Das Jury-System im amerikanischen Strafprozess - Teil II - GER / ENG Version

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Fortsetzung Teil II

Auch führt das Jury-System aufgrund der fehlenden rechtlichen Vorbildung in manchen Fällen zu überzogenen Entscheidungen oder Schadensforderungen. Vor einiger Zeit ging es in einem Prozess mal darum, dass ein Autohersteller den Benzintank aus Kostengründen an einer unsicheren Stelle plaziert hatte. Prompt ging bei einem Unfall ein Auto deswegen in Flammen auf und mehrere Leute verbrannten. Die Wut der Angehörigen über die Geschäftsmethoden der Firma ist nachvollziehbar und unmissverständlich zu verstehen, sie klagten auf Schadensersatz. Auch die Mitglieder der Jury sahen das so und wollten die Firma schmoren sehen. Sie stimmten zu, dass die Firma 65 Milliarden (!) Dollar zahlen sollte. Das ist in etwa der Verteidungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland.

Im Gedächtnis dürfte sich auch der Prozess gehalten haben, als eine Frau und Kundin, die sich am frischen Kaffee von McDonald's verbrannte, einige Millionen erhielt, weil McDonald's nicht "Vorsicht, heiß!" auf den Kaffeebecher geschrieben hatte. Möglich ist, dass der Richter das von der Jury gesprochene Urteil in der Summe (also der Strafhöhe bzw. Schadenshöhe) reduziert oder das Urteil vollends aufheben kann, unter gewissen Voraussetzungen. So erklärt der Richter den Juroren am Ende des Verfahrens in relativ allgemeinverständlicher Sprache für Laien und sehr detailliert, was ihre Aufgabe ist und was sie in die Waagschale werfen dürfen. So ist zum Beispiel alles, was der Staatsanwalt oder der Verteidiger sagten, für den Urteilsspruch irrelevant - nur Zeugen- und Expertenaussagen zählen. 

Der Auftrag der Jury lässt sich demnach kurz zusammenfassen: Sie befindet, ob es dem Staatsanwalt gelungen ist, die Schuld des Angeklagten "beyond reasonable doubt", also wasserdicht und zweifelsfrei zu beweisen. Beim geringsten Zweifel muss das Urteil "nicht schuldig" lauten. Die Mitglieder der Jury ziehen sich, nachdem sie dem gesamten Gerichtsverfahren beiwohnten (Juroren dürfen keine Fragen stellen, nur zusehen) und vom Richter über ihre Aufgabe belehrt wurden, hinter verschlossene Türen zurück, um zu einem einstimmigen Urteil zu kommen. Gelingt das nicht, weil sich einer der Juroren dem nicht anschließt, gibt es also kein einstimmiges Votum, kommt es zur "Hung Jury" und das Verfahren muss wiederholt werden.

Die Jury muss sich auf eine Urteilsfindung aufgrund der bestehenden Gesetzeslage beschränken. Der Richter wird die Jury auch darüber belehren, dass das in Aussicht stehende Strafmaß nicht in die Entscheidung 'schuldig' oder 'nicht schuldig' hineinspielen darf. Aber natürlich helfen alle Belehrungen nicht gegen festgefahrene Vorurteile der Juroren. So geschehen im Falle Rodney King, einem Schwarzen, der in Los Angeles brutal von weißen Polizisten verprügelt wurde. Die Jury war durchweg "white" und sprach die Polizisten frei, obwohl ein Videoband die Szene detailliert zeigte. Allerdings war die Strategie der Staatsanwaltschaft, die nicht einmal Rodney King in den Zeugenstand rief, auch verfehlt und nicht nachvollziehbar, sollte diese doch alles daran setzen, den gesamten Sachverhalt lückenlos aufzuklären und den Nachweis für die Tat führen. Tags darauf brachen in Los Angeles wie allgemein bekannt die seither größten bekannten Rassenunruhen aus. Andererseits wurde in einem weiteren spektakulären Strafprozess, der von Beginn an durch Live-Übertragungen im TV auf diversen Kanälen begleitet wurde und ganz Amerika den Atem anhalten ließ, der schwarze wohl populärste Footballspieler O.J. Simpson des Doppelmordes an seiner Ex-Frau und deren Lebensgefährten durch die Jury freigesprochen, obwohl es im Prozess augenscheinlich zur überwältigenden Faktenlage gegen diesen gekommen war, die für eine Verurteilung sprächen. Nach dem Urteilsspruch salutierte ein schwarzes Jurymitglied dem Angeklagten mit dem "Black Power"-Gruß.

