BGH verkündet Rechtsauffassung: Verwendung unzulässiger Thermofenster begründet Schadensersatz-Anspruch

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BGH fällt Urteil im Dieselskandal.

Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Verfahren gegenüber renommierten Dieselfahrzeugherstellern seine Rechtsauffassung verkündet: Einzelne Dieselfahrer können wegen unzulässigen Abschalteinrichtungen Schadensersatz vom jeweiligen Fahrzeughersteller fordern! Der Bundesgerichtshof ließ in der heutigen Verhandlung am 08.05.2023 verlauten, dass er in den zugrundeliegenden Verfahren einen Schadensersatz der Verbraucher wegen der Verwendung von Abschalteinrichtungen in Diesel-Verfahren durchaus für gegeben ansieht. Die endgültige Entscheidung wird der Bundesgerichtshof im Juni dieses Jahres verkünden.


Endgültige Entscheidung auf nationaler Ebene

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr verlauten lassen, diese europäische Rechtsprechung auf die nationale Ebene zu übernehmen. Die zugrundeliegenden europäischen Rechtsvorschriften, die die Zulassung von Fahrzeugen zum Europäischen Markt regeln – mit inbegriffen das Verbot der Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen – sind so auszulegen, dass Käufer von Dieselfahrzeugen davor geschützt werden müssen Fahrzeuge zu erwerben, die mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sind.

Der EuGH entschied bereits am 21.03.2023, dass aufgrund der Verwendung der Abschalteinrichtung dem einzelnen Verbraucher ein durchsetzbarer Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Fahrzeughersteller zusteht und stellte erneut klar, dass die temperaturgesteuerte Abgasrückführung (sog. „Thermofenster“) eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der relevanten europäischen Rechtsnormen darstellt. Diese Abschalteinrichtung sorgt dafür, dass die Abgasreinigung lediglich bei Außen-Temperaturen zwischen 15°C und 30°C ordnungsgemäß funktioniert. In Europa entspricht dies durchschnittlich etwa einem Drittel des Jahres oder eben auf dem Prüfstand; dort herrschen – gesetzlich vorgeschrieben und wie die Hersteller wussten – Temperaturen zwischen 20° und 30°C.

Die Anforderungen der sog. „Schutzgesetzhaftung“ sind vor den nationalen Gerichten erheblich niedriger und somit leichter durchzusetzen. Der Grund liegt darin, dass dem einzelnen Fahrzeughersteller nicht mehr nachgewiesen werden muss, dass der Verbau der Abschalteinrichtungen bewusst veranlasst wurde. Bereits die fahrlässige Verwendung von Abschalteinrichtungen ist nunmehr ausreichend zur Begründung eines Schadensersatzes.


Rechte gestärkt: die positiven Folgen für Verbraucher

Der BGH scheint nun in seiner Entscheidung die Auffassung des EuGH zu bestätigen und damit die Verwendung von Thermofenstern als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen und dabei eine Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzunehmen.

Durch die Tatsache, dass die europäischen Regelungen auch den einzelnen Verbraucher schützen, sind Ansprüche gegenüber den Automobilkonzerne bereits wegen fahrlässigen Verhaltens gegeben. Die höchstinstanzliche Rechtsansicht würde im Grundsatz nicht nur gegenüber den beklagten Fahrzeugherstellern, sondern weiter gegenüber jedem Fahrzeughersteller gelten, der nachweislich ein unzulässiges Thermofenster verwendet. Anhand einer aktuellen Studie des ICCT („International Council on Clean Transportation Europe“) ist davon auszugehen, dass dieses in 150 Dieselmodellen unterschiedlichster Hersteller zum Einsatz kommt. Die Studie umfasst Tests von mehr als 200 dieselbetriebenen Fahrzeugen bei denen in 150 Modellen verdächtig hohe Stickoxidemissionen festgestellt wurden. Dies deutet nach Ansicht von Experten auf die Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen hin. Betroffen sind neben VW und Mercedes die Marken Audi, Toyota, Renault, Opel, Fiat, Jeep, BMW, Lancia, Skoda, Seat, Peugeot und Dacia.

Diese Entscheidung des BGH zieht nunmehr die Fahrzeughersteller vollkommen in die Verantwortung und ermöglicht es geschädigten Verbrauchern vor den Gerichten Ihre Rechte durchzusetzen.


Zum Hintergrund

Bereits im Jahr 2015 deckte die kalifornische Umweltbehörde auf, dass Volkswagen seine Fahrzeuge mit manipulierten Motoren ausstattete. Darin sind unzulässige Abschalt-Einrichtungen verbaut. Das bedeutet, dass die Abgasreinigung lediglich auf dem Prüfstand, also im Rahmen der Zulassungstests, reibungslos funktioniert. Im normalen Fahrbetrieb ist dies dann jedoch nicht mehr der Fall. Die Fahrzeuge stoßen ein Vielfaches der zulässigen Stickoxid-Emissionen aus. Dadurch wirken die Fahrzeuge umweltfreundlicher als sie sind. Aufgrund der Manipulationen wurden VW und seine Tochterkonzerne sowie zahlreiche andere deutsche Hersteller bereits zu Schadensersatz-Zahlungen in Milliardenhöhe verurteilt.

Der EuGH hat zwar bereits im Jahr 2020 entschieden, dass die Verwendung des Thermofensters grundsätzlich unzulässig ist. Allerdings hatte der Verbraucher aufgrund der ständigen Rechtsprechung deutscher Gerichte nachzuweisen, dass es sich hierbei um ein vorsätzliches, sittenwidriges Verhalten der Fahrzeughersteller und deren Vorständen handelte. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen ist diese Hürde nunmehr niedriger, da die Automobilhersteller bereits wegen Fahrlässigkeit haften.



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Stichworte: Dieselskandal, Abgasskandal, Urteil Bundesgerichtshof

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