicht aus, um das Gericht von der Schuld des Täters zu überzeugen, ist dieser nach dem Zweifelsgrundsatz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) freizusprechen. Diese Grundsätze habe das Ausgangsgericht nach Ansicht des BGH nicht eingehalten, weshalb der BGH das Urteil aufhob und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Ausgangsgerichtes zurückverwies.
Wann liegt eine Aussagekonstanz einer Zeugenaussage im Strafprozess vor?
Aussagenkonstanz ist gegeben, wenn ein Zeuge mehrere Aussagen über denselben Sachverhalt zu verschiedenen Zeitpunkten des Verfahrens getätigt hat und sich bei einem Vergleich der einzelnen Aussagen keine gravierenden Widersprüche bezüglich des Kerngeschehens ergeben (Ludewig/Tavor/Baumer, AJP/PJA 2011, 1415, 1429). Der BGH bemängelte in seinem Beschluss, dass das Ausgangsgericht von einer solchen Aussagekonstanz ausging, ohne einen solchen Vergleich zu früheren Aussagen des Zeugen angestellt zu haben.
Zudem ist zu beachten, dass die Aussagekonstanz nur eine Mindestanforderung an die Glaubhaftigkeitsbeurteilung einer Zeugenaussage darstellt (Ludewig/Tavor/Baumer, AJP/PJA 2011, 1415, 1429). Eine Verurteilung kann also nicht nur auf das Vorliegen einer Aussagenkonstanz gestützt werden. Das Ausgangsgericht hatte hier jedoch keine weiteren Aspekte bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit in sein Urteil miteinbezogen, was, wie vom BGH zutreffend festgestellt wurde, zur Begründung der Verurteilung nicht genügt.
Wann ist eine Zeugenaussage im Strafprozess glaubwürdig?
Eine Zeugenaussage ist glaubhaft, wenn deren Inhalt vom Gericht für wahr und zutreffend gehalten wird (Täschner, NStZ 1993, 322, 323). Wann das Gericht eine Aussage für wahr erachten darf und wann nicht, ist nicht gesetzlich geregelt. Das entscheidende Gericht hat bei der Beweiswürdigung einen eigenen Beurteilungsspielraum gemäß § 261 StPO. Es würdigt die Zeugenaussage also nach freiem richterlichen Ermessen. Was es dabei zu beachten hat, ist nicht abschließend geregelt. Es gibt jedoch einige Kriterien z.B. aus der Aussagepsychologie, welche für die Wahrheitsfindung genutzt werden können.
Das Gericht muss zunächst einmal den Inhalt der Aussage begutachten. Bei einer wahren Aussage wird ein Ereignis geschildert, welches der Zeuge auch tatsächlich erlebt hat. Ob die Aussage tatsächlich erlebnisbasiert ist, kann durch sogenannte Realkennzeichen ermittelt werden. Sie geben Auskunft darüber, ob die aussagende Person mit ihren individuellen Voraussetzungen unter den entsprechenden Rahmenbedingungen die vorliegende Aussage so nur getätigt haben kann, wenn sie diese auch wirklich selbst erlebt hat. (Velbert, Zeitschrift für Kinder und Jugendpsychiatrie 1995, 20 ff.)
Der Zeuge kann sich bei einer wahren Aussage zum Beispiel zeitlich und räumlich in die Situation zurückerinnern und kann das Erlebte geordnet, strukturiert und nachvollziehbar wiedergeben. Auch kann der Zeuge Empfindungen und Gefühle wiedergeben, welche er zum Zeitpunkt des Ereignisses erlebte. Eine wahre Aussage ist zudem mit vielen Details geschmückt, welche der Zeuge wahrgenommen hat in der konkreten Situation. Dabei muss die Aussage nicht von Beginn bis Ende das Geschehen lückenlos wiedergeben.
Diese Realkennzeichen allein reichen jedoch nicht aus, um die Glaubhaftigkeit einer Aussage feststellen zu können. Zu beachten ist, dass Aussagen durch Befragungen, Gespräche und auch psychotherapeutische Maßnahmen beeinflusst werden und sich so Scheinerinnerungen bei der aussagenden Person bilden können. Diese Scheinerinnerung nimmt die aussagende Person aufgrund des Einflusses dieser Maßnahmen dann fälschlicherweise selbst als wahr an. Somit können in der falschen Aussage auch Realkennzeichen auftauchen. Das Gericht muss bei der Prüfung der Entstehung der Aussage dann besonders darauf achten, ob solche suggestiven Einflüsse ausgeschlossen werden können. Wenn ein suggestiver Einfluss nicht ausgeschlossen werden kann, muss das Gericht zusätzlich prüfen, ob andere gewichtige Umstände vorliegen, welche für die Wiedergabe eines tatsächlich erlebten Geschehensablaufs sprechen. Denn nur weil ein suggestiver Einfluss vorliegt, muss sich dieser auch nicht zwangsläufig auf die Erinnerung und die Aussage des Zeugen auswirken. (Bartel in MüKo StPO, 2. Aufl., 2024, § 261, Rn. 248.)
Zudem hat das Gericht auch die Beziehung der aussagenden Person zu dem Angeklagten oder sein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens zu berücksichtigen.
Was hingegen nicht für die Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage herangezogen werden kann, ist das Verhalten des Zeugen während seiner Aussage. Ein unruhiges Verhalten und vermeintlich äußerliche Auffälligkeiten wie Erröten oder Stottern, können beispielsweise auch der Aufregung geschuldet sein oder resultieren auf Unsicherheiten, da das Geschehen schon einige Zeit zurückliegt.
Darf das Gericht trotz Zweifel die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage bejahen und den Angeklagten verurteilen?
Gerade bei der Aussage gegen Aussage Konstellation wird das Gericht nie zu 100% von der Richtigkeit einer der beiden Aussagen überzeugt sein. Es genügt ein Grad an Gewissheit darüber, dass eine der beiden Aussagen mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig ist (Tiemann, Karlsruher Kommentar StPO, 9. Aufl., 2023, § 261, Rn. 11.). Es muss hierfür alle Umstände des Einzelfalles, welche die Entscheidung beeinflussen könnten, erkennbar in seine Überlegungen einbeziehen und auch im Urteil darstellen (Schroth/Deckers in Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Aufl., 2022, § 48, Rn. 52).
Sie sehen, dass ein Strafprozess und der Umgang mit Beweisen, die zu einer Verurteilung wegen einer Straftat führen können, hochkomplex sind. Zahlreiche Grundsätze und Ausnahmen sind zu beachten, um gegebenenfalls eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Gerichts zu erkennen und anzugreifen.
Das ist ein Aspekt, weshalb es sich empfiehlt, sich als Beschuldigter einer Straftat an einen erfahrenen und spezialisierten Fachanwalt für Strafrecht zu wenden.
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