Berufsunfähigkeitsversicherung: Verminderte Leistungsfähigkeit als Normalzustand des Versicherten?

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Ein Beitrag von: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte 

Der BGH hat sich mit Urteil vom 14.12.2016 (Az. IV ZR 527/15) zur Thematik der Berufsunfähigkeit bei beendeter Verweisungstätigkeit zu befassen gehabt.

Der Sachverhalt vor dem BGH:

Der klagende Versicherungsnehmer schloss bei der beklagten Versicherung eine Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) ab. Der Kläger ist HNO-Arzt und war seit Januar 2000 in einer Gemeinschaftspraxis und ab Dezember 2002 in einer Einzelpraxis selbstständig tätig.

Ab dem Jahr 2000 kam es bei ihm zu einer kompletten Arthrose des rechten Schultergelenks und dadurch zu Einschränkungen seiner beruflichen Tätigkeit. Seit 2005 führte der Kläger keine ambulanten chirurgischen Eingriffe und Operationen mehr durch. Er stellte im Februar 2006 eine Assistenzärztin ein, die kleinere ambulante Eingriffe vornahm und weitere ärztliche Tätigkeiten ausübte, zu denen er selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage war. Nachdem der Kläger im Jahre 2006 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beantragt hatte, erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht ab April 2006 an und erbrachte BU-Leistungen.

Im August 2010 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass seine Praxis in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) übergegangen und er seitdem bei dessen Trägerunternehmen angestellt sei. Außerdem war er zum ärztlichen Leiter des MVZ bestellt worden. Die Beklagte kündigte im April 2011 an, ihre Leistungen im Nachprüfungsverfahren zum 31. Mai 2011 einzustellen, da eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege, weil die vom Kläger seit August 2010 ausgeübte Tätigkeit seine bisherige Lebensstellung wahre.

Der Kläger stützt seine Klage für den Zeitraum ab April 2013 zusätzlich darauf, dass seine Tätigkeit im MVZ unstreitig aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung zum 31. März 2013 geendet hat. Seit Mai 2013 ist der Kläger gegen ein monatliches Honorar als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis tätig.

Das LG Kiel hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG Schleswig ihm Rentenleistungen ab April 2013 bis längstens 30. November 2020 zuerkannt und zudem festgestellt, dass der Kläger berufsunfähig im Sinne des Versicherungsvertrages sei. Mit der Revision zum BGH erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Die rechtliche Würdigung des BGH:

Beim Kläger lagen ab April 2013 die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen BU erneut vor. Der versicherte Beruf des Klägers war auch zum Zeitpunkt dieses neuen Versicherungsfalles die Tätigkeit eines selbstständigen HNO-Arztes, wie er ihn ausübte, bevor er aufgrund der Arthrose des rechten Schultergelenks seine ärztliche Tätigkeit einschränken musste und insbesondere keine Operationen mehr durchführte. Maßgeblich ist damit stets die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d. h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war. War ein Berufswechsel vor Eintritt des Versicherungsfalles ausschließlich leidensbedingt, bleibt Ausgangspunkt für die Beurteilung der BU der vor diesem Wechsel ausgeübte Beruf.

Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalles zunächst weiterhin eine leidensbedingt eingeschränkte Tätigkeit ausgeübt hat und nach Beendigung dieser Tätigkeit erneut Versicherungsansprüche geltend macht. Die leidensbedingte Einschränkung seiner beruflichen Fähigkeiten begründet danach gerade den Versicherungsfall.

Der bedingungsgemäß festgelegte Grad der BU, der erst einen Anspruch auf die zugesagten Leistungen gibt, orientiert sich nicht an einem fortlaufend absinkenden Leistungsniveau des Versicherten als Vergleichsmaßstab, denn der Versicherungsnehmer kann dem Versicherungsvertrag nicht entnehmen, dass ein während der Versicherungsdauer verschlechterter gesundheitlicher Zustand dann, wenn er bereits einmal den Versicherungsfall ausgelöst hat, für die restliche Laufzeit der Versicherung zum neuen Normalzustand werden soll, an dem künftig der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu messen wäre.

Auch ist für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar, dass der Versicherungsschutz für seinen Beruf aus gesunden Tagen einer zeitlichen Grenze unterliegen könnte und eine daran angepasste Berufstätigkeit im Weiteren zum versicherten Normalzustand werden könnte.

Es steht auch der Annahme bedingungsgemäßer BU nicht entgegen, dass der Kläger nach Beendigung des ersten Versicherungsfalles und vor dem erneuten Leistungsantrag eine inzwischen beendete Tätigkeit im MVZ ausgeübt hat, auf die ihn die Beklagte wirksam verwiesen hat. Bei Vereinbarung einer konkreten Verweisungsmöglichkeit begründet die Beendigung der Vergleichstätigkeit erneut eine Leistungspflicht des Versicherers, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen unverändert außerstande ist, der „in gesunden Tagen“ ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.

Es kommt also nicht allein auf einen Einkommensverlust und die Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen, sondern auch auf die Wahrung des sozialen Status des Versicherten an. Vorliegend ist davon auszugehen, dass einer Tätigkeit als Praxisvertreter nicht die gleiche soziale Wertschätzung wie jener eines niedergelassenen Facharztes mit eigener Praxis zukommt.

Auswirkungen für die Praxis:

Das Urteil des BGH ist zu begrüßen, denn es stellt für Versicherte klar, worauf nach Beendigung einer Verweisungstätigkeit abzustellen ist, nämlich nicht auf den schlechten gesundheitlichen Zustand als „Normalzustand“, sondern vielmehr auf die ursprünglich in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit. Gerade bei einem leidensbedingten Berufswechsel bleibt Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der vor diesem Wechsel ausgeübte Beruf.

Vor diesem Hintergrund sollte jede Leistungsablehnung des Versicherers juristisch überprüft werden, damit nicht eine ungerechtfertigte Leistungsablehnung oder/und Leistungseinstellung erfolgt und die richtigen Voraussetzungen für eine Leistungsfallprüfung zugrunde gelegt werden.

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB


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