Darf man dem Klima eine kleben? Notwehrrecht gegen Klima-Kleber?

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m Rahmen der jüngst vielfach auftretenden Protestaktionen der „Letzten Generation“ verspüren wahrscheinlich viele betroffene Autofahrer den Wunsch, die Straße kurzerhand selbst zu räumen. Dieser lose Zusammenschluss verfolgt das Ziel, durch „zivilen Ungehorsam“ (noch mehr) Maßnahmen der Regierung gegen den Klimawandel zu erzwingen. Das beliebteste Mittel hierzu war in den letzten Monaten das Festkleben von Demonstranten auf vielbefahrenen Straßen, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen und Aufmerksamkeit zu generieren.

Die Frage, ob ein beherztes Eingreifen der Autofahrer vom deutschen Notwehrrecht nach § 32 StGB gerechtfertigt ist, soll in diesem Beitrag näher hinterfragt werden.

Das neue „Normal“

Die folgende Situation dürfte innerhalb der letzten Monate einigen Autofahrern begegnet sein. Man befindet sich nach einem langen Arbeitstag im Berufsverkehr und freut sich auf den wohlverdienten Feierabend. Ein paar Wagenlängen vor einem schaltet die Ampel auf Grün, doch irgendwie bewegt sich der Verkehr nicht weiter. Nach einigen Minuten und steigender Ungeduld wird dann der Grund für die Verzögerung bekannt: Auf der Fahrbahn sitzt eine dichte Reihe junger Menschen – oftmals mit ihrem Unmut Ausdruck verleihenden Birkenstock-beschmückten Hornhautmäukchen und „bewaffnet“ mit Plakaten und Bannern. Doch vor allem liegt zumindest eine tapsige Handfläche verdächtig unbeweglich auf der Straße. Schnell wird klar, dass die „Letzte Generation“ unmittelbar vor einem selbst eine weitere ihrer Klebeaktionen begonnen hat.

Hierdurch kommen die Demonstranten sehr schnell vor allem in den Bereich der Strafbarkeit der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB an den blockierten Autofahrern, denn sie zwingen die Autofahrer in den meist längerfristigen Stillstand. Für dieses Verhalten wurden jüngst im Wiederholungsfalle sogar Freiheitsstrafen ohne Bewährung von verschiedenen Gerichten ausgeurteilt.

Oftmals stehen am Rand der Straße auch schon Polizisten, deren Mimik die eigene Laune ziemlich genau widerspiegelt. Einem selbst bleibt in diesem Falle nichts anderes übrig, als auf den vorsichtigen Abtransport der Demonstranten durch die Ordnungshüter zu warten und sich dabei nur vorzustellen, wie man die jungen Leute selbst von der Straße räumt.

Doch wie verhält sich die Situation eigentlich, wenn noch keine Polizei vor Ort sein sollte? Dürfen sich betroffene Autofahrer selbst Abhilfe schaffen und die Demonstranten von der Straße tragen? Wie weit genau dürfen sie dabei gehen, darf man schubsen, schlagen oder gar schießen?

Rechtliche Einordnung von Reaktionen

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass nahezu alle handgreiflichen Reaktionen der Autofahrer auf die Protestanten den Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB verwirklichen. Eine Körperverletzung liegt vor, wenn man eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Die Gesundheitsschädigung wird regelmäßig alleine dadurch vorliegen, dass die am Asphalt festgeklebte Hand ohne Lösungsmittelt entfernt wird und der Protestant dadurch Verletzungen an der Handfläche erleidet.

Weiterhin kann sich der handgreifliche Autofahrer auch der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB strafbar machen, wenn er Protestanten durch die Ausübung von Gewalt zur Räumung der Straße „motiviert“.

Rechtfertigung über Notwehr?

Allerdings kann sich dies ändern, wenn die eigene Handlung vom Notwehrrecht nach § 32 Abs. 1 StGB erfasst und damit gerechtfertigt ist.

In § 32 Abs. 2 StGB werden der Notwehrbegriff und seine Voraussetzungen näher erläutert. Notwehr liegt vor, wenn ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff von sich oder einem anderen in erforderlicher Weise abgewehrt wird. Somit ist zum einen eine Notwehrlage, also der gegenwärtige, rechtswidrige Angriff auf sich oder eine andere Person, und zum anderen eine erforderliche Notwehrhandlung Voraussetzung für die Straflosigkeit.

Notwehrlage

Die Notwehrlage ist in diesem Kontext der Punkt, an dem eine pauschale Beantwortung der Frage nach Notwehr gegen die Proteste schwierig wird. Denn ob durch den Protest ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorliegt, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Einige Gerichte haben die Aktivisten der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB gegenüber den Autofahrern schuldig gesprochen. In diesen Fällen liegt der rechtswidrige Angriff vor. Sofern der Aktivist auch noch auf der Straße sitzt und sich nicht gegenwärtig entfernt oder bereits entfernt hat, ist dieser Angriff auch gegenwärtig.

Allerdings gibt es auch Fälle und Urteile, in denen sich die „Klima-Kleber“ nicht der Nötigung strafbar gemacht haben, weil sie sich auf ihre Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes berufen können. So hat z.B. das Landgericht Berlin in einem Beschluss vom 31.05.2023 einen hinreichenden Tatverdacht im Hinblick auf eine Nötigung durch Klima-Kleber verneint, da in dem dort zu entscheidenden Fall der durch den Protest ausgelöste Stau der Berliner Rush-hour nicht unähnlich war und die Autofahrer mit derartigen Verzögerungen ohnehin zu rechnen hatten.