Diese international bekannten Prozesse aber auch unzählige viele weitere Verfahren zeigen ganz deutlich, in welche unvorhersehbaren Richtungen die Jury sich auch bewegen kann und welcher Entscheidungsgewalt hier weit tiefere Motive zukommen können.


English Version:

Part II

In some cases, the jury system also leads to excessive decisions or claims for damages due to the lack of legal training and knowledge. Some time ago there was a lawsuit about the fact that a car manufacturer had placed the fuel tank in an unsafe place for cost reasons. As a result, a car promptly went up in flames in an accident and several people were burned and died. The anger of the relatives about the company's business methods is understandable and unambiguous, they sued the company for damages. The members of the jury saw it that way as well and wanted their revenge you would call it. They agreed that the company should pay $ 65 billion (!) US Dollar. That is roughly the defense budget of the Federal Republic of Germany.

Most will also remember the process when a woman and customer who got burned on a fresh McDonald’s coffee received several million because McDonald’s did not state "Careful, hot!"  written on the coffee mug. It is possible that the judge can reduce the total amount of the verdict given by the jury (i.e. the amount of the penalty or amount of damage) or that the verdict can be revoked entirely, under certain conditions. At the end of the proceedings, the judge explains to the jurors in a relatively easy-to-understand language for laypeople and in great detail what their task is and what they are allowed to throw into balance. For example, everything the public prosecutor or defense attorney said is irrelevant to the verdict itself - only witness and expert statements count. 

The task of the jury can therefore be briefly summarized: It determines whether the public prosecutor has succeeded in proving the defendant's guilt "beyond reasonable doubt", that is to say in an unequivocal manner. If there is the slightest doubt, the verdict must be "not guilty". The members of the jury, after having attended the entire court proceedings (jurors are not allowed to ask questions, only watch the trial) and have been instructed about their task by the judge, withdraw behind closed doors in order to come to a unanimous verdict. If this does not succeed because one of the jurors does not agree, there is no unanimous vote, the result is a "Hung Jury" and the process has to be repeated right from the start.

The jury must limit itself to reaching a judgment based on the existing legal situation. The judge will also instruct the jury that the prospective sentence must not play a role in the decision 'guilty' or 'not guilty'. But, of course, all the instructions do not help against the entrenched prejudices of the jurors. This is what happened in the case of Rodney King, a black man who was brutally beaten by white police officers in Los Angeles. The jury was consistently "white" and acquitted the police even though a video tape showed the scene in detail. However, the prosecution's strategy, which did not even call Rodney King into the witness stand, was also wrong and incomprehensible, as they should do everything in their power to clarify the entire matter and provide evidence of the crime. The next day, as everyone knows, the largest known race riots since then lashed out in Los Angeles. On the other hand, in another spectacular criminal trial, which was accompanied from the beginning by live broadcasts on TV on various channels and made entire America hold its breath, the black probably most popular football player O.J. Simpson acquitted of the double murder of his ex-wife and her partner in life by the jury although the trial evidently had overwhelming facts that can speak for a conviction. After the verdict, a black jury member saluted the defendant with a "Black Power" greeting.

These internationally known processes but also countless many other clearly show the unpredictable directions the jury can lead to and the decision-making power that can have far deeper motives.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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