Bundesgerichtshof lehnt hohe Schmerzensgeldforderungen beim Verkehrsunfall ab

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Mit Urteil vom 15.02.2022 - VI ZR 937/20 - hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) eine der bis dato spannensten Rechtsfragen im Bereich der Verkehrsunfallschadenregulierung beantwortet. 

Inhaltlich ging es um die Frage, ob Schmerzengeldansprüche eines Geschädigten "taggenau berechnet" werden können oder nicht. Bereits im Jahre 2018 hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main für einen Paukenschlag gesorgt, als es einem Geschädigten eines Verkehrsunfalls - anders als bis dahin üblich - ein taggenau bemessenes Schmerzensgeld zugesprochen hatte. Damit war der Weg frei für hohe Schmerzensgeldforderungen. Bis dato bediente man sich bei der Bezifferung von Schmerzensgeld nur vergleichbarer Entscheidungen anderer Gerichte. Dabei waren die Höhen der Schmerzensgeldansprüche in der Regel überschaubar. 

Nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main sei die Methode der sog. "taggenauen Berechnung" des Schmerzensgeldes anzuwenden. Dabei bemisst sich die Höhe des Schmerzensgeldes in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten  Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase  (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante  Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Die Tagessätze werden ausgehend von bestimmten  Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II)  können von der zuvor "taggenau" errechneten Summe je nach Gestaltung und  Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. In einem dritten Rechenschritt (Stufe III) kann anschließend bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers das Schmerzensgeld erneut erhöht werden.

Diese Rechtsprechung hatte das OLG Frankfurt am Main fortgeführt mit der Folge, dass nun der BGH in einem Revisionsverfahren hierüber zu entscheiden hatte.

In dem Verfahren, welches nun vor dem BGH verhandelt worden ist, wurde der dortige  Kläger bei einem Verkehrsunfall, bei welchem die Haftungsfrage unstreitig war, erheblich verletzt. Über einen  Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13  stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u. a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu  mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. 

Das  Landgericht Darmstadt hatte dem Kläger daraufhin in erster Instanz ein Schmerzensgeld von 100.000 € zugesprochen. Auf die  Berufung des Klägers hatte das OLG Frankfurt am Main das Schmerzensgeld auf insgesamt 200.000 € erhöht.  

Dieser Berechnungsmethode hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben und der Versicherungsbranche damit eine Menge Geld erspart: 

Der  u. a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI.Zivilsenat des BGH hat die Entscheidung  des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung  und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Maßgebend  für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der  Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad  des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine  Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster  Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende  Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. Diesen  Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene "taggenaue  Berechnung" des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische  Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der  Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner  Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch  wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten  hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid  bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in  seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an  die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das  Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu  befinden haben.  

Eine ausführliche Begründung des BGH steht noch aus. Wir werden hierüber erneut berichten, wenn die Begründung vorliegt.


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