BSG-Urteil: Zusammenbruch des Notdienstes wegen der Sozialversicherungspflicht für Poolärzte?

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Bundessozialgericht, Urteil vom 24.10.2023, AZ: B 12 R9/21 R

Das Urteil des Bundessozialgerichts wird die ambulante Versorgung grundlegend verändern. Nach den Honorarärzten sind nun auch Poolärzte im Notdienst in der Regel abhängige und damit sozialversicherungspflichtig Beschäftige im Sinne des § 7 SGB IV. Der Annahme, dass allein die Teilnahme am Notdienst eine Selbstständigkeit begründet, weil man damit an der vertragszahnärztlichen Versorgung im Sinne von § 75 SGB V teilnimmt, lehnte das Bundessozialgericht ab. Einzelne KVen und KZVen sahen sich nach dem Urteil gezwungen, den Notdienst sofort einzuschränken. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg kündigte nach der Entscheidung an, mit sofortiger Wirkung die Tätigkeit der Poolärztinnen und Poolärzte zu beenden.

Zum Hintergrund: 

Die Poolärztinnen und -ärzte übernehmen in Baden-Württemberg auf selbstständiger Basis einen großen Anteil der Notdienste für die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Damit entlasten die Poolärztinnen und -ärzte auch viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die bereits jetzt an ihre Grenzen stoßen, weil viele Arztsitze unbesetzt sind.

Fall: 

Im zu entscheidenden Fall ging es um einen Zahnarzt, der seine Praxis 2017 verkauft hatte und nicht mehr an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnahm. Im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) wurde er jedoch - überwiegend am Wochenende - zu Notdiensten eingeteilt. Er erhielt einen festen Stundensatz. Den Notdienst erfüllte der Zahnarzt in Räumlichkeiten eines Notfalldienstzentrums, das von der KZV BW betrieben wurde. Die Räumlichkeiten waren mit Geräten und Materialien ausgestattet. Dem klagenden Zahnarzt wurden auch von der KZV BW zwei zahnmedizinische Fachangestellte zur Verfügung gestellt, die Assistenz- und Dokumentationstätigkeiten ausführten.

Für die Tätigkeit erhielt der Zahnarzt zwischen 34 und 50 Euro pro Stunde. Die Deutsche Rentenversicherung hatte für seinen Fall festgestellt, dass für die Einsätze des Zahnarztes keine Versicherungspflicht bestand. Auch die Vorinstanzen hatten die Pflicht verneint. Das Bundessozialgericht gab dem Zahnarzt Recht und bejahte die Versicherungspflicht, weil

  • die KZV ihn in die Abläufe des Notfalldienstzentrums eingegliedert habe. Hierauf habe er keinen unternehmerischen Einfluss und
  • zudem sei der Zahnarzt unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt worden.

Dass der Zahnarzt im Rahmen seiner Tätigkeit bei der konkreten medizinischen Behandlung frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fällt nach Auffassung des Bundessozialgerichts dagegen nicht ins Gewicht.

Fazit:

Entscheidend für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht bleibt, in welchem Ausmaß jemand in die Arbeitsorganisation und Struktur eines anderen eingegliedert ist. Wenn man den Status eines sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigten bei Ärzten und Zahnärzten vermeiden will, muss sich unter anderem das unternehmerische Risiko in der Tätigkeit widerspiegeln und eine Eingliederung in das Unternehmen darf nicht erfolgen.

Katharina Lieben-Obholzer, Rechtsanwältin bei KMW


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