Das Bundesverfassungsgericht spricht im Zusammenhang mit Sitzblockaden von einer Abwägung des eingeschränkten Freiheitsrechts der Betroffenen und dem Versammlungsrecht der Demonstranten.

Folglich spielt es für die Notwehrlage eine entscheidende Rolle, wo genau und zu welcher Tageszeit der Protest stattfindet und inwieweit die dadurch ausgelösten Staus vom gewöhnlichen Verkehr abweichen.

An einer Notwehrlage fehlt es jedenfalls, wenn von drei besetzten Spuren bereits eine wieder geräumt ist und der Verkehr sich dadurch sich wieder, wenn auch nur sehr langsam bewegt.

Erforderliche und gebotene Notwehrhandlung?

Weitere Voraussetzung für eine Rechtfertigung durch Notwehr ist eine nach § 32 Abs. 1 StGB gebotene und nach § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Notwehrhandlung.

Unter erforderlich versteht man, dass die Handlung zur sofortigen und endgültigen Beendigung des Angriffs geeignet ist und von allen Handlungsmöglichkeiten das mildeste Mittel darstellt. Da der in Notwehr Handelnde nicht nur seine persönlichen Rechtsgüter, sondern auch die gesamte Rechtsordnung verteidigt, muss er dabei nicht auf ein milderes, aber weniger wirksames Mittel zurückgreifen. Dies ist ein Ausfluss der „Schärfe“ des durchaus „schneidigen“ deutschen Notwehrrechts, die mithilfe des Merksatzes „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!“ kurz zusammengefasst werden kann und ihre Grundlage in der bereits genannten Verteidigung der Rechtsordnung findet.

Sollte bei den Protestaktionen, wie häufig der Fall, die Polizei bereits wenig begeistert am Straßenrand stehen, so ist das mildeste Mittel nicht mehr das Wegzerren der Protestanten, sondern der Gang zu den Polizeibeamten.

Sofern keine Polizei vor Ort ist stellt sich die Frage, wie „hart“ die Autofahrer gegen die Demonstranten vorgehen können. Wie bereits erwähnt, ist im Rahmen der Notwehrhandlung immer das mildeste Mittel zur sofortigen und endgültigen Beendigung des Angriffs zu wählen. Dies besteht zunächst im Ausweichen, also dem vorsichtigen Umfahren der menschlichen Hindernisse. Da diese es sich jedoch zum erklärten Ziel gemacht haben, gerade kein Auto durchzulassen, dürfte sich dies in der Realität schwierig gestalten. Daher bleibt nur der persönliche Kontakt zwischen Autofahrer und Demonstrant, um die Situation aufzulösen. In Betracht kommt ein vorsichtiges Wegtragen oder Wegziehen von der Straße, Schläge oder Tritte überschreiten das mildeste Mittel zweifellos. Hierbei sollte darauf geachtet werden, den Demonstranten möglichst nicht oder nur sehr leicht zu verletzen, um nicht Gefahr zu laufen, sich später strafrechtlich verantworten zu müssen

Nachdem die erforderliche Handlung ermittelt wurde, muss diese im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB auch geboten sein. Geboten ist die Handlung, wenn ihr keine sozialethischen Gründe entgegenstehen. Dies wäre zum Beispiel bei einem krassen Missverhältnis zwischen dem zu schützenden und dem angegriffenen Rechtsgut der Fall, beispielsweise wenn ein betroffener Autofahrer eine Schusswaffe zieht und anfängt, in tödlicher Absicht auf die Demonstranten zu schießen.

Außerdem muss die Notwehrhandlung für eine erfolgreiche Rechtfertigung von einem Verteidigungswillen getragen sein. Das heißt konkret, dass das Wegzerren der Protestanten zur Abwehr der Nötigung erfolgen muss. Wer die Gelegenheit ausschließlich nutzt, um seinen politischen Unmut gegen den Protest körperlich kundzutun oder den jungen Leuten eine Lektion zu erteilen, der handelt nicht unter dem Deckmantel des Notwehrrechts.

Fazit für Autofahrer

Die Frage, ob ein beherztes Eingreifen der Autofahrer vom deutschen Notwehrrecht nach § 32 StGB gerechtfertigt ist, lässt sich pauschal nicht beantworten. Vielmehr muss für jede Protestaktion und die darauffolgende Reaktion eine gesonderte Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es für einen betroffenen Autofahrer sehr schwierig ist, die Folgen eines körperlichen Eingreifens abzusehen. Das Wegzerren der „Klima-Kleber“ kann im Rahmen der Notwehr gerechtfertigt sein, allerdings hängt dies von allen genannten Faktoren ab, die der Autofahrer im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen hat.

Um nicht das Risiko einer Strafe wegen Körperverletzung oder Nötigung einzugehen, ist daher die beste Empfehlung einfach das Radio aufzudrehen und sich bei diesen Temperaturen der Klimaanlage zu erfreuen.

Sofern Sie selbst in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden geraten sollten, empfiehlt es sich, möglichst frühzeitig einen Fachanwalt für Strafrecht zu konsultieren.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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